Zulassung für umstrittenes Pestizid: Brüssel will Glyphosat bis 2033

Das meistverkaufte Pestizid sei sicher genug, sagt die EU-Kommission. Gegen wichtige Risiken soll jeder Mitgliedstaat für sich vorgehen.

Ein Behälter mit der Aufschruft "Glyphosat"

Ist das krebserregend? Unkrautvernichtungsmittel, das Glyphosat enthält Foto: Patrick Pleul/dpa

Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, den umstrittenen Pestizidwirkstoff Glyphosat weitere 10 Jahre zuzulassen. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) habe bestätigt, dass „Glyphosat nicht die Kriterien erfüllt, um als krebserregend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend eingestuft zu werden“, heißt es in der Beschlussvorlage für die Mitgliedstaaten. Indirekte Schäden für die Artenvielfalt könnten aber nichtausgeschlossen werden. Falls nötig, sollten die EU-Länder Vorsichtsmaßnahmen gegen diese und andere Risiken vorschreiben, wenn sie die fertigen Pestizidprodukte zulassen, die den Wirkstoff Glyphosat enthalten, so die Kommission. Da mittlerweile intensiver als bisher zu dem Unkrautvernichter geforscht werde und neue Erkenntnisse möglich seien, solle die Zulassung nicht für die sonst üblichen 15 Jahre erteilt werden.

Glyphosat ist der weltweit meistverkaufte Pestizidwirkstoff. Die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation WHO bewertete ihn 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ – mit Glyphosat gefütterte Ratten und Mäuse hatten Tumoren entwickelt. In den USA verurteilten daraufhin mehrere Gerichte einen der Hersteller, die deutsche Bayer AG, zu hohen Schadenersatzzahlungen an KlägerInnen, die ihre Krebserkrankung auf das Mittel zurückführen. Bayer beruft sich dagegen auf verschiedene Zulassungsbehörden, die Glyphosat als sicher einstufen. Das Gift tötet so gut wie alle nicht gentechnisch veränderten Pflanzen und damit auch Nahrung für Vögel und Insekten. Deshalb gilt es Umweltschützern als Gefahr für die Artenvielfalt.

Doch wie diese indirekten Auswirkungen auf die Biodiversität zu bewerten sind, dafür gebe es „keine vereinbarten Methoden“, erklärt die EU-Kommission in ihrem Entwurf. Zudem habe die Efsa nicht entscheiden können, wie hoch das Risiko für die Verbraucher durch Glyphosatrückstände in Pflanzen ist, wenn diese von Feldern kommen, auf denen das Pestizid schon in der vorigen Anbausaison gespritzt wurde. Es sei auch ein „hohes Risiko für kleine pflanzenfressende Säugetiere“ festgestellt worden, so die Kommission.

Die Behörde fordert die EU-Länder auf, diesen und anderen Problemen bei der Zulassung von Glyphosatprodukten „besondere Aufmerksamkeit“ zu schenken. Auch der Schutz des Grundwassers und von „Nicht-Ziel-Pflanzen“ solle berücksichtigt werden. Ähnliche allgemeine Empfehlungen standen auch schon in der aktuellen Glyphosatzulassung, die am 15. Dezember ausläuft. Neue konkrete Restriktionen enthält der Entwurf nur an zwei Stellen: Zum einen verbietet er die „Sikkation“ mit Hilfe von Glyphosat, bei der die angebauten Pflanzen getötet werden, um die Früchte leichter ernten zu können. Dabei ist das Risiko von Rückständen im Erntegut besonders hoch. Deutschland und andere EU-Staaten haben die Sikkation deshalb bereits stark eingeschränkt. Zum anderen will die Kommission Düsen vorschreiben, die Glyphosat zielgerichteter ausbringen, so dass weniger des Pestizids in die Umwelt abdriftet. Außerdem sollten mindestens 5 bis 10 Meter breite Ränder der Felder nicht gespritzt werden.

Die EU-Staaten könnten die neue Zulassung des Unkrautvernichters noch stoppen

Allerdings sollen die Mitgliedsländer auf diese Regeln auch verzichten können, wenn es keine „inakzeptablen Risiken“ gibt.

Dass die EU-Kommission es weitgehend dem jeweiligen Mitgliedstaat überlassen will, diese Probleme mit dem Pestizid zu lösen, begründete ein hochrangiger EU-Beamter am Mittwoch mit den je nach Land unterschiedlichen Bedingungen. Diese seien etwa in den nordischen Staaten ganz anders als im Mittelmeerraum.

Nur „im Extremfall“ dürften Mitgliedsländer „theoretisch“ alle Glyphosatprodukte auf ihrem Territorium verbieten, so der Beamte weiter. „Aber sie müssen Gründe im Rahmen der Bedingungen und Restriktionen haben, die wir in der Zulassungsverordnung vorschlagen.“

Die EU-Staaten sollen am Freitag über den Entwurf diskutieren und am 13. Oktober das erste Mal abstimmen. Um den Vorschlag abzulehnen, bräuchte es eine qualifizierte Mehrheit von mindestens 15 Mitgliedstaaten, die für wenigstens 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen. Sollten auch in einem Berufungsausschuss nicht so viele Staaten gegen den Entwurf stimmen, kann die Kommission ihn im Alleingang in Kraft setzen. Bei einer ersten Abfrage im Juli habe sich nur ein Mitgliedsland gegen eine neue Glyphosatzulassung ausgesprochen, verriet der Beamte. Auch auf Nachfrage wurde er nicht konkreter.

Wie wird die Bundesregierung abstimmen?

Mit Spannung wird jetzt erwartet, wie sich die Bundesregierung positioniert. Zwar haben die Ampelparteien in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart: „Wir nehmen Glyphosat bis 2023 vom Markt.“ Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sagte am Mittwoch: „Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass Glyphosat der Biodiversität schadet, sollte die Genehmigung in der EU auslaufen“. Eine vielfältige und intakte Pflanzen- und Tierwelt sei die Voraussetzung für sichere Ernten. Er werde sich mit Partnern in der EU dazu nun austauschen. Doch die FDP hat sich für Glyphosat ausgesprochen. Wenn sich die Ampelkoalition nicht einigen kann, muss sich Deutschland bei der Abstimmung in Brüssel enthalten. Das könnte sich am Ende wie eine Zustimmung auswirken.

Bayer begrüßte den „wissenschaftlich fundierten“ Vorschlag der EU-Kommission. Die Umweltschutzorganisation Pestizid Aktions-Netzwerk dagegen kritisierte, die Risikoprüfung sei mangelhaft gewesen. Deshalb dürfe es keine neue Zulassung geben.

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