Ukrainische Geflüchtete in Deutschland: Die Solidarität ist ungebrochen

Die Belastung der Kommunen ist durch den Angriffskrieg gestiegen. Dennoch unterstützt die Bevölkerung die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter.

Das Wort "Welcome" umgeben von Handabdrücken auf einer Wand

Willkommeszeichen: Aufenthaltsraum im Ankunftszentrum Tegel Foto: Stefanie Loos

BERLIN taz | Wenn Po­li­ti­ke­r*in­nen dieser Tage über Flucht und Geflüchtete sprechen, dann geht es zumeist um eins: um Probleme. Die Unterstützung für die etwas mehr als eine Million Geflüchteten aus der Ukraine scheint das bisher aber nicht zu mindern. „Die Solidarität in der Bevölkerung gegenüber Menschen aus der Ukraine ist immer noch sehr hoch“, sagt etwa der Politikwissenschaftler Hans Vorländer, Vorsitzender des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR).

Schon seit anderthalb Jahren läuft der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Am Donnerstag begeht die Ukraine nicht nur ihren Unabhängigkeitstag, vor nun genau 18 Monaten am 24.2.22 hatte Russland die Ukraine attackiert. Die Ukrai­ne­r:in­nen haben sich gewehrt, ein Ende der Kämpfe ist nicht abzusehen. US-Präsident Joe Biden hatte auf die Frage, wie lange der Westen die Ukraine unterstützen würde, geantwortet: „As long as it takes“. So lange es notwendig ist. Zum Jahrestag fragt die taz in einem Dossier: Was heißt das eigentlich genau? Wie lebt es sich in der Ukraine mit dem Krieg? Wie wirken die Sanktionen in Russland? Wie ist die militärische Lage im Land? Und wie sieht es mit der Unterstützung der aus der Ukraine Geflüchteten in Deutschland aus?

Fast 11 Millionen Menschen mussten seit Beginn des russischen Angriffskriegs aus ihrer Heimat fliehen, davon hat Deutschland rund 1,1 Millionen aufgenommen. Für sie gelten hierzulande andere Regeln als für die meisten Ge­flüch­te­ten: Die EU aktivierte im März 2022 die sogenannte Massenzustromrichtlinie, wonach Ukrai­ne­r*in­nen hier kein Asyl beantragen müssen. Sie erhalten „temporären Schutz“, können sofort arbeiten, sich selbst eine Wohnung suchen, statt in eine Unterkunft ziehen zu müssen – und sich innerhalb der EU frei bewegen.

In den vergangenen Wochen und Monaten hatten Bund, Länder und Kommunen heftig um die Versorgung und Integration Geflüchteter gerungen. Kommunale Spitzenverbände warnten, die Kommunen seien am Limit und bräuchten mehr Geld. Der Bund sicherte schließlich 1 Milliarde Euro zu.

Außerdem gab Deutschland sein Ja zu massiven Asylrechtsverschärfungen auf EU-Ebene, um die Zahl der Ankommenden zu reduzieren, während hierzulande mal wieder überlegt wird, wie man schneller und mehr abschieben könne.

Hoher Bedarf an Kita- und Schulplätzen

Diese Debatte dreht sich aber bisher vor allem um Geflüchtete aus anderen Drittstaaten wie Syrien oder Afghanistan – und nicht um Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind. Als etwa Niedersachsens Städtetagspräsident im Februar eine „Atempause“ für bestimmte Städte und Kreise bei der Aufnahme geflüchteter Ukrai­ne­r*in­nen forderte, stellte er im selben Atemzug fest: Er sei keineswegs für einen Stopp des Zuzugs.

Man höre durchaus von Problemen in stark belasteten Kommunen, gerade aus größeren Städten, so Vorländer. Aus der Ukraine sind vor allem Frauen geflüchtet, viele von ihnen mit kleinen Kindern, während die Männer an der Front kämpfen. Entsprechend hoch ist der Bedarf an Kita- und Schulplätzen.

Auch die Unterbringung ist mitunter ein Problem, weil viele Menschen gleichzeitig kommen, während in den vergangenen Jahren Unterbringungsplätze abgebaut wurden und der private Wohnungsmarkt vielerorts ohnehin angespannt ist.

Solidarität für Geflüchtete

Geflüchtete

Fast 11 Millionen Menschen aus der Ukraine mussten aus ihrer Heimat fliehen, seit Russland am 24. Februar 2022 den Krieg auf das ganze Land ausdehnte. Der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge sind davon rund 5,1 Millionen Binnenvertriebene, fast 5,9 Millionen sind laut ­UNHCR bislang in Europa als Schutzsuchende registriert worden.

Aufnahmeländer

Fast 1,1 Millionen halten sich laut Ausländerzentralregister in Deutschland auf. Damit hat die Bundesrepublik zahlenmäßig die meisten Ukrai­ne­r*in­nen aufgenommen, dicht gefolgt von Polen mit etwa 970.000. Die an die Ukraine grenzende Republik Moldau, die selbst nur rund 2,5 Millionen Ein­woh­ne­r*in­nen hat, hat mit rund 117.000 relativ gesehen deutlich mehr Menschen registriert.

Aktuelle Entwicklung

Die Zahl der Neuankommenden ist zuletzt wieder leicht angestiegen, lag im Juni 2023 aber mit rund 23.000 deutlich geringer als zu Hochzeiten – im März 2022 waren es über 430.000. (dir)

„Vor allem die mit dem Thema befassten Behörden sind vielerorts an der Grenze der Belastbarkeit, manchmal darüber hinaus“, konstatiert Vorländer. Das wirke sich zwar stark auf die aktuelle Asyldebatte aus. „Aber dass es zu Akzeptanzproblemen gegenüber Menschen aus der Ukraine führt, konnten wir bisher nicht feststellen.“

Tatsächlich ist die Unterstützung für Ukrai­ne­r*in­nen trotz der sich verschärfenden Asyldebatte bisher stabil. „Viele Menschen haben sich sofort solidarisch gezeigt – sei es auf der Straße oder auch im Ehrenamt“, sagt Tareq Alaows von Pro Asyl. Das halte bis heute an, aber: „Die Ehrenamtlichen haben Aufgaben übernommen, für die eigentlich der Staat verantwortlich ist, und haben gleichzeitig selber mit den Folgen von Pandemie und Inflation zu kämpfen.“ Viele seien erschöpft, warnt er.

Die Hilfsbereitschaft der Menschen in Deutschland Geflüchteten gegenüber ist generell relativ hoch – besonders gegenüber Menschen aus der Ukraine. Das zeigt eine Untersuchung des SVR aus dem Juli.

Ein Thema mit Sprengstoffpotential

Einzelne Äußerungen wie etwa die des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, der Ukrai­ne­r*in­nen im Oktober eine Art „Sozialtourismus“ unterstellte, seien bislang nicht in den allgemeinen Diskurs gedrungen, sagt Politikwissenschaftler Hans Vorländer. „Wir sehen bisher eigentlich nur auf rechtsextremen Demonstrationen in Ostdeutschland, dass Forderungen für Frieden in der Ukraine verbunden werden mit dem Argument, deutschen Wohlstand zu schützen.“ Er warnt aber auch, dass sich das angesichts der multiplen Krisen dieser Tage ändern könne. „Nächstes Jahr wird in mehreren ostdeutschen Ländern gewählt – da kann das Thema schon zum Sprengstoff werden, fürchte ich.“

Der vorübergehende Schutz, den Ukrai­ne­r*in­nen genießen, läuft im März 2024 aus. Dann können die EU-Innenminister*innen ihn um ein weiteres Jahr verlängern. Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl, aber auch Ausländerbehörden und kommunale Spitzenverbände haben zwecks Planungssicherheit gerade erst eine rasche Entscheidung gefordert.

Eine taz-Anfrage an das Bundesinnenministerium, wie es um die Entscheidung steht und was passiert, sollte der Krieg länger als drei Jahre dauern, blieb bis Redak­tionsschluss unbeantwortet.

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