Wahlkampf mit Argrarminister Özdemir: Bayrische Bauern übertönen Grüne

Landwirtschaftsminister Özdemir und die grüne bayrische Spitzenkandidatin Schulze treffen im Chiemgau wütende Landwirte und rechte Pöbler.

Cem Özdemir steht mit Hut und Wanderkleidung auf einer Alm, hinter ihm steht eine Kuh, die ihn nicht beachtet

Als Grüner in Bayern, das ist kein Heimspiel: Landwirtschaftsminister Özdemir Foto: Peter Kneffel/dpa

HART taz | Das Schrillen von Hunderten Trillerpfeifen, drei Stunden lang, Rufe von „Grüne Sau, hau ab“ bis „Wir sind das Volk“. Inmitten der idyllischen Hügel des Chiemgaus. Der Dienstagabend war ein Härtetest für die Grünen im bayrischen Wahlkampf – und für die Demokratie auf dem Land.

Mit Landwirtschaftsminister Cem Özdemir war die Bundesregierung ins Bierzelt gekommen, nach Hart, einem 500-Seelen-Dorf zwischen München und Salzburg. An diesem Abend feierten die Freiwillige Feuerwehr und der Burschenverein in diesem Jahr ihre Jubiläen. Traditionell gibt es in solchen Festwochen auch politische Abende. Bevor in der kommenden Woche CSU-Ministerpräsident Markus Söder im Harter Bierzelt spricht, hat der grüne Kreisverband Traunstein die bayrische Spitzengrüne Katharina Schulze und Özdemir eingeladen.

Anfang Oktober wählen die Baye­r:in­nen einen neuen Landtag. Die 1946 bis 1954 und durchgängig seit 1957 regierende CSU kommt aktuellen Umfragen zufolge auf ungefähr 40 Prozent, die Grünen auf 14 bis 15 Prozent der Stimmen. Bei der Wahl möchten sie so stark werden, dass Söder, der sein Amt vermutlich verteidigen kann, als Koalitionspartner nicht an ihnen vorbeikommt. Söder spricht den Grünen gern das „Bayern-Gen“ ab, im Bierzelt soll der Gegenbeweis angetreten werden, so offenbar das Kalkül.

Schulze ist die Richtige für so einen Auftritt, mögen die Grünen gedacht haben. Dass die 37-Jährige Ausstrahlung hat und gut reden kann, geben selbst politische Kon­kur­ren­t:in­nen zu. Und der Chiemgau bietet durchaus ein Potenzial für die Grünen. Mit Sepp Daxenberger wurde hier 1996 der erste grüne Bürgermeister Bayerns gewählt, in Waging am See. Auch in Bergen regiert mittlerweile ein Grüner, in Grassau ein schwuler ­SPDler. Bei diesen Machern vor Ort tritt die Parteizugehörigkeit in den Hintergrund.

Raunen über Pharmakonzerne und DDR-Verhältnisse

Beim Besuch der grünen Promis aus München und Berlin jedoch entlud sich die Wut auf die Ampel und die grüne Partei in einer Wucht, die alle Verantwortlichen überraschte. Für ländliche Verhältnisse war der Andrang enorm. 2.500 Menschen fanden im Festzelt Platz, weitere 300 hielten davor aus. „Wir wollen keinen Obrigkeitsstaat, auch keinen bunten“, war dort auf einem Plakat zu lesen. „US-Terror“, „Liaba Maßkriag wia Weltkriag“ auf anderen. Von DDR-Verhältnissen und der Unterwanderung der Grünen durch Pharmakonzerne und US-amerikanische Philanthropen war die Rede. Ein Vertreter des rechtsextremen Compact-Magazins bewegte sich mit Sym­pa­thi­san­t:in­nen über das Gelände.

Auf der anderen Seite des Zeltes stellten Bauern schon vor der Veranstaltung etwa 20 Traktoren in eine Reihe, daran Banner mit der Aufschrift „Bauerntod jetzt und hier, schuld sind Grüne und Özdemir“. Den Protest der Land­wir­t:in­nen hat Tobias Heiß mitorganisiert, er drückte den zum Zelt Strömenden pinke Trillerpfeifen in die Hand. Im Gespräch mit der taz kritisiert er die Ampel für ihre „Politik über die Köpfe hinweg“. Das treffe auf das Gebäudeenergiegesetz zu wie auch auf die Stilllegung landwirtschaftlicher Flächen, aus ökologischen Gründen wie auch für die Regulierung des Nahrungsmittelmarktes.

Auch Bio-Bauern kamen mit kritischen Fragen an die Landwirtschaftspolitik der Grünen nach Hart. Doch die Positionen der Po­li­ti­ke­r:in­nen hören konnten sie kaum, den über zwei Stunden hinweg übertönte ein organisiertes Pfeifkonzert die Redebeiträge fast völlig. Verängstigt oder genervt verließ deshalb eine ganze Reihe Be­su­che­r:in­nen die Veranstaltung. Vom Abbrechen war an den Tischen der Interessierten die Rede.

Doch die Landtagsabgeordnete Gisela Sengel und Katharina Schulze hielten dem Pfeifen zum Trotz ihre Reden. „Bei all den Trillerpfeifen nehme ich wahr, dass auch ihr nicht zufrieden seid mit der CSU-Politik in der Landesregierung“, versuchte Schulze die Stö­re­r:in­nen auf ihre Seite zu ziehen. Einen großen Teil ihrer Redezeit verwendete sie schließlich auf den Wert demokratischer Debatte. „Auf unsere Demokratie“, rief Schulze zum Schluss und hob ihren Maßkrug. Die Blaskapelle Traunwalchen antwortete mit einem Tusch.

Dem Festleiter Andreas Mayer und dem CSU-Bürgermeister der Gemeinde Chieming, Stefan Reichelt, gelang es schließlich, zumindest Cem Özdemir besseres Gehör zu verschaffen. Bei aller Kritik an den Grünen müsse es möglich sein, den Redner anzuhören, sagten die beiden zu der trillernden Menge. Der Lärm ließ zumindest ein wenig nach. „Lasst ihn reden. Auf unsere Demokratie sind wir stolz“ sagte Reichelt, wenn auch ein wenig spät am Abend.

Özdemir streckte dann in seiner Rede auch die Hand Richtung Konservative aus, betonte als Schwabe die eigene „Art, wie wir im Süden Politik machen“, und führte eine Art Faktencheck in eigener Sache vor. Ohrenbetäubend laut wurden seine Kri­ti­ke­r:in­nen erst wieder, als Özdemir das Matthäus-Evangelium zitierte: „Nicht sieben mal sollt ihr vergeben, sondern siebzig mal sieben mal.“ Mit dem Evangelium konnten sie im Chiemgau noch nie viel anfangen. Vielleicht, weil das nach evangelisch klingt. Und da sind die Bayern doch anders als die Schwaben.

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