Aiwanger und die Folgen: Eine Zukunft, vor der mir graut

Geschichtsrevisionismus hat das Land fest im Griff. Von Aiwanger und Söder bis zur AfD wird die Nazivergangenheit als gar nicht so schlimm entsorgt.

Mehrere Plakate mit einem grinsenden Markus Söder stehe nebeneinander auf einer Wiese

Söder grinst von seinem Wahlplakat, das muss reichen Foto: Heike Feiner/picture alliance

Der Herbst bricht langsam an, jedenfalls in Bayern, wo ich die letzte Woche war. Grauen Himmel und graue Gesichter gab es hier auf Plakaten für die Landtagswahl Anfang Oktober. Vor dem Hotel, in dem ich untergebracht war, hing an einer Laterne ein AfD-Plakat, nicht weit davon machten die Freien Wähler für sich Werbung und Markus Söder grinste irgendwo auch noch sein Grinch-Lächeln. Normal eben. Mir hat sich trotzdem innerlich etwas zugeschnürt. Gut, ich war krank. Fiebrig, Halsweh. Aber das Engegefühl lag weiter unten, in der Brust.

Zu Bayern hatte ich schon immer ein ambivalentes Verhältnis. Seit der Affäre um Hubert Aiwanger jedoch brauche ich Abstand zu diesem Bundesland, das ist mir nach dem letzten Besuch klar geworden. Mit welchem Selbstbewusstsein Bayerns Vize die Vorwürfe gegen ihn abgebügelt hat, mit welcher Überzeugung er in der Lage war, all das als Kampagne gegen ihn zu verkaufen, wie er diese Erzählung auch jetzt noch weiterträgt und, wie kürzlich, kritische Fragen in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen nachträglich streichen lassen möchte, befremdet mich zutiefst.

Seit Ministerpräsident Söder „Schwamm drüber“ verkündet hat, präsentiert Aiwanger gefühlt stündlich auf X neue Umfrageergebnisse, die ihn in seiner Arroganz und Uneinsichtigkeit bestätigen. Wenn an diesem Sonntag gewählt würde, kämen die Freien Wähler laut BayernTrend auf 17 Prozent! Sie liegen damit vor den Grünen, ein Höchstwert für die FW. In Deutschland kann man mit Hitlergruß-Vorwürfen und NS-verharmlosenden Flugblättern davonkommen – und die Wähler jubeln einem noch zu.

Aiwanger hat ein erinnerungspolitisches Schlachtfeld hinterlassen. Eines, das der AfD ganz gelegen kommt, deren Po­li­ti­ke­r ja regelmäßig den geschichtspolitischen Grundkonsens infrage stellen, ganz bewusst.

Oma und Opa

Alexander Gauland, der die NS-Zeit als „nur ein Vogelschiss“ in 1.000 Jahren deutscher Geschichte bezeichnete; ebenfalls Gauland, der 2017 argumentierte, man müsse sich die Nazizeit nicht mehr „vorhalten“ lassen; Björn Höckes „Denkmal der Schande“-Rede im Januar 2017; Maximilian Krah, Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl, der in einem TikTok-Video „unsere Vorfahren“ von Verbrechen freisprach und die jungen Zu­schaue­r aufforderte, herauszufinden, „was Oma und Opa, Uroma und Uropa gemacht haben, was sie gekämpft und gelitten haben“. Und AfD-Chefin Alice Weidel, mit deren Aussage jüngst im ARD-Som­mer­interview, dass sie – anders als ihr Co-Vorsitzender Tino Chrupalla – im Mai nicht an einem Empfang in der russischen Botschaft in Berlin zum Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs teilgenommen habe, da sie die „Niederlage des eigenen Landes“ nicht „mit einer ehemaligen Besatzungsmacht“ habe feiern wollen, ein neuer Höhepunkt erreicht ist.

2017 veröffentlichte der neurechte Ideologe und Chefredakteur seiner Zeitschrift Sezession, Götz Kubitschek, den Text „Selbstverharmlosung“. Er spricht darin Empfehlungen für die AfD aus, um die „emotionale Barriere“ der Wählermassen zu beseitigen. Und er plädiert darin auch für die „Schaffung neuer Gewohnheiten“. Politiker der AfD versuchen immer wieder, Grenzen zu verschieben, „in Grenzbereichen des gerade noch Sagbaren und Machbaren provozierend vorzustoßen“, wie es Kubitschek in seinem Text formuliert. Parteivertreter betreiben Schuldumkehr, zeigen offen, dass sie nicht bereit sind, sich mit den Verbrechen des NS-Regimes auseinanderzusetzen, diese überhaupt anzuerkennen und sich von ihnen abzugrenzen.

Bricht also eine neue Zeit an? Eine Zeit der „neuen Gewohnheiten“? Ich will nichts überdramatisieren. Doch Geschichtsrevisionismus sitzt in Gestalt einer parlamentarischen Vertretung in Landtagen und im Bundestag. An neue Gewohnheiten gewöhnt man sich meist schneller als gedacht. Das ist es, was ich fürchte.

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Redakteurin für Gesellschaft im Ressort taz zwei. Schreibt über postsowjetische Migration, jüdisches Leben und Antisemitismus sowie Osteuropa. Axel-Springer-Preis für jungen Journalismus 2021, Kategorie Silber. Freie Podcasterin und Moderatorin.

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