Die Wahl nach dem Mord

Am Sonntag wählen die Menschen in Ecuador Prä­si­den­t:in und Parlament

Für die Mehrheit der Menschen aus der Kichwa-Gemeinde Llanchama (siehe Haupttext) kommen nur zwei der acht Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­t:in­nen infrage: „Allein Yaku Pérez und Fernando Villavicencio haben sich klar gegen die Erdölförderung in Bloque 43 im Yasuní-Nationalpark ausgesprochen“, ein Satz wie dieser ist in Llanchama oft zu hören. Nach dem Mord an dem 59-jährigen investigativen Journalisten Villavicencio, der als Gewerkschafter den Erdölsektor auch von innen kannte und die dort grassierende Korruption anprangerte, ist mit Christian Zurita ein enger Freund Villavicencios nachgerückt. Er wird am Sonntag für das „Movimiento Construye“, zu Deutsch „Bewegung Baue!“, für die Präsidentschaft Ecuadors kandidieren. Zurita tritt für ein Programm ein, zu dem auch das Sí zum Schutz des Yasuní-Nationalparks gehört.

Sechs weitere Namen stehen auf der Liste der Kandidat:innen. Unter denen, die Prä­si­den­t:in werden wollen, ist nur eine Frau, aber die führt alle Umfragen mit 20 bis 30 Prozent der Stimmen an: Luisa González von der Bürgerrevolution (Movimiento Revolución Ciudadana). Die Partei des Ex-Präsidenten Rafael Correa, der wegen eines Korruptionsurteils im belgischen Brüssel lebt, hat sich klar und eindeutig für eine Fortführung der Erdölförderung im Yasuní-Nationalpark und in der ganzen Amazonasregion ausgesprochen.

Auch der laut Umfragen auf Platz zwei liegende Otto Sonnenholzner will mit dem tradierten Rohstoffförder- und exportmodell weitermachen. Sonnenholzner, Medienprofi und Ökonom, ist ehemaliger Vizepräsident unter Lenín Moreno und Unterzeichner der von der ultrarechten spanischen Partei Vox initiierten antikommunistischen „Madrid Charter“.

Nummer drei in den Umfragen ist der populäre indigene Rechtsanwalt Yaku Pérez, der 2021 bei den Präsidentschaftswahlen nur knapp und unter dubiosen Umständen die Stichwahl verpasste. Er steht für ein nachhaltiges und auf ländlicher Entwicklung basierendes Wirtschaftsmodell, in dem Bergbau und Erdölförderung in Schutzgebieten ein No-Go sind. Deshalb ist der Umweltaktivist der wirtschaftspolitischen Elite in Ecuador ein Dorn im Auge. Pérez hat die Unterstützung vieler indigener Gemeinden, wenn auch nicht die der zerstrittenen indigenen Partei Pachakutik, für die er noch 2021 kandidierte. Pérez ist Kandidat der linken Parteienallianz „Claro que se puede“, was so viel heißt wie „Klar, das können wir“.

Dahinter rangiert laut den Umfragen mit Jan Topic ein Hardliner, der in den letzten Tagen zulegen konnte. Laut eigener Aussage ist er ein ehemaliger französischer Fremdenlegionär und setzt auf einen Frontalangriff der Ordnungskräfte auf die Drogenkartelle. Topic ist bekennender Fan von El Salvadors autoritärem Präsidenten Nahib Bukele.

Hinter diesen vier Kan­di­da­t:in­nen rangieren – bereits deutlich abgeschlagen – der konservative Unternehmer Daniel Noboa, Sohn des Bananen-Oligarchen Álvaro Noboa, sowie Xavier Heras. Heras tritt mit einer Mitte-links-Agenda an, kommt aber genauso wie Noboa nur auf rund 2 Prozent der Stimmen. Gleiches gilt für den achten und letzten Kandidaten, Bolívar Armijos. Er war früher bei der „Bürgerrevolution“ von Rafael Correa aktiv.

Allerdings sind die Umfragen nur begrenzt aussagekräftig. Mehr als 37 Prozent der 13,4 Millionen Wahlberechtigen hatten sich drei Tage vor den Wahlen noch nicht entschieden.

Eine hohe Wahlbeteiligung ist garantiert, denn in Ecuador herrscht Wahlpflicht – bis zum 65. Lebensjahr. Zudem könnte der Mord an Fernando Villavicencio zu einem Faktor werden, der sowohl den Ausgang der Wahlen als auch das Ergebnis des landesweiten Referendums beeinflusst.Zum Referendum liegt keine separate Umfrage vor. Bei der Umweltorganisation Acción Ecológica hoffen sie auf eine Zustimmung für das Ende der Ölförderung von mindestens 60 Prozent.

Knut Henkel