Edgar Liegl und das bayerische Kabarett: Der Philosoph des Brettls

Ab 1977 gab Edgar Liegl im Scharfrichterhaus bayerischen Kabarettisten eine Bühne. Auch unser Autor trat dort auf und hat ihn jetzt wieder getroffen.

Edgar Liegl 2004

Edgar Liegl – Schöngeist des Kabaretts Foto: Volker Derlath/SZ Photo

Als Edgar Liegl geboren wurde, ist Hitler in Polen einmarschiert. Bis ins Alter von 77 Jahren hat der Politologe an der Fachoberschule in München-Pasing unterrichtet. Seine Studenten schenkten ihm bei der Verabschiedungsfeier ein T-Shirt mit dem Nietzsche-Zitat: „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“

Ich traf auf Liegl in einer Zeit des politischen Widerstands der 80er Jahre in der Münchner Damenstiftstraße, in der ich aufgewachsen bin, gleich neben dem Bestattungsamt. Liegl lebte zu dieser Zeit drei Häuser weiter im Haus mit der Nummer 12 in einer WG. Jedes Wochenende fuhr er mit seinem Volvo nach Passau zu den von ihm kuratierten Kulturveranstaltungen hin und wieder zurück, um seinem Lehrberuf als Dozent in München an der Hochschule nachzugehen.

Gerade hatte ich die Gruppe „Guglhupfa“ gegründet, für die ich die Texte schrieb. Heute wird sie bisweilen als das politische härtere Pendant zu der damals schon recht aufstrebenden Bayernfolk-Gruppe „Biermöslblosn“ bezeichnet. Es war damals die Zeit des Widerstands gegen die WAA, die in Wackersdorf geplante Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Brennstäbe aus Atomkraftwerken.

Große Festivals gegen diesen atomaren Wahnsinn wurden veranstaltet und die damalige bayerische Staatsregierung hatte die Gegend um Schwandorf in ein Kampfgebiet verwandelt, dass es den demonstrierenden Oberpfälzern, die sich um ihre Heimat sorgten, angst und bang wurde, wenn über ihren Köpfen die Polizeihubschrauber standen.

„Ich möchte schon sagen, dass damals das Kabarett politischer, direkter war und sich gegen die jeweilig Herrschenden richtete“, erinnert sich Liegl, mit dem mich eine lange Freundschaft verbindet und den ich jüngst noch einmal aufgesucht habe. „Irgendwie war dies auch ein eher bürgerlich von links angehauchtes Geschäftsmodell, was auf den aus dem Boden sprießenden Kleinkunstbühnen auf dem Lande funktionierte.“

Die Veranstalter stammten allesamt aus der Nach-68er-Bewegung, aus der sich die Grünen etabliert und zum Establishment von heute formiert haben. „Die sahen ihr politisches Ideal, für das sie so gerne missionierten, im Kabarett gespiegelt.“ Edgar Liegl sagt dies ohne Wehmut aber in einer aufklärerischen Pose, und gerne hätte man ihn in der französischen Revolution als Rädelsführer gesehen.

das Scharfrichterhaus in Passau

Bühne mit Wirkung: das Scharfrichterhaus in Passau Foto: Peter Hirth/laif

Vom Finanzbeamten zur Bohemefigur

Da stand er also in der Damenstiftstraße, damals in den 80ern. Edgar Liegl, der intellektuelle Kopf des Schafrichterhauses, eine Mischung aus einem Dandy und einer Bohemefigur – wie aus der Zeit gefallen. Tags zuvor hatte ich ihn im Münchner Theater im Fraunhofer gesehen beim Auftritt von Sigi Zimmerschied, dem die Passauer Bürgerschaft wegen seiner Bühnenprogramme Briefe geschickt hat mit der Aufschrift: „A ganz a miesa, dafeida, dreckada Dreck san Sie“.

Liegl war aus einer Karriere als Finanzbeamter ausgestiegen, eroberte sich auf dem zweiten Bildungsweg die Berechtigung zur Dozentenschaft, unter anderem für Kultur- und Medientheorie an der FH München. Zusammen mit seiner damaligen Frau kaufte er dann das heruntergekommene alte Scharfrichterhaus in der Milchgasse 2 zu Passau, das niemand haben wollte, so baufällig wie es war. Er renovierte es, ein Schmuckkästchen entstand. Aus einem mittelalterlichen Gewölbe wurde ein Restaurant, eine Kleinkunstbühne, eine Galerie und ein Kino.

„Ja, ich hab dich schon gsehn, damals“, hat Nachbar Liegl später gesagt. „Ich hab dich schon kennt, als Du mich gfragt hast, ob ihr mal in Passau auftreten dürft.“ Bald darauf war es so weit und es war eine Herausforderung, vor dem Passauer Publikum zu bestehen. Jeder Nachwuchskabarettist hatte eine gewisse Furcht davor, dort auf die Bühne zu steigen, und wurde einer gewissen Überheblichkeit des Passauer Publikums gewahr, das einen musterte wie bei Gericht, kurz vor dem vernichtendem Urteil des Scharfrichters, – zum Glück war die Todesstrafe und der Kerker abgeschafft.

So verwöhnt waren sie da, die Passauer, die noch den Habitus, einen gewissen Stolz in sich tragen, der noch aus der Zeit stammt, als Passau durch den Salzhandel an der Donau eine reiche Stadt war. Liegl erklärt das so: „Passau ist davon ja geprägt, dass der Bischof von Passau der Bischof von Wien und Budapest war. Eines der mächtigsten Bistümer. Darum ist da ja fast so ein Weihrauchnebel, der irgendwie über der Stadt liegt.“

Ist das Kabarett heute tot?

Wie sagt er zum Zustand des politischen Kabaretts in Bayern – nach Corona und während der Krieg in der Ukraine wütet? Ist es tot?: „Ja mei, war das denn schon jemals nicht tot. Das sagt man doch schon, seit es das Kabarett gibt. Es wird immer wen geben, der sich mit den gesellschaftlichen Zuständen nicht einverstanden erklärt und der sucht sich dann ein Brettl.“ Ob es früher nicht doch besser war? Natürlich wünschte man sich heute einen Kabarettisten vom Schlage des 2013 verstorbenen Dieter Hildebrandts, sagt Liegl, einen, der „die Zeitenwende zurechtrückt und auch mit seinem Gewerbe hart ins Gericht geht“.

Immer mehr Kabarettisten à la Nuhr, Eckhart und Gruber rücken in die Nähe des populären Volkswillens und machen sich zu Propagandisten rechtem Gedankenguts. „Dann müssen halt die Jüngeren ran. Es wird immer wieder Künstler geben, die den Widerstand proben.“ Mit Humor. Der werde immer wichtiger. „Es wird ja heute mehr vom Humor gesprochen und sogar Seminare darüber abgehalten.“

Und die heute in Bayern vor allem durch das Fernsehen populären Kabarettisten wie Helmut Schleich oder Monika Gruber, sind das dann Humorpopulisten? „Das Kabarett wird vom Fernsehen umarmt, bis ihm die Luft ausgeht“, sagt Liegl. „Es verkommt zu einem Amüsierfeld, dem der Stachel der Veränderung fehlt.“ Sein Urteil: „Das Fernsehen ist der Tod des Kabaretts.“

Erst vor Kurzem trat eine junge Formation mit ihrem Liederprogramm in einer Berliner Kellerbar auf, sie nannten sich „Bavarian Immigrants“. Mit ihren Liedern trafen sie den politischen Ton der Zeit sehr elegant, mit fast circensischen und performartigen Einschüben. Wäre Edgar Liegl im Publikum gewesen, hätte er die Gruppe vielleicht in das Scharfrichterhaus eingeladen, wo so viele Karrieren ihren Anfang nahmen.

Hape Kerkeling gewann das erste „Scharfrichterbeil“

So auch die vom jungen Hape Kerkeling. Der war der erste Preisträger des Kabarett-Wettbewerbs um das „Scharfrichterbeil“, das jedes Jahr vergeben wird. Den hat Liegl zusammen mit Walter Landshuter ins Leben gerufen. Kerkeling, der macht ja eigentlich kein Kabarett – oder? Und was ist Kabarett überhaupt? „Gutes Kabarett muss rotzig sein und hat mit Moral nichts zu tun, sondern mit politischem Engagement. So wie es in einem Klima der reaktionären CSU-Politik gediehen ist – mit einem Publikum, das mit der Politik unzufrieden war.“

In Passau herrscht mittlerweile ein etwas anderes Klima. „Das Scharfrichterhaus und die Universität haben in Passau zu einer gewissen Veränderung beigetragen. Ob das aber in der SPD-geführten Stadt eine dauerhafte Veränderung bewirkt, ist fraglich“, sagt Liegl. Sein Scharfrichterhaus hat er inzwischen an den Holzhändler Matthias Ziegler verkauft, der eher eine gehobene Gastronomie mit feiner Weinbegleitung im Sinn hat.

Aber er will nicht von oben hin­unterschauen auf Passau. „Ich tue mich da leicht als einer, der die Provinz seit Jahren von der Großstadt aus betrachtet. Für mich geht es immer noch um die Radikalität der Kunst, im Sinne Arthur Rimbauds nämlich. Um die Entfesselung aller Sinne, nicht nur die des Feiertagssinns aus einer gewissen finanziellen Abgesichertheit heraus. Ein Künstler ist einer, der sich auf der Nase Warzen pflanzt und sie groß züchtet.“

Zu seinem nächsten runden Geburtstag hofft der nun 84-jährige Liegl, dass alle Kreativen in Passau nochmals zusammenkommen mögen. Und ich hoffe, dass dies spätestens zu seinem 100. Geburtstag wirklich stattfindet.

Andreas Lechner studierte Musik am Richard-Strauß-Konservatorium und war in den 80er Jahren Kopf der Volksmusikkabarett-Gruppe „Guglhupfa“. Heute lebt er als Autor, Schauspieler und Galerist in Berlin.

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