Ausgehen und rumstehen
von Dirk Knipphals
: Endlich die Klappe halten beim Sommerfest im LCB

Dieses Wochenende stand im Zeichen der Bücher; nur zum Lesen bin ich nicht gekommen.

Am Samstag habe ich mal wieder Bücher an die Straße gestellt. Ein neuer großer Schrank war fällig, zwei Billys samt Inhalt mussten weichen. Welche Bücher sortiert man aus, welche behält man? Ich habe mich schließlich dazu entschieden, die Exemplare stehen zu lassen, bei denen ich mich noch daran erinnern kann, in welchen Lebenssituation und wann ich sie gelesen habe. Die Bücher mit emotionalen Bindungen halt.

Die Chandler-Sachen von Diogenes, auch die alte „Anna Karenina“-Ausgabe, selbst wenn die neue Übersetzung selbstverständlich viel besser ist – so etwas bleibt. Getrennt habe ich mich von den Bänden, die ich immer mal lesen wollte, aber nie gelesen habe, von manchem Roman der alten Bundesrepublik sowie von philosophischer Sekundärliteratur. Der Sammelband „Mit den Ohren denken“, über Adornos Musikphilosophie, das kam in den „Zum Mitnehmen“-Karton, die Adorno-Bände selbst aber bleiben im eigenen Bücherregal, klar.

Die Bücher gingen rasend schnell weg, auch „Mit den Ohren denken“. Jede Stunde lief ich die Treppe runter, schaute in den Karton neben der Haustür und konnte nachfüllen. In Schöneberg-Nord scheint viel gelesen zu werden. Wer solche Nachbarn hat, muss nicht zu Kulturpessimismus neigen.

Am nächsten Tag war das diesjährige Sommerfest des LCB, diesmal ausgerichtet mit dem Ullstein-Verlag, vom traditionellen Samstag auf den Sonntag verschoben, weil Samstag die Einschulungen der Erstklässler anstanden, die sich ja immer mehr zu einem großen Familienfest entwickelt haben. Es war im Literarischen Colloquium sehr voll. Der große, sanft zum Wannsee hin abfallende Garten präsentierte sich mit auf den Rasen sitzenden und herumflanierenden Besuchern und Besucherinnen gut gefüllt. Vor dem Haus gab es ein viel frequentiertes Zelt mit Kinderprogramm.

Auch hier: viel Interesse für Literatur. Allerdings war für mich das ganze Setting fast zu sehr aufs Programm ausgerichtet. Bei früheren LCB-Sommerfesten gab es eine Arbeitsteilung. Unten am See und oben hinterm Haus standen Bühnen. Da konnte man zuhören. Oder es sein lassen. Denn im Bereich dazwischen konnte man vom Programm unbehelligt quatschen, sich treffen, auf dem Rasen herumlungern, Bratwurst essen; also als bekennende Buchmenschen, ohne das groß heraushängen zu lassen, eine nette Zeit verbringen. Sommerfest halt.

In diesem Jahr gab es nur eine Bühne, deren Anlage aber dafür so laut eingestellt war, dass sie das gesamte Gelände beschallte. Was die Anmutung von der Gartenparty in Richtung Frontalprogramm verschob. Zweimal wurde ich, als ich den Come-together-Aspekt stark machen wollte und den Smalltalk in der mich umgebenden Gruppe suchte, sogar von Zuhörerinnen empört aufgefordert, doch bitte ruhig zu sein (ehrlich gesagt, fiel sogar ein Wort wie „Endlich die Klappe halten“, Ber­li­ne­r*in­nen können, wenn sie ihre eigene Perspektive durchsetzen wollen, resolut sein). Vom Partygast war man so unweigerlich zum Teil eines Publikums geworden.

Robert Seethaler trat dabei auf, Yasmin Polat, Reinhold Beckmann. Und Fatma Aydemir, Enrico Ippolito, Miryam Schellbach stellten, moderiert von Theresia Enzensberger, ihre neue Literaturzeitschrift Delfi vor (Besprechung der ersten Ausgabe folgt). Irgendwann hatte ich auch einen Standpunkt gefunden, an dem ich mich ungestört austauschen konnte. Viele Leute kamen vorbei. Scherzworte flogen. Es wurde sehr nett.

Der bleibende Eindruck dieses Wochenendes also: Über das Interesse an der Literatur braucht man sich zum einen keine Sorgen zu machen. Schon gar nicht bei so schönem Ausflugswetter. Warum zum anderen trotzdem gerade nicht so viele Bücher verkauft werden, steht auf einem anderen Blatt. Am Samstag hatte mich noch die Meldung erschreckt, dass es in den USA nur 0,4 Prozent der Neuerscheinungen schaffen, den Verlagen Gewinne und den Au­to­r*in­nen anständige Honorare zu erwirtschaften. Aber auf Sommerfesten schlechte Laune zu verbreiten bringt ja auch keinen weiter.