Editorial von Andreas Rüttenauer zum Bayern-Dossier
: Brutale Zeiten – aber es geht auch anders

Jawohl! Genau so ist es! Bravo! Im Bierzelt ist der Zuspruch besonders intensiv, wenn den Leuten gefällt, was man vom Podium brüllt. Jawohl! So schallt es durch die Kathedralen des Vollrauschs, wenn Hubert Aiwanger den Freunden der freien Wähler zuruft, dass er sich die Kampagne, die da wegen dieses Flugblatts gegen ihn laufe, nicht gefallen lassen werde.

Wenn Ministerpräsident Markus Söder seinen CSUlern zuruft, dass es mit ihm keinen Genderzwang und kein Fleischverbot geben wird, dann wird besonders laut gejubelt. Was passieren kann, wenn einer nicht mehr runterkommt von seinem populistischen Vollrausch, den er sich bei einem Volksfest eingefangen haben mag, das hat nun Friedrich Merz gezeigt. Der hat auch ohne bierbeseeltes Publikum die Niedertracht besessen, so etwas ähnliches zu behaupten wie: die Ausländer nehmen uns Deutschen die Zahnarzttermine weg. Wie viel Gillamoos in einer solch niederträchtigen Bemerkung steckt, lässt sich nicht nachmessen. Aber sie passt durchaus in diesen Wahlkampf in Bayern, in dem von CSU und Freien Wählern vorexerziert wird, wie aus politischer Gegnerschaft Feindschaft werden könnte.

Brutale Zeiten sind das. Solche gab es schon einmal. Als der Staat in den 80er Jahren in der Oberpfalz mit Gummiknüppeln die Proteste gegen eine atomare Wiederaufarbeitungsanlage bekämpfte, waren es Kabarettisten, Rock- und Volksmusiker, die dagegen aufstanden. Heute gibt es Kabarettisten, für die es nichts Schlimmeres zu geben scheint als Gendern. Es gibt auch solche, die das anders sehen. Da ist einiges in Bewegung geraten. Für die einen sind „die da oben“ die Grünen in Berlin, für die anderen sind es die Regierenden in der Landeshauptstadt München. Dort wird in diesem Jahr ein trauriges Jubiläum begangen. Vor 100 Jahren wurde München zur „Hauptstadt der Bewegung“. Am 9. November 1923 rief der junge Adolf Hitler im Bürgerbräukeller zum Marsch auf Berlin auf. Die Erinnerung daran gilt es wachzuhalten in diesen Zeiten, in denen dem Schlussstrich-Populisten Aiwanger die Stimmen nur so zuzufliegen scheinen.

Ein Gegenprogramm zu den lauten Männern, die den Diskurs in Bayern schon immer bestimmt haben, ist gewiss der Frauenbuchladen in München, deren Ma­che­r*in­nen gerade den Übergang in eine neue feministische Generation meistern. Auch das braucht Engagement und Kraft. Wer die nicht hat und sich dennoch nicht ins Bild des braven Bayern mit Kindern, Frau und Stellplatz für das Auto vor dem Eigenheim pressen lassen möchte, baut sich vielleicht einfach einen Joint und legt sich BBou auf die Ohren. Zugekifft lässt sich so einiges aushalten. Sogar in Bayern.