Polnisches Spielfilmdebüt „Elefant“: Romeo und Romeo auf dem Dorfe

„Elefant“ ist Kamil Krawczyckis erster Spielfilm. Er erzählt eine heimliche Liebesgeschichte mit der Hohen Tatra im Hintergrund.

Dawid (Pawel Tomaszewski) und Bartek (Jan Hrynkiewicz) spazieren im Wald.

In „Elefant“ tasten sich Dawid (Pawel Tomaszewski, l.) und Bartek (Jan Hrynkiewicz) aneinander an Foto: Salzgeber

Er lebt dort, wo andere Urlaub machen, der junge Bartek, den wir in der Eingangsszene vor der malerischen Kulisse der polnischen Tatra durch die Landschaft reiten sehen. Dieser Film sei die polnische Antwort auf „Brokeback Mountain“, erklärt der Verleih auf seinem Plakat.

Na ja, mag sein, aber mehr noch als an Cowboys lässt diese ausgedehnte Pferdeszene an die galoppierende Libuše Šafránková aus „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ denken: Die wehenden Haare vor hügeliger Landschaft, die bewegte Kamera, die arpeggierte Begleitmusik umschreiben ein Gefühl von Freiheit und weisen zugleich auf deren sonstige Abwesenheit hin.

Tatsächlich ist Bartek (Jan Hrynkiewicz) nur dann wirklich frei, wenn er zu Pferde durch die Natur streift; denn ganz ähnlich wie Aschenbrödel ist er gefangen in einer familiären Zwangssituation. Der Vater hat sich vor langer Zeit abgesetzt, die Schwester ist nach Norwegen ausgewandert, und so bleibt allein Bartek übrig, sich um den ererbten Hof zu kümmern – und um die Mutter (Ewa Skibińska), die immer mehr in einen depressiven Grundzustand versinkt, zu viel trinkt und oft vor dem Fernseher einschläft.

Die Pferde sind sein Trost und seine Hoffnung, doch bisher kosten sie bloß Geld, statt welches einzubringen. Schon spricht die Mutter davon, sie verkaufen zu müssen.

„Elefant“. Regie: Kamil Krawczycki. Mit Jan Hrynkiewicz, Pawel Tomaszewski u.a. Polen 2022, 93 Min.

Traditionelle Einstellungen und gleichgeschlechtliche Liebe

Dann stirbt ein Nachbar, und dessen Sohn Dawid (Paweł Tomaszewski), der sich fünfzehn Jahre nicht im Ort hat blicken lassen, reist an. Bartek ist fasziniert von dem Fremden aus der Stadt, doch der gibt sich zunächst wenig zugänglich und scheint eher für sich bleiben zu wollen. Nach und nach entwickelt sich zwischen den ungleichen Männern jedoch eine Freundschaft, aus der bald mehr wird. Natürlich bleibt das im Dorf nicht unbemerkt.

Regisseur Kamil Krawczycki dramatisiert die entstehende Situation nicht ungebührlich klischeehaft, zeigt aber in mehreren Szenen, dass die traditionellen Einstellungen der Mehrheit der Dorfbevölkerung sich mit dem Konzept gleichgeschlechtlicher Liebe noch keineswegs vertragen. Es sind ausschließlich Männer (nicht: die Männer, sondern ein paar), die in dieser Hinsicht auffällig werden, darunter auch der Wirt der örtlichen Kneipe, bei dem Bartek zuvor gearbeitet hat.

Nun verliert er von einem Tag auf den anderen seinen Job, und es darf wohl darüber spekuliert werden, ob das damit zusammenhängt, dass der Wirt einen Sohn hat, mit dem Bartek sich früher immer ziemlich gut verstanden hat. Auch Barteks Mutter kämpft zunächst verzweifelt gegen die Liebesbeziehung ihres Sohnes an, aber vor allem deswegen, weil sie Angst um ihn hat – und davor, dass er sie allein lassen könnte.

Dass dieser Film sich ausdrücklich auf die Situation von LGBTQ-Menschen im ländlichen Polen bezieht, belegt eine Szene, in der Bartek abends müde von der Arbeit auf dem Sofa hängt. Aus dem Fernseher tönt dazu eine Nachrichtensprecherinnenstimme, die erklärt, man werde die LGBTQ-Gesetzgebung demnächst wieder verschärfen. Zur Begründung heißt es, das entspreche dem Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung.

Ein wenig Hoffnung geben

Für Schwule und Lesben sei es ziemlich schwer, in jener ländlichen Gegend im Süden Polens zu leben, aus der er selbst auch stamme, erklärt Regisseur Kamil Krawczycki im Presseheft. Mit dieser Geschichte wolle er ihnen ein wenig Hoffnung geben, „denn Hoffnung können wir in Polen gerade sehr gut gebrauchen“.

Dieser regionale Aktualitätsbezug macht aber nur einen Aspekt des Films aus. Vor allem ist er ein sensibles, ruhiges Kammerspiel, das in der Schönheit seiner Bilder nicht unnötig schwelgt, seine ProtagonistInnen nicht unnötig auserklärt und die Dialoge nicht mit Text überfrachtet. Zwischen den wunderbaren DarstellerInnen schwingt sehr viel Unausgesprochenes mit, das man sich zum Drehbuch hinzudenken kann oder auch nicht.

Ganz wie im richtigen Leben ist vieles Sache der Interpretation und eines gewissen Muts zum Risiko. Ob die Entscheidung, die Bartek am Ende trifft, die richtige ist oder nicht, kann niemand wissen, auch er selbst nicht. Aber so ist es eben.

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