„Fernsehen ist Sex-Appeal“

GESICHT Was macht das Fernsehen mit dem Körper? Es betrügt seine Zuschauer, sagt der Maskenbildner

„Es sind die Unterschiede, die einen Menschen verdammt sexy machen können“

Ein heftiger Streit zwischen einer Frau und einem Mann. Er hat sie betrogen. Sie macht Schluss. Rotz und Wasser heulend verlässt sie das traute Heim. Für diese dramatische Szene sollte ich einmal eine Schauspielerin schminken. Verlaufenes Make-up, verstrubbelte Haare, gerötete Augen. So würde jede Frau – meiner Vorstellung nach – dann aussehen. So habe ich die Protagonistin maskiert. Doch das war falsch. Wo bliebe denn der Sex-Appeal, habe ich vom Regisseur zu hören bekommen.

Der macht Fernsehen aus, der Sex-Appeal. Ob weinend, ob betrunken oder gerade aufgestanden, vor der Kamera müssen alle sexy und perfekt aussehen – immer. Wer nicht mehr dem gängigen Schönheitsideal entspricht, wird durch Jüngere ersetzt. Frauen ab einem bestimmten Alter sind nicht mehr telegen und werden vom Bildschirm verbannt. So sind die Regeln.

Es macht Spaß, eine Frau schön zu schminken. Im Kino oder im Theater werden durch Masken Charaktere geschaffen – im Fernsehen gilt Schema F. Als Maskenbildner begleite ich Personen mehrere Stunden lang. Sie müssen nach zehn Stunden Arbeit genauso aussehen wie zehn Stunden zuvor. Das ist mein Job. Jedes Detail muss stimmen, jedes Härchen sitzen. Das ist Einzelbetreuung, die sich kein Normalsterblicher leisten kann. Doch nur wenige wissen das. Das Ideal, nach dem alle streben, gibt es nur im Fernsehen.

Fernsehen wird dadurch gefährlich, es verschiebt die Wahrnehmung: Es ist nicht realistisch, wenn die Frisur, das Make-up nach dem Sex perfekt sitzen. Es ist unrealistisch, dass nach einen Kuss nicht der Lippenstift verwischt – aber ist es nicht genau das, was Leidenschaft ausmacht?

Noch gefährlicher wird das Fernsehen, wenn es um Gewalt geht: Auch beim Opfer müssen Frisur und Maske sitzen. Das kann Kinder und Jugendliche motivieren, wenn sie denken, es passiere nichts, wenn man jemanden schlägt und tritt.

Ich muss oft daran denken, wie „schön“ und ebenmäßig Gesichter im Fernsehen aussehen – und wie austauschbar. Die Narbe im Gesicht einer Frau ist natürlich und hat eine Geschichte. Sind es nicht die Unterschiede, die einen Menschen ausmachen, die besonderen Merkmale, die einen von der Masse abheben und gerade deshalb verdammt sexy sein können?

■ Grischa Hörmann, 38, ist freiberuflicher Maskenbildner