Verdi-Gewerkschafter:innen und der Krieg: Selbstverständnis auf dem Prüfstand

Zwischen Antimilitarismus und Solidarität: Beim Verdi-Bundeskongress wurde mühsam, aber fair um die Haltung der Gewerkschaft zum Ukraine-Krieg gerungen.

Friedenspolitik steht auf der LED Wand beim ver.di Bundeskongress

Die rund 900 Delegierten haben heftig miteinander für die richtige Antwort gekämpft Foto: Kay Herschelmann

Es war ein langes, schweres Ringen. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat sich ihren Umgang mit dem russischen Überfall auf die Ukraine nicht leicht gemacht. Die Frage von Krieg und Frieden war das bestimmende Thema auf dem Bundeskongress der zweitgrößten Einzelgewerkschaft Deutschlands. Es mag auf den ersten Blick verwundern, dass kein klassisches gewerkschafts-, sondern ein allgemeinpolitisches Thema im Mittelpunkt der sechstägigen Veranstaltung in Berlin stand. Aber zum Selbstverständnis von Verdi gehört seit der Gründung der Antimilitarismus. Bis heute zählt sich die Gewerkschaft ausdrücklich zur Friedensbewegung. Doch was heißt das seit dem 24. Februar 2022?

Die rund 900 Delegierten haben heftig miteinander für die richtige Antwort gekämpft. Am Donnerstag diskutierten sie von 15 bis 22 Uhr leidenschaftlich über den Leitantrag „Perspektiven für Frieden, Sicherheit und Abrüstung in einer Welt im Umbruch“. Der Leitantrag war im Vorfeld in einer von mehr als 11.700 Menschen unterzeichneten Petition als „der finale Kniefall vor militaristischer Logik“ und „erneuten Schulterschluss der Gewerkschaften mit dem deutschen Kriegskurs“ denunziert worden. Auch auf dem Kongress waren solche Stimmen zu hören, die den fundamentalen Unterschied zu 1914 nicht erkennen konnten oder wollten. Aber sie waren klar in der Minderheit.

Tatsächlich ist es den versammelten Ge­werk­schaf­te­r:in­nen gelungen, die schwierige Debatte, welcher Weg der richtige ist, damit der fürchterliche Krieg in der Ukraine endet, weitgehend in gegenseitigem Respekt und ohne bösartige Unterstellungen zu führen. Letztlich folgte eine Dreiviertelmehrheit der Linie der Gewerkschaftsspitze, weder realitätsblind an alten Gewissheiten festzuhalten noch in ein Denken in rein militärischen Kategorien zu verfallen. Das bedeutet zum einen, dass sich Verdi – wie sonst nur noch die Linkspartei – deutlich sowohl gegen das 100-Milliarden-„Sondervermögen“ für die Bundeswehr als auch gegen das Zweiprozentziel der Nato ausspricht. Zum anderen gehört zu dem Bekenntnis, weiterhin Krieg als Mittel der Politik entschieden abzulehnen, aber eben auch, solidarisch mit den angegriffenen Menschen in der Ukraine zu sein.

Konkret heißt das, dass das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine schweren Herzens auch die Lieferung deutscher Waffen rechtfertigt. Denn die Alternative wäre die Kapitulation vor dem imperialistischen Aggressor. Ebenso richtig ist es jedoch, von der Bundesregierung, der EU und der internationalen Staatengemeinschaft zu fordern, „alle diplomatischen Bemühungen zu unternehmen, das Töten und die Vergewaltigung von Menschen in der Ukraine so schnell wie möglich zu beenden“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.