Verdrängte Flugscham: Das Blaue vom Himmel

Die Deutschen machen mehr Flugreisen als je zuvor. Um die Flugscham abzumildern, erzählen Fluggesellschaften Märchen vom klimafreundlichen Fliegen.

Kondensstreifen eines Flugzeugs am Himmel.

Auch Ökokerosin erzeugt Kondensstreifen, was die Erde zusätzlich erwärmt Foto: Patrick Pleul/dpa

Diesen Sommer wird geflogen, als gäbe es kein Morgen: 134.386 Flieger waren am 6. Juli in der Luft, so viele wie noch nie. Dabei dürften die meisten Passagiere wissen, dass sie damit das Klima ruinieren. Auch „Flugscham“ ist kein Fremdwort mehr, sie wird aber verdrängt.

Die Airlines helfen bei dieser kollektiven Amnesie kräftig nach, indem sie versprechen, spätestens 2050 klimaneutral zu sein. Leider bleibt nebulös, wie dies gelingen soll. So kündigt die Lufthansa an, dass sie bis 2030 „rund 200 spritsparende“ Flugzeuge anschaffen will, die „im Vergleich zu ihren jeweiligen Vorgängermodellen bis zu 30 Prozent weniger Treibstoff“ verbrauchen.

Was nicht erwähnt wird: Diese Flugzeuge sollen Jahrzehnte fliegen, weil sie sich sonst gar nicht amortisieren würden. Sie wären also 2050 immer noch in der Luft und würden weiterhin CO2 ausstoßen – nur eben 30 Prozent weniger als heute. Man muss kein Mathegenie sein, um zu erkennen, dass minus 30 Prozent nicht das Gleiche wie minus 100 Prozent sind. Wir dürfen mittelfristig aber gar keine Treib­haus­gase mehr emittieren, wenn wir überleben wollen.

Zudem wird der Bumerangeffekt vergessen: Es mag ja sein, dass das einzelne Flugzeug künftig 30 Prozent weniger Treibstoff benötigt – aber alle Schätzungen gehen davon aus, dass der weltweite Flugverkehr jährlich um etwa 3 Prozent zulegt. Am Ende würde also weitaus mehr CO2 ausgestoßen als heute.

Diesen Einwand kennen die Fluggesellschaften natürlich und haben ein zweites Argument parat: Sie bauen auf den technologischen Wunderglauben ihrer Gäste und versprechen klimaneutrale Treibstoffe. Noch einmal die Lufthansa: „Der Fokus liegt dabei auf […] biogenen Reststoffen, erneuerbarer elektrischer Energie (Power-to-Liquid, PtL) und Sonnenlicht (Sun-to-Liquid, StL).“ So viele englische Fachbegriffe – das muss doch klappen.

Tatsächlich klappt gar nichts. Um bei den „biogenen Reststoffen“ anzufangen, die der Laie „Biomüll“ nennt: Leider ist er knapp. Der Abfall aus Pflanzen und Tieren ist begrenzt, weil sich die fruchtbaren Böden nicht vermehren lassen. Bliebe die Idee, mittels Windkraft und Sonnenenergie synthetisches Kerosin herzustellen, indem man CO2 aus der Luft fischt und mit grünem Wasserstoff verbindet. Dieses PtL oder StL ist aber extrem aufwendig. Studien schätzen, dass Ökokerosin bis zu 40-mal so teuer wäre wie die fossilen Varianten aus Saudi-Arabien.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Ebenso wird gern vergessen, dass auch Ökokerosin Kondensstreifen erzeugt, die die Erde zusätzlich erwärmen. Dabei sind diese feinen Wolken hoch oben am Himmel sogar noch schlimmer als das CO2, das die Flugzeuge hinterlassen.

Fliegen hat keine Zukunft. Trotzdem wäre es falsch, den Passagieren ein schlechtes Gewissen einzureden und Flugscham zu verbreiten. Denn die Konsumenten sind nur Diener eines höheren Zwecks: Sie müssen fliegen, um Arbeitsplätze zu sichern. In Deutschland sind 850.000 Menschen direkt oder indirekt bei der kommerziellen Luftfahrt beschäftigt. Sie haben Kinder, müssen Kredite abbezahlen oder wollen für die Rente sparen. Der Abschied vom Fliegen kann daher nur gelingen, wenn diese Menschen abgesichert sind und neue Perspektiven erhalten. Für die Planung ist der Staat zuständig – nicht die Passagiere.

Dies mag nach Freibrief klingen, ist aber keiner. Denn der Staat, das sind ja wir. Trotzdem sollten wir beim Klimaschutz nicht die Ebene verwechseln. Gefragt sind die WählerInnen, nicht die KonsumentInnen.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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