Selenski kritisiert Weltsicherheitsrat

Der ukrainische Präsident fordert eine Reform des UN-Gremiums – damit Russland überstimmt werden kann. Moskau keilt zurück

Aus New York Hansjürgen Mai

Schaut man sich die Charta der Vereinten Nationen an, dann wird deutlich, welch herausragende Stellung der Weltsicherheitsrat besitzt. Der Hauptauftrag des Gremiums ist darin klar definiert: die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Doch wie Wolodimir Selenski in einer außerordentlichen Sitzung des UN-Sicherheitsrates am Mittwoch kritisierte, komme er dieser Funktion in seiner aktuellen Zusammensetzung nicht nach – weshalb der ukrainische Präsident Reformen verlangt.

Selenski beklagte sich vor allem über das Vetorecht, welches sowohl Russland als auch die anderen vier ständigen Mitglieder des Rates, also die USA, China, Frankreich und Großbritannien, besitzen. „Das Vetorecht in den Händen des Angreifers, das ist es, was die UN lahmlegt“, sagte er. Der Staatschef plädiert aber nicht dafür, dass Moskau das Vetorecht entzogen wird. Vielmehr sprach er sich für eine Erweiterung des Sicherheitsrates um Länder wie Deutschland sowie die Einführung eines Mechanismus aus, mit dem das Vetorecht eines Landes überstimmt werden kann. Laut Selenski könnte das durch eine Zweidrittelmehrheit in der Generalversammlung geschehen.

Auch mit Blick auf Russland, das er als einen „Terroristenstaat“ bezeichnete, fand Selenski klare Worte. „Der Großteil der Welt kennt die Wahrheit über diesen Krieg. Es ist eine kriminelle und unprovozierte Aggression Russlands gegen unsere Nation, mit dem Ziel, ukrainisches Land und Rohstoffe zu erobern“, sagte Selenski. Der Auftritt des ukrainischen Präsidenten im Sicherheitsrat wurde im Vorfeld mit Spannung erwartet. Es war das erste Mal seit Beginn des Krieges im Februar 2022, dass Selenski direkt auf russische Diplomaten traf. Die Tatsache, dass Kremlchef Wladimir Putin nicht in New York anwesend war, machte dabei keinen großen Unterschied.

Und die Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Von russischer Seite gab es gleich zu Beginn der Sitzung eine Beschwerde über die Reihenfolge der Redner. Der russische UN-Botschafter Vassily Nebenzia wollte wissen, warum ausgerechnet Selenski am Anfang sprechen dürfe – immerhin sei die Ukraine kein Mitglied im Sicherheitsrat. Der albanische Ministerpräsident Edi Rama, der als Vorsitzender die Sitzung führte, unterbreitete daraufhin Moskau einen Vorschlag: „Wenn Sie zustimmen, den Krieg zu beenden, dann wird Präsident Selenski keine Ansprache halten.“

Im UN-Sicherheitsrat hat es seit Kriegsbeginn bereits mehr als 50 Sitzungen zur Ukraine gegeben. Eine Lösung konnte der Rat, auch aufgrund des russischen Vetorechts, bislang nicht präsentieren. UN-Generalsekretär António Guterres sagte zum Auftakt der Sitzung erneut, dass die Invasion der Ukraine durch russische Truppen eine „klare Verletzung der UN-Charta und des internationalen Rechts“ sei. Er warnte zudem, dass der Krieg die „geopolitischen Spannungen und Spaltungen vertiefe, die regionale Stabilität gefährde und die atomare Gefahr erhöhe“. Auch Guterres plädiert für eine Reform des Sicherheitsrates.

Der russische Außenminister traf erst ein, als Selenski den Raum bereits verlassen hatte

Die Blockade des Gremiums in Bezug auf den Ukraine-Krieg zeigt sich auch an anderer Stelle: Bereits mehrfach hat die große Mehrheit der 193 UN-Mitgliedsstaaten die Invasion Russlands offiziell verurteilt – dennoch missachtet Moskau eine Sicherheitsrats-Resolution nach der anderen.

Der russische Außenminister Sergei Lawrow, der erst eintraf, als Selenski den Raum bereits verlassen hatte, beschuldigte den Westen, allen voran die USA, die Vereinten Nationen für ihr Ziel zu missbrauchen. Lawrow warf dem Westen einen „Überlegenheitskomplex“ vor. Er kritisierte auch Deutschland und Frankreich, die nach seiner Ansicht das Minsker Abkommen (das den seit 2014 bestehenden Krieg in der Ostukraine beilegen sollte) vernachlässigt hätten.

Bundeskanzler Olaf Scholz, der dem ganzen Spektakel im Weltsicherheitsrat beiwohnte, richtete deutliche Worte in Richtung Wladimir Putin: „Der Grund dafür, dass das Leid in der Ukraine und überall auf der Welt andauert, ist erschütternd einfach: Russlands Präsident will seinen imperialistischen Plan zur Eroberung seines souveränen Nachbarn, der Ukraine, umsetzen“, sagte er als letzter Redner im Sicherheitsrat. Einmal mehr warnte Scholz vor einer Scheinlösung des Konflikts.