Uli Hannemann
Liebling der Massen
: Erratische Schlangenlinien auf dem Pfad der Gefahr

Wackel, gurk, schleich. Auf einem dieser Radwege, die die Leuchten von der Berliner CDU noch nicht rausgerissen und durch Autoparkplätze ersetzt haben, eiert vor mir so eine junge Alte in erratischen Schlangenlinien dem Sonnenuntergang entgegen. Sie trägt Kopfhörer und lächelt selig. Von den Unbillen des Straßenverkehrs bekommt sie nichts mit, obwohl sie streng genommen daran teilnimmt. Doch noch strenger genommen nimmt sie auf die gleiche Art teil wie ein Verstorbener an seiner eigenen Beerdigung: im Mittelpunkt und doch nicht wirklich anwesend.

Klingeln hilft jedenfalls nichts, zu schreien „hallo“, „huhu“, oder „kann ich bitte mal vorbei“, nacheinander auf Deutsch, Englisch, Spanisch und Französisch, wäre mir hingegen zu blöd, weil doppelt uncool in diesem eh schon etwas onkelhaften Rant.

Einfach nur vorbei

Ich will doch einfach nur vorbei, auf meinem Weg von A nach B, und ich sehne mich nach Kopenhagen, wo das Fahrrad als ernst zu nehmendes Verkehrsmittel gilt, und weder als verhasster Störfaktor für Kraftfahrer, noch als eine Art analoge Meditation & Fitness-App für verstrahlte Generation Z-Dudes.

Einfach nur vorbei geht aber nicht. Zu gefährlich. Ein befreundeter Unterhaltungskünstler brach sich jüngst das Schlüsselbein bei dem schlichten Versuch, neben seiner Freundin herzufahren. Oder sie neben ihm? Ich weiß es nicht mehr, egal, und die beiden trugen noch nicht mal Kopfhörer – daran sieht man wieder, dass das Fahrradfahren auch so schon schwer genug ist.

Dass die das alle jetzt so machen, mit den Kopfhörern, ist für mich kein rechter Trost. Denn nur davon, dass alle etwas machen, wird es ja nicht richtiger, oft sogar im Gegenteil: So wählen alle ja jetzt rechts, weil man wegen der kriminellen Clans nicht mehr ins Freibad kann. Am schlimmsten scheint das auf dem platten Land zu sein; die sollen da den Kindern auf der Liegewiese das Eis wegnehmen und behaupten, es wäre ihres. Dazu kommt permanent noch irgendeine Scheiße mit den Grünen.

Abgeschottete Sinne

Für ähnlich falsch also halte ich die aktive Beteiligung am Straßenverkehr mit hermetisch abgeschotteten Sinnen. Manchmal denke ich, da fehlen jetzt bloß noch Scheuklappen, Knebel, Nasenklemme und Stahlhelm, und fertig ist der personifizierte, fahrende Bunker. Rücksichtland ist abgebrannt.

Du, die junge Alte, sagst jetzt wahrscheinlich, dass das aber nicht für dich gilt, weil schließlich gar nichts passiert ist. Du chillst hier doch nur friedlich auf deiner Hollandgurke, mit deinem Podcast, deiner Musik oder deinem Telefonat – und hör jetzt, „hören Sie“, mal auf, mich mit deinem, „Ihrem“, cholerischen Geschreibsel zu belästigen, alles klar, Großväterchen? Auch sei es überaus wünschenswert, ich verpfiffe mich nun, nur so als kleiner feindschaftlicher Tipp.

Aber das ist es ja gerade: Du merkst es einfach nicht. Niemals merkst du irgendetwas und schwebst dabei ungestört durch deine eigene Welt, der einsame Komet Ich auf seiner Umlaufbahn.

Selbstverständlich sollen die anderen darauf achten, dass dir und ihnen nichts passiert. Das ist exakt das Mindset, dass dich zumindest innerhalb des Mikrokosmos Radweg zur kongenialen Ergänzung des 55-jährigen Lord Helmchen kürt, der mit verkniffener Fresse heranrast und unter lautem Geschrei alles niederbügelt, was sich hinter dir staut.

Ihr seid wie Skylla und Charybdis, Putin und Lukaschenko, Regen und Traufe. Und chillen kannst du im Wellness-Hotel!

Als ich es endlich vorbei geschafft habe, sage ich natürlich gar nichts: kein Bock auf triple uncool. Außerdem sind die immer so frech, und dann müsste ich bestimmt wieder weinen.