Jüdische Stimmen zum Fall Aiwanger: „Ein Alarmsignal“

Bayerns Ministerpräsident Söder solle sich von seinem Vize Aiwanger trennen, fordert Hanna Veiler von der Jüdischen Studierendenunion. Auch andere üben Kritik.

Portrait

Hanna Veiler ist seit Mai Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands Foto: Donya Joshani

BERLIN taz | Die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) hat den Verbleib Hubert Aiwangers als bayerischer Vize-Regierungschef kritisiert. „Ministerpräsident Markus Söder sollte sich von Aiwanger trennen“, sagte Hanna Veiler der taz. Zwar sei es „nachvollziehbar“, dass Söder (CSU) sich kurz vor der Landtagswahl aus politisch-strategischen Gründen gegen eine Entlassung oder zumindest Beurlaubung Aiwangers und damit den Bruch der Koalition entschieden habe. „Aber es ist falsch.“

Die Entscheidung sende ein Alarmsignal an Jüdinnen und Juden in Deutschland und setze Maßstäbe: „Du kannst in Deutschland als Politiker in Machtpositionen kommen und diese auch behalten, obwohl du Antisemitismus relativierst.“ Schon vergangene Woche hatte die JSUD-Präsidentin eine Petition gestartet, Aiwanger bis zur vollständigen Aufklärung des Falls mindestens zu beurlauben.

Aiwanger steht wegen eines antisemitischen Flugblatts in der Kritik, das in seiner Schulzeit in seiner Tasche gefunden wurde. Ebenso wird ihm vorgeworfen, als Schüler etwa den Hitlergruß gezeigt zu haben. Inzwischen erklärte Aiwangers Bruder, Verfasser des Flugblatts zu sein.

Söder hatte am Sonntag entschieden, an seinem Stellvertreter und Wirtschaftsminister festzuhalten. Dieser stellte sich als Opfer einer Kampagne dar, durch die er „politisch vernichtet“ werden solle. CDU-Parteichef Friedrich Merz sagte, Söder habe den Fall „bravourös gelöst“.

„Wahnsinnig enttäuschend“

„Es geht nicht nur darum, dass dieses Pamphlet existiert. Es geht um den Umgang Aiwangers und vieler Konservativer mit diesem Skandal“, so Veiler. Statt sich wirklich gegen Antisemitismus einzusetzen, stehe viel zu oft das eigene Image im Vordergrund. „Das passt nicht zu dem Selbstbild, das die Deutschen gerne an Gedenk­tagen wie zu den Novemberpogromen oder zum Holocaustgedenktag von sich zeichnen.“

Laura Cazés von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) nannte es „für viele jüdische Menschen in Deutschland wahnsinnig enttäuschend“, dass der Fall nun ohne echte Aufklärung und ohne jedwede Konsequenzen für Aiwanger für beendet erklärt werde.

Zwar müsse die konkrete politische Entscheidung in diesem Fall akzeptiert werden. Diese dürfe aber nicht isoliert betrachtet werden. „Wir erleben in Deutschland immer wieder antisemitische Handlungen und Holocaustrelativierungen, und viele jüdische Menschen fragen sich: Was muss passieren, damit diese nicht immer wieder als Einzelfall, als Jugendsünde oder als Bagatelle abgetan werden?“

Auch Cazés kritisierte, die Auseinandersetzung mit Antisemitismus und der deutschen Geschichte sei für Po­li­ti­ke­r*in­nen „immer dann besonders wichtig, wenn man Schilder mit ‚#We Remember‘ in Kameras halten oder Kränze niederlegen kann – ohne, dass dieser Symbolpolitik ein echter Auseinandersetzungsprozess folgt“.

„Ritualisierung der Diskussion“

Der Publizist Max Czollek nannte den Vorgang „ernüchternd“. Der Fall Aiwanger sei für Söder und die Konservativen in Deutschland ein „schmerzhafter Moment, weil der moralische Anspruch mit Fragen des politischen Machterhalts in Konflikt gerät“. Die Causa sei eingebunden in „eine Bewegung der Gesellschaft nach rechts, die es wohl seit 1945 so nicht gegeben hat“. Czollek warf den Unionsvorsitzenden Söder und Merz vor, „weiter Öl ins Feuer“ zu gießen.

Der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank kritisierte eine „Ritualisierung der Diskussion um Antisemitismus“. Diese sei ein Problem, unabhängig davon, ob Aiwanger letztlich im Amt bleibe oder nicht: „Jeder nimmt reflexhaft seine Rolle an; die Schlussstrich-Forderer auf der einen Seite und die Wächter der Einnerungskultur auf der anderen“, so Mendel.

„Der Betreffende macht erst jede Menge Ausflüchte, entschuldigt sich dann, und der Antisemitismusbeauftragte hat schon die Zauberlösung parat: das Reinwaschen durch einen Gedenkstättenbesuch.“ Immer wieder gebe es solche Skandale, in denen es selten wirklich um die Frage des Umgangs mit Antisemitismus und der deutschen Geschichte gehe.

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