Brauchen wir die Fridays noch?

2019 brachte FFF Millionen auf die Straße, seither schrumpft die Bewegung. Was heißt das für die Klimastreiks? Akivist Tadzio Müller hält sie für Ressourcenverschwendung, Klimajournalist Bernhard Pötter findet, Aktivismus mit der Brechstange spaltet die Gesellschaft

Sie ist eine der Überlebenden der Waldbrände auf der Insel Rhodos. Nun kümmert sich der Zoo in Athen um diese Schildkröte Foto: Thanassis Stavrakis/ap/dpa

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Bernhard Pötter, 57, ist Umweltjournalist erster Stunde. Schreibt seit 1993 für die taz und andere Medien über Umwelt und Energie, leitete zeitweise das taz-Ressort Wirtschaft und Umwelt. Mittlerweile ist er auf internationale Klimapolitik spezialisiert.

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Tadzio Müller, 47, ist Klimaaktivist der ersten Stunde, hat unter anderem die Gruppe Ende Gelände mitgegründet. Mittlerweile gehört er keiner spezifischen Gruppe mehr an.

ja,

sie sind nötiger als je zuvor. Keine Frage: Für eine einigermaßen glimpfliche Beschränkung der globalen Klimakrise braucht es eine Revolution. Besser: Viele Revolutionen. Für fossilfreie Gebäude, für einen Netto-null-Verkehr, für 100 Prozent Ökostrom, für eine saubere Industrie und für eine naturnahe Landwirtschaft. Der deutsche Anteil an der notwendigen weltweiten Halbierung der Emissionen muss groß sein und wachsen.

Wie schafft man diese Revolution? Nach dem letzten halben Jahr ist klar: Sicher nicht mit der Brechstange. Sondern mit Druck, zivilem Ungehorsam, Kreativität und Kooperation. Und das heißt: Die Strategie der Letzten Generation, Veränderung durch friedliche, aber maximale Konfrontation zu erreichen, geht in Deutschland nicht auf. Die Fridays mit ihrem kooperativen Stil bringen die Klimapolitik viel eher voran.

Die Forderungen der Letzten Generation klingen gut: Ein kompletter fossiler Ausstieg bis 2030 wäre vielleicht technisch machbar und unter großen Schmerzen sogar eventuell finanzierbar. Aber politisch? Kaum durchsetzbar. So sehr manche davon träumen: Diese Art von Klimarevolution findet in Deutschland nicht statt. Klimapolitik mit der Brechstange ist im Land der politischen Ängstlichkeit und des Zwangs zum Konsens nicht mehrheitsfähig.

Siehe das „Gebäudeenergiegesetz“. Es hatte Mängel in Struktur und Kommunikation, die seine Diffamierung als „Heiz-Hammer“ erleichterten. Nun hat es Klimaminister Robert Habeck seinen Ruf als grüner Überflieger und auch noch Patrick Graichen gekostet, seinen besten Mann für die Energiewende.

Gleichzeitig scheiterte das Berliner Klima-Volksbegehren im März mit seiner radikalen Forderung nach netto null 2030 daran, dass nicht genügend Menschen zur Abstimmung gingen. Indes hat sich die Unterstützung für die deutsche Klimabewegung laut einer repräsentativen Umfrage zwischen 2021 und 2023 von 68 auf 34 Prozent halbiert. Grund dafür sind vor allem die Blockadeaktionen der „Letzten Generation“. Dabei findet immer noch eine Mehrheit Klimaschutz wichtig.

Der Vertrauensschwund in die Klimabewegung ist ein Alarmzeichen. Denn der Erfolg der Fridays bestand genau darin: Bewusstsein und Bereitschaft für Veränderungen in der Klima­krise zu schaffen – bis weit in viele Bereiche der Gesellschaft hinein. Das hat Wahlen beeinflusst, erfolgreiche Klagen angestoßen, Deutschland ein gutes Klimaschutzgesetz beschert und den Green Deal auf EU-Ebene unterstützt.

Statt diesem übergreifenden Ansatz richtet sich die Strategie der Letzten Generation auf maximalen Druck, mediale Aufmerksamkeit und großen Ärger. Aus dieser Situation von Genervtheit und Aggression heraus, so das Kalkül, soll die Regierung einschneidende Maßnahmen treffen. Diese Strategie ist falsch. Einerseits ist für die Änderung von Gesetzen das Parlament zuständig. Außerdem lässt sich keine Regierung gern erpressen. Vor allem aber verkennt sie, aus welchen Gründen heraus tiefgreifender Wandel möglich ist – auch und vor allem der radikale und disruptive Wandel, der für eine Bewältigung der Klimakrise nötig ist.

Menschen ändern sich nur ungern, wenn sie dazu gezwungen werden. Und die Notwendigkeit von disruptivem Wandel ist zwar da, trifft jedoch 2023 auf eine erschöpfte Gesellschaft. Viele Menschen haben die Nase voll von grundstürzenden Veränderungen ihrer Lebenswelt: Corona, Krieg und Inflation verunsichern die Leute schon genug. Wer (inhaltlich zu Recht) fordert, alles Fossile sofort über Bord zu werfen, verkennt die gesellschaftlichen Realitäten.

Die Klimabewegung steckt im Dilemma: zu Recht radikales und sofortiges Umsteuern zu fordern und gleichzeitig die Leute mitzunehmen. Aber gerade weil die Situation so brenzlig und Handeln so dringend ist, darf keine Zeit mit vermeidbarer Konfrontation verloren werden. Die Klimabewegung muss eine kluge Strategie finden, ihre Lieblingsfeinde einzubinden: AutofahrerInnen, die FDPCDUCSU, die Industrie, die Landwirte – keiner von ihnen konnte es sich auf dem Höhepunkt der Fridays leisten, die Forderungen der eigenen Kinder am Frühstückstisch zu ignorieren.

Wie gehen Soziales und Klimaschutz zusammen? Welche Chancen für ein angenehmeres und gesünderes Leben stecken in autoarmen Schwammstädten? Warum geben wir Milliardensubventionen an Klimakiller, wenn der Staat bei der Kindergrundsicherung spart? Fragen, bei denen die Fridays mit ihren Vernetzungen in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft ein wichtiges Wort mitreden können – und das auch sollten.

Die Brechstange wird gebraucht. Aber man darf sie nicht gegen die Menschen einsetzen. Sondern muss sie nehmen, um die fossilen Strukturen aufzuknacken.

nein,

jedenfalls nicht so. Was wir in der Klimabewegung uns nicht gern eingestehen: Auch wir werden selbst immer mehr Teil der Verdrängungsgesellschaft, die permanent damit beschäftigt ist, die Klimakrise und ihre Schuld daran von sich wegzuschieben. Dass Fridays for Future allen Ernstes zum 13. Mal zu einem „globalen Klimastreik“ aufruft, ist dafür symptomatisch.

2018 und 2019 hatten diese großen Fridays-Demos eine unglaubliche Wucht, beförderten einen neuen historischen Akteur auf die Bühne der Weltgeschichte: die junge „Generation Klima“. Jetzt ist die Wucht zur Brise geworden. Relevanten politischen Fortschritt kann man nicht erwarten, wenn die Demos immer kleiner werden. Das demonstriert vor allem unsere Schwäche als Bewegung. Es gibt uns nur das Gefühl, aktiv zu sein, dabei richten wir in Wahrheit nichts aus.

Wir sind gescheitert. Unser zentrales strategisches Ziel, die Treibhausgasemissionen so abzusenken, dass die Erderhitzung die 1,5-Grad-Grenze nicht reißt, haben wir nicht erreicht. Global steigen die Emissionen weiter, in Deutschland sinken sie, aber lange nicht schnell genug. Ich meine damit nicht, dass das Scheitern schuldhaft ist. Oder dass es nie kleine Erfolge gegeben hätte. Gescheitert sind wir trotzdem.

Es gab in der Klimabewegung bisher drei strategische Phasen, die jeweils von verschiedenen Gruppen angetrieben wurden. Dahinter standen verschiedene Analysen darüber, warum es keinen Klimaschutz gibt.

Nummer 1: Es fehlt die Aufmerksamkeit für das Problem. Die wollten wir schaffen. Mit Ende Gelände haben wir Aktionen mit spektakulärer Optik durchgeführt. Wir stürmten zu Tausenden in weißen Maleranzügen die Kohletagebaue. Zwar hatten diese Proteste auch kurzweilige praktische Folgen: Manchmal liefen nahegelegene Kraftwerke für ein paar Stunden nicht, weil keine Kohle mehr ankam. Trotzdem war das mehr symbolisch, das eigentliche Ziel waren eindringliche Bilder – und die lieferten wir.

Nummer 2: Es fehlt die Zustimmung für die Bewegung und ihre Ideen. Fridays for Future war großartig darin, Zuspruch zu generieren. In Deutschland und weltweit. Plötzlich bestand die Klimabewegung nicht mehr aus radikalen Linken und spinnerten Ökos, sondern vor allem aus Kindern und Jugendlichen von nebenan. Sympathischer geht es nicht. Der Zulauf war enorm, plötzlich entstanden auch noch die Parents for Future, die Scientists for Future – fast jede Gruppe gibt es mittlerweile „for Future“.

Die Normalos – im besten Sinne – baten die Regierung um mehr Klimaschutz, organisierten große Demos, machten gute Vorschläge. Manche davon zeigten sogar ein bisschen Wirkung. Dass die Große Koalition sich nicht traute, in ihrem Klimapaket von 2019 mit einem CO2-Preis in Höhe von lächerlichen 10 Euro an den Start zu gehen, sondern auf etwas weniger lächerliche 25 Euro erhöhte, hatte sicher damit zu tun. Der große Wurf war das aber natürlich auch nicht.

Nummer 3: Es fehlen unmittelbare Kosten, wenn man als Politik keinen Klimaschutz liefert. Hier wollte Extinction Rebellion ansetzen, mittlerweile ist der relevante Akteur in Deutschland aber die Letzte Generation. Deren Idee ist, sich beim zivilen Ungehorsam vom Symbolcharakter zu lösen – und das fossile Alltagsleben ganz praktisch zu unterbrechen. Zum Beispiel den Autoverkehr. Das Problem: Alles in allem ist die Bewegung bisher doch zu klein. Und so bleibt es irgendwo doch im Symbolischen.

Die Klimabewegung steckt also tief in einer Legitimationskrise. Hinzu kommt noch etwas, das wir als Bewegung verdrängen, und darin unterscheiden wir uns keinen Deut von der Mehrheitsgesellschaft: die faschistische Welle, die die reichen Länder der Welt gerade erfasst. Einerseits gilt: Je mehr Klimakatastrophe, desto mehr Faschismus. Schließlich werden die Ressourcen knapper, die Konflikte stärker. Das ist meist Nährboden für Hassideologien, selten für Solidarität. Und andererseits gilt auch: Je mehr Faschismus, desto weniger Klimaschutz. Die meisten der rechtsextremen Parteien leugnen schließlich die Klimakrise.

In dieser politisch komplizierten Situation organisiert Fridays for Future nun schon wieder einen „globalen Klimastreik“. Das ist eine Verschwendung aktivistischer Ressourcen. Was könnte diese immer noch größte und mit dem dicksten Legitimitätspolster ausgestattete Bewegungsorganisation erreichen, wenn sie sich weiterentwickeln würde?

Sie ist der einzige Akteur, der eine Synthese der drei bisherigen Phasen der Klimabewegung schaffen könnte: Aufmerksamkeit, Zustimmung, Kosten. Die sympathische Masse der Fridays könnte mit den Taktiken von Ende Gelände und der Strategie der Letzten Generation den fossilen Alltag ernsthaft durcheinanderbringen. Was, wenn sich von den hoffentlich wenigstens Zehntausenden, die am Freitag auf der Straße sind, ein paar Tausend einfach hinsetzen und bleiben? Disruption for Future. So brauchen wir die Fridays.