Sommerserie „Wie riecht Berlin?“ (3): Der frische Duft von Limette-Minze

Der Geruch von Shishabars lässt sich mancherorts nicht überriechen. Ein Besuch gibt Anlass, über Habitusfragen und Clan-Debatten nachzudenken.

Shishas stehen in einem Laden zum Verkauf

Noch geruchsfrei: Shishas warten auf ihren ersten Einsatz Foto: IMAGO / F. Anthea Schaap

BERLIN taz | An einem dieser warmen Sommertage fahre ich mit meinem Fahrrad durch Charlottenburg. Die Sonne scheint auf den Asphalt und es riecht, wie es im Sommer oft in Berlins Straßen riecht: nach einer Mischung aus trockener Luft, Lindenblüten, Asphalt und Abgasen. Auf einmal – pffffffftt – höre ich, wie die Luft aus meinem Vorderrad strömt.

„Och nö, nicht schon wieder“, denke ich. Erst am Vortag habe ich einen Platten am Vorderrad geflickt. Jetzt also der zweite. Als ich an der Kreuzung Leibnizstraße Ecke Bismarckstraße zum Stehen komme, weht mir ein neuer Geruch in die Nase. Es ist der süßliche Geruch von Shishatabak. Ich tippe auf Pfirsicharoma.

Vor knapp zehn Jahren, als ich als Teenager angefangen habe, Beck’s Ice zu trinken und auf Partys zu gehen, gab es in meinem Freundeskreis einen Trend: Shisharauchen war irgendwie angesagt. In meiner Freundesgruppe hatten wir sogar zusammengelegt, um uns eine „Gruppen-Shisha“ anzuschaffen.

In Berlin sind Shishabars nicht einfach nur ein Trend, sondern seit etlichen Jahren fest etabliert. Über 300 soll es geben, auch auf berlin.de, dem „offiziellen Hauptstadtportal“, sind auf einer eigenen Shishabar-Seite etliche gelistet. Vor allem in Kreuzberg, in Neukölln entlang der Sonnenallee, in Wedding und in Moabit an der Turmstraße weht einem der süßliche Geruch in die Nase.

Das Berliner Liedgut ist in der Geruchsfrage unentschieden: Einerseits weiß es von einem „holden Duft, Duft, Duft“, die die „Berliner Luft, Luft, Luft“ sein soll. Das bekannte Paul-Lincke-Lied, das mindestens genauso als inoffizielle Hymne der Stadt gelten darf wie „Schwarz zu Blau“ von Peter Fox, der in seinem Liebeslied an Berlin allerdings nichts von einer holden Note riecht. Im Gegenteil: „Und überall liegt Scheiße, man muss eigentlich schweben“. Berlin: Mal müffelt es, mal duftet es fein. Und vieles dazwischen. In unserer Sommerserie wollen wir die Stadt riechen, immer der Nase nach. Nachlesen der bereits erschie­nenen Folgen geht online unter taz.de/Wie-riecht-Berlin/!t5951931.

Jetzt stehe ich da mit meinem platten Reifen an der Kreuzung und der Shishageruch erinnert mich an vergangene Zeiten. Warum gehe ich eigentlich nicht in Shishabars? Alt genug wäre ich mittlerweile. In andere Kneipen gehe ich ja auch. Aber dort gibt es eben einen Zapfhahn, der in vielen Shishabars fehlt.

Bestimmt hat diese Shisha-Abstinenz auch etwas mit meinem Habitus zu tun, schaltet sich mein Soziologenhirn ein. Bis zum fünften Semester gab es gefühlt noch kein Seminar, in dem nicht die Theorie über den Habitus als die „Leib gewordene Geschichte“ von Pierre Bourdieu vorkam. Und ehrlicherweise hängen in Shishabars Leute ab, mit denen ich sonst nichts zu tun habe. Ich bewege mich in einer anderen Blase. In einem anderen „Milieu“, würden So­zio­lo­g:in­nen sagen.

Spuren von Bullshit

Hinzu kommen diese Geschichten über die kriminellen Clans und arabische Großfamilien mit den konspirativen Treffen in den Shishabars! Dass das Bullshit ist, weiß ich eigentlich. Doch die reißerischen Zeitungsartikel und tendenziösen Fernsehbeiträge über Razzien und Großeinsätze der Polizei in Shishabars sind auch an mir nicht spurlos vorbeigegangen.

Anfang des Jahres ist eine Studie dreier So­zio­lo­g:in­nen der Humboldt Universität erschienen. Sie haben sich die Berichterstattung zahlreicher Medien über „arabische Clans“ angesehen. Die Forschenden kommen zu der Erkenntnis, dass vor allem diese „arabischen Clans“ im Vergleich zu anderen, etwa türkeistämmigen oder aus dem Westbalkan stammenden Großfamilien, besonders häufig kriminalisiert und rassifiziert werden.

Die Schlussfolgerung der Forschenden: Die Medien verbreiteten eine klare Botschaft, die lautet: Um den „Verfall der deutschen Zivilgesellschaft“ zu beenden, müssten die arabischen Clans kontrolliert und zurückgedrängt werden.

Dass infolge solcher Berichterstattung in der Öffentlichkeit das Bild krimineller Großfamilien entsteht, liegt nahe. Die Tatsache, dass „Clankriminalität“ im Jahr 2021 nur knapp 0,2 Prozent der insgesamt erfassten Straftaten in Berlin ausmachte, zeigt, wie verzerrt die Debatte ist.

Diese Kombination aus Vorurteilen, meinem sozialen Milieu und einer Vorliebe für Kneipen mit Alkoholausschank hat mich bis jetzt davon abgehalten, einen Abend in einer Shishabar zu verbringen. Als ich mein plattes Rad nach Hause schiebe, beschließe ich: Das muss sich ändern!

An einem späten Mittwochabend bin ich um 22.30 Uhr in Moabit mit einem Kumpel in einer Shishabar verabredet. Er hat sich bereits einen Platz gesucht und sitzt draußen in einem der tiefen Sessel mit großen weißen Kissen. Die weißen Schwaden über den Sesseln riechen schon von Weitem künstlich nach Waldbeere und Apfel.

Als ich ankomme, müssen wir beide schmunzeln. Offensichtlich bin ich nicht der Einzige, der sich ein wenig fehl am Platz und unsicher fühlt. Als sich nach einiger Zeit noch niemand nach unseren Wünschen erkundigt hat, fragen wir uns, ob wir zum Bestellen rein müssen. Mein Kumpel fragt die drei Jungs hinter uns, ob jemand rauskommt, um die Bestellung aufzunehmen. „Die bringen eigentlich ’ne Karte raus“, sagt einer von ihnen. Er gibt uns aber freundlicherweise schon mal seine. Als nach weiteren fünf Minuten immer noch niemand da ist, gehe ich zum Bestellen an den Tresen.

Ganz im Gegensatz zu so mancher Berliner Eckkneipe riecht es drinnen nicht nach Bier und Zigarettenrauch, sondern angenehm frisch. Die Fruchtaromen scheinen den Tabakgestank zu überdecken.

Dekorativer Glühdraht

Über der Bar hängen große Glühbirnen mit dekorativem Glühdraht. Auf zwei Monitoren laufen Musikvideos, aus den Lautsprechern schallt leise Deutschrap. An der Wand prangt in blauer Neonschrift: „Every moment has it’s flavour.“

In der Tat bietet die Bar 14 verschiedene Aromen an. Neben klassischen Sorten wie Apfel oder Wassermelone gibt es auch nebulösere, etwa „Red Magic“ oder „Bruderherz“. Nach was die wohl schmecken? Traube-Minze sei das meistbestellte Aroma, sagt der freundliche junge Mann, der mich berät. Ich entscheide mich für Limette-Minze und bestelle eine Fassbrause und KiBa dazu. Alkohol steht nicht auf der Karte. Das sei auch so gewollt, meint der junge Mann hinter dem Tresen.

Kurze Zeit später bringt er unsere vorbereitete Shisha und die Getränke an den Tisch. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Beim ersten Zug glühen die drei Kohlewürfel in der Nacht auf. Das Wasser in der Bowl, dem großen Glasbehälter, blubbert. Als ich den Rauch einatme, fühle ich mich wieder wie mit 15. Der Rauch ist kalt, leicht fruchtig und schmeckt wie versprochen nach Minze und Limette. Zum Glück ist er nicht so dominant-süßlich wie der Geruch, der mir in Charlottenburg in die Nase gestiegen ist.

Das Blubbern entspannt und wir reichen uns den Schlauch hin und her. Der Rauch kratzt nicht im Rachen und schmeckt im Gegensatz zu einer Zigarette angenehm frisch. Dabei ist Shishatabak nicht weniger schädlich. Es ist der gleiche Tabak wie für Zigarren und Zigaretten. Nikotinfreien Tabak gibt es auch.

Die Aromen werden entweder direkt aus Früchten extrahiert oder chemisch hergestellt. Zusammen mit Melasse aus Zuckerrohr und Glycerin, welches für den dichten Rauch sorgt, werden die Aromastoffe dann mit dem Tabak vermischt.

Um halb zwölf hat sich die Bar in dieser Mittwochnacht in Moabit deutlich geleert. Innen sitzt noch der Chef und zieht an seiner Wasserpfeife. Auch mein Kumpel und ich gehen bezahlen. 13 Euro für einen Kopf finde ich happig. Passionierter Shisharaucher werde ich wohl nicht mehr werden.

Die entspannte Atmosphäre aber, der freundliche Service und der frische Geruch von Limette-Minze werden mir in Erinnerung bleiben.

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