Brosamen des großen Geschäfts

Seit dem Ende der Apartheid wird Südafrika als Reiseziel immer populärer. Haben Schwarze in der Tourismusindustrie die Möglichkeit, mehr zu tun, als lediglich die Zimmer zu putzen? Gibt es bereits „faire“ Reisen nach Südafrika? Und was macht die Wahl schwarzer Anbieter für Touristen attraktiv?

VON ARMIN KÖHLI

Die kleine Schar der BesucherInnen applaudiert. Die jungen Zulu-Männer haben ihre nächtliche Vorführung von Kriegstänzen beendet, beleuchtet von einigen Fackeln und dem grellen roten Neonlicht der Tankstelle. Sie verschwinden im Dunkeln, auf der kleinen Wiese des Kinderspielplatzes, in einem ausgeweideten VW-Bus, um sich umzuziehen.

Auch bei Tageslicht erscheint der Ort im Zentrum des südafrikanischen Provinzstädtchens Pongola eher skurril. Der Spielplatz gehört zu einem kleinen Hüttendorf, das vor einigen Jahren als Informationszentrum für TouristInnen gebaut wurde. Die hübsche Anlage soll Reisende zu einem Halt in Pongola bewegen und dank Souvenirverkauf einigen Zulu-Frauen Arbeit bringen. Doch TouristInnen sind keine auszumachen, viele Souvenirs liegen längst verstaubt in den Regalen. Der Frust ist groß.

Tourismus ist in Südafrika bis heute noch immer ein weißes Geschäft. Zwar gibt es in der Tourismusindustrie viele Niedriglohnjobs für Schwarze, doch die Besitzverhältnisse sind klar: 2003 befanden sich gerade einmal 6 Prozent aller Betriebe im Besitz von „Previously Disadvantaged Individuals“ (früher benachteiligten Menschen), wie Nichtweiße in Südafrika heute umschrieben werden. Bis im Jahr 2011 sollen Nichtweiße 25 Prozent der EigentümerInnen in allen südafrikanischen Betrieben stellen – in der Tourismusbranche soll bis zum Jahr 2014 der Eigentumsanteil der nichtweißen Bevölkerung 30 Prozent betragen. Von diesem Ziel ist man weit entfernt.

Seit dem definitiven Ende der Apartheid im Jahr 1994 hat sich die Zahl der Touristenankünfte mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 8,8 Prozent verzehnfacht. Die Einnahmen aus dem internationalen Tourismus belaufen sich inzwischen auf umgerechnet über sechs Milliarden Euro (2003). Schwarze SüdafrikanerInnen, denen unter der Apartheid eigene Unternehmen verboten waren, stiegen als KleinstunternehmerInnen ins Geschäft ein – sie sind größtenteils AutodidaktInnen.

Dank einem staatlichen Förderprogramm für schwarze UnternehmerInnen erhielten sie ein Startgeld. Und das war’s dann auch. Die neuen GastwirtInnen bleiben auf sich alleine gestellt, selbst wenn ihnen Staat- oder Provinzregierung gelegentlich zu einem Stand an einer Tourismusmesse verhilft.

Es fehlt den schwarzen UnternehmerInnen an Weiterbildungsmöglichkeiten, an Marketingkapazitäten, auch an kulturellem Austausch. Typisch dafür ist das Kwantu Guest House in einem kleinbürgerlichen Vorort von Kapstadt. Es bietet den gleichen Standard wie jedes weiße B & B. Nocwaka Cynthia Mazaleni, die Besitzerin des Kwantu, hat ihr Geld und viel Arbeit vor allem in die kleine, vor teurer Dekoration strotzende Lobby gesteckt. Doch die Zimmer können nicht mithalten, und Mazalenis fehlende Erfahrung in der Hotellerie kann durch Eifer nicht wettgemacht werden. Westliche TouristInnen rümpfen die Nase, wenn die Schlafzimmer nach Mottenkugeln stinken, und sie reagieren verstört ob durchlaufender WC-Spülungen. Die Ratlosigkeit ist Mazaleni anzusehen. Sie weiß nicht, wie sie zu neuen KundInnen kommen kann.

Dabei bietet der Aufenthalt in schwarzen Unterkünften ein völlig anderes Südafrika-Erlebnis. Man muss nicht einmal im mittlerweile berühmten Kleinst- B & B Vicky’s im schwarzen Township Khayelitsha bei Kapstadt wohnen. (Vicky’s wird heute sowieso von jeder Township-Tour besichtigt.) Der Wahn der Apartheid wird genauso erfahrbar, wenn man in einem kleinen schwarzen Guest House in einem früher „Indern vorbehaltenen“ Quartier übernachtet. Dort erfährt man auch viel von den alltäglichen Widerstands- und Überlebensstrategien, aber auch von den immensen Schwierigkeiten, die Apartheid zu überwinden. Vielleicht fünfzig schwarze Hotels und B & Bs gibt es erst in ganz Südafrika. Dazu kommen einige schwarze oder farbige, also nichtweiße Tour-Operators, die etwa Township-Touren oder politische Stadtführungen anbieten. Das machen sie oft im Auftrag der großen, international tätigen Reisebüros. Doch solche Führungen sind kaum mehr als Brosamen des großen Geschäfts.

Am besten laufen jene schwarzen Hotels, die kaum auf ausländische TouristInnen ausgerichtet sind, sondern auf staatliche FunktionärInnen oder (schwarze) südafrikanische Geschäftsreisende. Sie profitieren davon, dass Ämter und Behörden Unternehmen in schwarzem Besitz bevorzugt behandeln und etwa Konferenzen dort abhalten, sofern geeignete Räume vorhanden sind.

Nicht von den Besitzverhältnissen, sondern von einem „fairen Anteil“ – sprich: branchen- und landesüblich gerechten Löhnen – geht die Initiative Fair Trade in Tourism South Africa (FTTSA) aus. Sie bietet ein Gütesiegel für Tourismusbetriebe. Neben fairen Löhnen beziehungsweise der gerechten Verteilung der Einnahmen fordert FTTSA Mitbestimmung der Beschäftigten, Respekt gegenüber Menschenrechten, Kultur und Umwelt, verlässliche Angebote, Transparenz über Eigentum und Geschäftsgang und nachhaltigen Umgang mit Ressourcen. Bisher sind erst zwölf Betriebe zertifiziert. Das Siegel ist in erster Linie ein Marketinginstrument für faire Betriebe. FTTSA bietet Betrieben, die zertifiziert werden wollen, aber auch Beratung und Weiterbildung an.

Trotz der noch bescheidenen Größe setzt FTTSA auf Masse und will mit den großen internationalen Reisebüros ins Geschäft kommen. Ein Beispiel dafür ist Village at Spier, eine Art Winzer-Disneyland in einem alten Weingut. Das Village ist Naherholungsgebiet für Menschen aus Kapstadt, zieht aber auch ausländische TouristInnen an. Der Hochglanzjahresbericht von Spier gibt Auskunft über alles, was fair Reisende interessieren kann: Der Anteil von Schwarzen und Frauen auf jeder Hierarchiestufe ist aufgelistet, die Mülltrennung und der recycelte Anteil davon, Landnutzung, Wasser- und Energieverbrauch, Weiterbildung des Personals und der Angehörigen, Aids-Prävention, Löhne und soziale Investitionen. Keine Frage: Adrian Enthoven, CEO des Betriebs im Besitz seiner Familie, meint es ernst mit fairem Handel. Und er kann es sich leisten. Er ist ein vorbildlicher – weißer – Patron. Und FTTSA ist ein weißes Konzept, obwohl auch schwarze Unternehmen zertifiziert sind.

Ein Glücksfall für TouristInnen ist die Phumulani-Lodge am Rande des Krüger-Nationalparks. Sie ist von FTTSA zertifiziert, und sie ist in schwarzem Besitz. Community based sogar, also im Besitz einer Gemeinschaft (nämlich des Stammes der Mdluli). Außerdem ist sie wunderschön gelegen, stilvoll gebaut und vergleichsweise günstig. Beim Bau der 17 Hütten waren 95 Prozent der ArbeiterInnen Mdluli, und heute sind alle Festangestellten Mdluli. Jene, die eine Hotelfachschule absolvieren konnten, bilden ihre KollegInnen aus. Seit die Mdluli das Management nicht mehr einer externen Beratungsfirma überlassen – Manager ist jetzt Amos Mdluli, ein Sohn des Königs –, läuft das Geschäft besser. Die etwa 10.000 Mdluli leben in vier Dörfern außerhalb des Krügerparks. 1969, bei der Erweiterung des Parks, waren sie vom Apartheidregime aus ihrem Stammesgebiet vertrieben worden. Im neuen Südafrika forderten sie ihr Land zurück, und sie erhielten Recht. 1.600 Hektar Land im Krügerpark gehören nun wieder ihnen. Zum Krügerpark gibt es keinen Zaun, denn die Mdluli haben sich an den Nationalpark angeschlossen. Dank ihrer Besitzrechte können sie den Gästen ihrer Lodge exklusive Safaris in ihrem Gebiet anbieten – beispielsweise auch nachts, wenn die Tore zum Krügerpark längst geschlossen sind. Vom Staat erhielten die Mdluli für das Gemeinschaftsprojekt Phumulani Lodge ein Startgeld.

Der Glücksfall Phumulani Lodge ist die Ausnahme. Viel öfter herrscht in schwarzen Tourismusprojekten Tristesse wie in Pongola vor. Auch Gemeinschaftsbesitz garantiert den Erfolg nicht, gerade gemeinschaftlich geführte Unternehmen sind der cleveren Konkurrenz oft unterlegen. Gemeinschaftliche Entwicklung ist auch längst nicht überall das Ziel. Es sei sowieso besser und effizienter, wenn jeder auf eigene Rechnung arbeite, sagt etwa Ben Mokoena, der Besitzer des Kilimanjaro Guest House im Provinznest Middleburg. Mokoena war lange als Kader des Afrikanischen Nationalkongresses ANC im Exil in Sambia; danach war er der erste schwarze Bürgermeister von Middleburg. Man müsse die Einzelnen fördern, sagt er heute überzeugt, nicht die Gemeinschaften.

Nicht aus politischer Korrektheit ist für TouristInnen die Wahl schwarzer Anbieter interessant. Man kann beim selben Abendessen mit einem ANC-Veteranen reden, der Gefängnis und Exil hinter sich hat, der über Weltpolitik und Neoliberalismus diskutieren möchte, und mit einem jungen, klugen, schwarzen Hotelier, der weiß, was er will: Geld verdienen mit einem vollen Haus.