Peking begrüßt Taiwans Verfassungsreform

Die neuen hohen Hürden für künftige Verfassungsänderungen in Taiwan sind ganz nach Pekings Geschmack

PEKING taz ■ Seit Jahren warnt die Regierung in Peking das von ihr als abtrünnige Provinz betrachtete Taiwan vor Verfassungsänderungen und droht mit Krieg, falls die Insel Schritte in Richtung Unabhängigkeit unternehme. Gestern aber war es soweit: Drei Tage nach Verabschiedung einer der umfangreichsten Verfassungsreformen der taiwanischen Geschichte musste Taiwans Präsident Chen Shui-bian die Reform öffentlich bekannt geben und zum Gesetz erklären. Doch auch gestern regte sich in Peking kein Laut. Mit keinem Wort erwähnten die staatlich kontrollierten chinesischen Medien Taiwans demokratische Neuordnung.

So wird es in Taiwan ab sofort keine für ganz China zuständiges Parlament mehr geben. Die einst mächtige, aus dem Vorkriegschina mit Ende des Bürgerkriegs 1949 nach Taiwan verlegte Versammlung beschloss mit der Reform ihre Selbstauflösung. Zugleich wurde die nunmehr allein für Taiwan zuständige gesetzgebende Versammlung, der Yuan, aufgewertet und reformiert. So wurde die Zahl der künftig zu wählenden Abgeordneten von 225 auf 113 reduziert. Zudem werden die Abgeordneten nicht wie bisher in Wahlkreisen mit mehreren Mandaten kandidieren, sondern nur noch ein Abgeordneter pro Wahlkreis gewählt werden. Ebenso werden künftige Verfassungsänderungen neu geregelt: Ihnen müssen dreiviertel der Abgeordneten zustimmen und in einem Referendum 50 Prozent der Bevölkerung.

Möglich gemacht hat die Reform ein Konsens zwischen der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) und der größten Oppositionspartei Kuomintang (KMT). Die beiden großen Parteien stimmten die Reform so ab, dass es kleinen Parteien in Zukunft sehr schwer gemacht wird, ins Parlament einzuziehen. Damit einher geht die Hoffnung vieler Taiwaner, dass den radikalen Unabhängigkeits- und Wiedervereinigungsbefürwortern, die in der Vergangenheit auch immer wieder mal für Schlägereien im Parlament sorgten, der Einfluss entzogen wird. Stattdessen soll ein gemäßigtes Zweiparteiensystem entstehen.

Bedeutsam sind auch die hohen Hürden, die für künftige Verfassungsänderungen gelegt wurden. Schon sprechen DPP-Mitglieder von einer Falle, in die ihre Parteiführung getappt sei, um die Reformen mit KMT-Hilfe durchzuziehen. Denn praktisch erhält die eine Vereinigung mit China anstrebende KMT eine Sperrminorität für weitere Änderungen.

Genau hier aber liegt wohl der Grund, warum sich Peking so still verhält. Die KP-Führung fürchtete bislang, dass der als Unabhängigkeitsbefürworter geltende Präsident Chen in seiner bis 2008 reichenden Amtszeit weitere verfassungsrechtliche Schritte in Richtung Unabhängigkeit der Insel einleiten würde. Das scheint nun aufgrund der von Chen selbst befürworteten Reform nahezu ausgeschlossen. Für Peking ist das ein positives Zeichen: „Langfristig steht die Verfassungsreform für eine Mäßigung der taiwanischen Politik“, sagte der Leiter des Instituts für internationale Studien der Peking-Universität, Jia Qingguo, der taz. GEORG BLUME