Parlament der Ukraine: Überläufer und Thailand-Urlauber

Seit Krieg herrscht, sinkt die Zahl der Abgeordneten im ukrainischen Parlament. Die Gründe sind vielfältig – und alarmieren auch den Präsidenten.

Wlodomir Selenskkij hält vor dem ukrainischen Parlament eine Rede

Selenski hält am 28. Juni eine Rede vor dem ukrainischen Parlament, das immer kleiner wird Foto: imago

LUZK taz | Das ukrainische Parlament schrumpft. „Ich habe ausgerechnet, dass seit 2019, seit ich Abgeordneter bin, 42 meiner Kol­le­g*in­nen das Mandat niedergelegt haben, drei weitere sind gestorben“, sagt der Parlamentarier Jaroslaw Schelesnjak. Auch wenn die Gründe unterschiedlich gewesen seien: 10 Prozent seiner 450 Mitglieder habe die Werchowna Rada mittlerweile verloren.

Die Mehrheit derer, die freiwillig gingen, sind Vertreter der Oppositionspartei „Plattform – für das Leben“. Hierbei handelt es sich um eine prorussische politische Kraft, die in der Ukraine bereits verboten ist und von Wiktor Medwedtschuk, einem guten Freund von Russlands Präsident Wladimir Putin, angeführt wird. Wenige Tage vor Beginn des Kriegs im Februar 2022 flohen die meisten ihrer Abgeordneten ins Ausland. Danach wurden entweder Ermittlungen gegen sie eingeleitet oder ihnen wurde die ukrainische Staatsbürgerschaft entzogen.

Jüngstes Beispiel ist Alexander Ponomarew. Der Abgeordnete aus Medwedtschuks Fraktion wurde wegen des Verdachts auf Hochverrat festgenommen. Ponomarews Fabriken lieferten Schmierstoffe für die militärische Ausrüstung russischer Truppen in der Südukraine. Seit Kriegsausbruch wurden etwa 20 einflussreiche Medwedtschuk-Abgeordnete aus der Rada ausgeschlossen, weil sie entweder des Hochverrats, der Kollaboration oder der Verbreitung negativer Informationen über die Ukraine verdächtigt wurden. Die meisten von ihnen waren wichtige Stützen des Regimes von Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch. Den Einzug ins Parlament verdankten sie den Stimmen der Wäh­le­r*in­nen im Osten und Süden der Ukraine.

Ukrainer dürfen ihr Land nicht verlassen

Auch in der Präsidentenpartei Diener des Volkes von Wolodimir Selenski gab es Überläufer. Im Sommer 2022 kündigte Aleksei Kowaljow eine Zusammenarbeit mit den russischen Besatzern an und erhielt einen Posten in der Region Cherson. Vor einem Jahr wurden er und seine Frau in der Nähe ihres gemeinsamen Hauses erschossen. Einige Tage später entzog die Rada Kowaljow posthum seine Befugnisse.

Das Büro des ukrainischen Präsidenten ist über einen weiteren Trend besorgt: die Verletzung moralischer Standards und die Korruption unter den Abgeordneten der Dieners des Volkes. Im Sommer wurden mehrere Parlamentarier aus der Fraktion und dem Parlament ausgeschlossen, die sich, obwohl Männer während des Krieges nicht das Land verlassen dürfen, teure Urlaube im Ausland gegönnt hatten.

Jour­na­lis­t*in­nen machten den Abgeordneten Juri Aristow in teuren Wohnungen auf den Malediven ausfindig. Auf Facebook gab er an, dass die Auslandsreise auf legaler Grundlage stattgefunden habe. Dann reichte er umgehend seinen Rücktritt ein. Bereits zuvor war ein Abgeordneter aus Selenskis Fraktion ausgeschlossen worden, der dem Präsidenten besonders nahegestanden hatte. Nikolai Tischschenko hatte in Thailand Urlaub gemacht und dann erklärt, dass er zu einem wichtigen internationalen Treffen gereist sei.

Von alldem erfuhren die Ukrai­ne­r*in­nen aus den Medien. Zudem fallen die Skandale auf Selenski selbst zurück, der an Zustimmung einbüßt. Nun machen Gerüchte die Runde, dass es künftig anders laufen soll: Abgeordnete der Selenski-Fraktion dürfen nur noch ausreisen, wenn das Präsidialamt ausdrücklich zustimmt.

Aus dem Russischen Barbara Oertel

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.