Die AfD und der Rechtsstaat: Von wegen Law and Order

Als deutsche Partei für Recht und Ordnung, so inszeniert sich die AfD gern. Ein Blick in die Praxis zeigt: Das Gegenteil stimmt.

Das Dienstgericht beim Bundesgerichtshof Jan Gericke, Marion Harsdorf-Gebhardt, Rüdiger Pamp, Eva Menges und Claudia Fischer

Verhandlungseröffnung zum Fall des Ex-AfD-Bundestagsabgeordneten und Richter Jens Maier, Oktober 2023 Foto: Uli Deck/dpa

BERLIN taz | „Wir vertreten hier das Grundgesetz und Herr Haldenwang steht außerhalb des Grundgesetzes“, erklärte AfD-Co-Chef Tino ­Chrupalla selbstsicher auf dem Magdeburger Parteitag Anfang August und griff damit den Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz an. Die Partei als Retter und Bewahrer eines angeblich aus den Fugen geratenen Rechtsstaats zu stilisieren, ist ein bei Rechtspopulisten beliebter und häufig praktizierter argumentativer Kniff.

Dieses Verdrehen der Realität zu entlarven, fällt meist leicht. Einen Tag später plädierte Irmhild Boßdorf, auf Platz 9 der AfD-Kandidatenliste für die Europawahl 2024, für eine „millionenfache Remigration und Pushbacks, egal was der Europäische Gerichtshof dazu sagt“. Diese offene Aufforderung, ein Urteil des höchsten Europäischen Gerichts zu missachten, ist ein eklatanter Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der Bindung an Gesetze. Er verrät ein gebrochenes Verhältnis zu rechtsstaatlichen Prinzipien.

Im öffentlichen Echo auf den Magdeburger Parteitag, auf dem die AfD sich so offen radikal wie noch nie gezeigt hat, tauchte die Haltung der Partei zum Rechtsstaat nur am Rande auf.

Im Scheinwerferlicht von Politik und Medien dominierten ihr ethnisch geprägtes Volksverständnis, Fremden- und Islamfeindlichkeit, demokratie- und europafeindliche Äußerungen sowie Kritik am militärischen und wirtschaftlichen Engagement der Bundesrepublik für die Ukraine in ihrem Kampf gegen die russische Aggression.

„Missachtung rechtsstaatlicher Grundsätze“

Ein Punkt erfährt hingegen zu wenig öffentliche Aufmerksamkeit: die Haltung der AfD zum Rechtsstaat. Auch der Magdeburger Extremismusforscher Matthias Quent erkennt dieses Defizit: Die „Rechtsstaatsverstöße der AfD sind in Wissenschaft, Politik und Medien unterbewertet“.

Das Hauptargument für diese Einschätzung liefert die Münsteraner Verfassungsrechtlerin Nora Markard mit einem Blick auf die durch rechtspopulistische und rechtsreligiöse Regierungen inzwischen amputierte Justiz in Polen, Ungarn und Israel. Alle drei demokratisch gewählten Regierungen haben Äxte an ihre rechtsstaatlichen Verfahren und Institutionen gelegt, um ihre politische Macht auszubauen und zu zementieren, ohne dabei durch ein lästiges Veto der Justiz gebremst zu werden.

Die Erfahrungen in diesen drei Ländern zeigen für Markard, dass die „Umgestaltung der Justiz“ für rechte Regierungen oft „die erste Station“ ist, um ihre Macht zu verteidigen. Die Dritte Gewalt sei hier „sehr verwundbar“. In diesen Ländern verfolgten neue Einrichtungen wie Justizräte und Disziplinarkammern, Zwangspensionierungen von älteren Richtern und Einschränkungen von Kompetenzen bei Verfassungsgerichten zwei Ziele: die Entmachtung der unabhängigen Justiz und ihre Politisierung durch gesteuerte Personalauswahl im Sinne der Regierungsmehrheiten.

Dies wäre auch in Deutschland ohne Änderung des Grundgesetzes durch einfache Gesetze möglich. Neue Richterstellen könnten geschafft werden, die mit Parteigängern besetzt würden. Eine dritte Möglichkeit wäre, das Bundesverfassungsgericht durch einen dritten Senat zu erweitern, in dem neue rechtslastige Robenträger über politische brisante Fälle befinden. Der Blick in die Zukunft scheint von der heutigen Realität der Bundesrepublik weit entfernt.

Trotzdem: Ein Blick in europäische Nachbarländer mit Regierungsbeteiligungen rechtspopulistischer Parteien und auf die bundesweiten Umfragen, die die AfD als zweitstärkste Partei mit über 20 Prozent sehen, zeigen, wie schnell sich grundlegende Säulen der Gewaltenteilung abschaffen lassen und wie dringlich auch hierzulande das Problem ist.

Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip sind tragende Säulen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Das Rechtsstaatsprinzip soll die öffentliche Gewalt zum Schutz der Grundrechte begrenzen, die Bindung an Gesetze und Recht und ihre Kontrolle durch unabhängige Gerichte garantieren sowie einen effektiven Rechtsschutz und das Gewaltmonopol des Staates verbürgen.

Ob die AfD hinter diesen Grundsätzen steht oder ihre Akzeptanz und Bindungswirkung im Rahmen verfassungsfeindlicher Bestrebungen durch Verächtlichmachung und Diffamierung untergräbt, hat das Bundesamt für Verfassungsschutz untersucht. Dazu wurden drei Rechtsgutachten erstellt, in denen die Gesamtpartei, die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative und der rechtsextremistische AfD-„Flügel“ analysiert wurden. Die Gutachten liegen der taz komplett oder in Teilen vor. Alle enthalten ein gesondertes Kapitel zum „Rechtsstaatsprinzip“ und sind „VS-Vertraulich“ gestempelt.

Als Law-and-Order-Partei greift die AfD den Rechtsstaat nie direkt an. Ihre Methode sei vielmehr, so das Bundesamt für Verfassungsschutz, „durch Übertreibungen und Verzerrungen wiederholt ein Schreckensbild über den Zustand des Rechtsstaats zu zeichnen“. Nach Meinung der Verfassungsschutzjuristen zeichnet sich die „Programmatik“ der Jugendorganisation „durch eine drastische Missachtung rechtsstaatlicher Grundsätze, insbesondere des Gewaltmonopols des Staates und der Rechtsbindung der Verwaltung aus“.

Höcke gab die Stoßrichtung vor

Bei der „Flügel“-Anhängerschaft meint das Bundesamt „Belege für die Rechtsstaatsfeindlichkeit „auf allen Ebenen“ entdeckt zu haben. Es gebe eine „Missachtung des staatlichen Gewaltmonopols unter anderem durch die Forderung nach Bürgerwehren, einer Relativierung des gegen den Rechtsstaat gerichteten Rechtsterrorismus sowie eine Missachtung der Rechtsbindung der Staatsgewalt an Gesetz und Recht durch die kontinuierliche Andeutung nicht gerechtfertigter staatlicher Gewalt“. Außerdem werde das Rechtsstaatsprinzip durch die „unzutreffende Berufung“ auf das Widerstandsrecht des Grundgesetzes unterminiert.

Mit der apodiktischen Feststellung „Deutschland ist kein Rechtsstaat mehr!“ hat der „Flügel“-Chef Björn Höcke bereits im Dezember 2019 Tonalität und Stoßrichtung der innerparteilichen Diskussion vorgegeben.

Ihren Niederschlag hat diese rechtsstaatsfeindliche Agitation im AfD-Wahlprogramm 2021 mit einer realitätsfernen Diffamierung der Gewaltenteilung gefunden: „Zahlreiche Gesetze und die politische Praxis haben die Gewaltenteilung in Deutschland als Kernelement des Rechtsstaates in Gefahr gebracht und zu einer überbordenden Staatsgewalt geführt.“

Als Konsequenz wollen die Rechtspopulisten „parteipolitische Netzwerke, die durch eine verbotene, verfassungswidrige Ämterpatronage entstehen können“, „nicht länger tolerieren“. Was diese Drohung im politischen Alltag bedeuten soll, lässt die rechtsradikale AfD hier wie häufig offen.

Mit der zunehmenden Radikalisierung scheinen die Hemmschwellen für rechtsstaatswidrige Aufrufe zu sinken. Im Schaufenster eines Reisebüros in Hechingen hing zeitweise ein Poster mit dem Schriftzug: „Habeck in den Knast“.

„Es bröckelt schon“

In seiner Bewerbungsrede für einen Listenplatz bei der Europawahl fordert der stellvertretende Vorsitzende der Jungen Alternative, Tomasz Fröhlich: „Baerbock, Strack-Zimmermann, Merz und Scholz an die Ostfront.“ Der Zweitplatzierte Petr Bystron forderte in Magdeburg „Knast“ für die linke Spitzenkandidatin und Seenotretterin Carola Rackete. Ordentliche Gerichts- und Verwaltungsverfahren spielen hier offenbar keine Rolle mehr.

Ein beliebtes Agitationsziel der Rechtspopulisten ist die Justiz, die angeblich unfähig sei, Missstände zu bekämpfen. Wegen angeblich zu „milder Urteile gegen kriminelle Migranten“ fordert Thorsten Weiß, AfD-Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, das „Justizsystem endlich auszumisten“, es sei ein „nicht mehr ernstzunehmender Trümmerhaufen“. Stefan Räpple, AfD-Abgeordneter in Baden-Württemberg, missfiel, dass angeblich „Intensivtäter von der Justiz und grünen RichterInnen in Watte gepackt werden“.

Stefan Möller, neben Höcke zweiter Landessprecher der AfD-Thüringen, vertrat in einem Facebook-Post die Auffassung, dass es in der Bundesrepublik im Widerspruch zum Grundgesetz „keinen effektiven Rechtsschutz – auch gegen Übergriffe des Staates – also der regierenden Parteien“ mehr gebe.

Der „normale Bürger“ finde dort „kaum Gehör“ und auch die größte Oppositionsfraktion – gemeint ist die AfD – „habe dieses Recht nicht“. Nach der Analyse des Verfassungsschutzberichtes 2021 des Landes stellt die AfD Thüringen damit die „Institution des Rechtsstaats als politisch einseitig gelenkt“ dar und spricht damit „den unabhängigen Gerichten ihre Kontrollfunktion und somit der Bundesrepublik ein System der demokratischen Gewaltenteilung ab“.

Während die AfD eine „Entpolitisierung“ der Justiz durch den Ausschluss von Parteien bei der Wahl von Richtern und Staatsanwälten anzustreben behauptet, spielt sich im Justizalltag das Gegenteil ab: eine Politisierung ihrer Mitglieder und Sympathisanten in der Dritten Gewalt.

Eine „Erosion“ finde hier laut der Verfassungsrechtlerin Markard „heute schon statt“: „Es bröckelt schon.“ Damit meint sie Robenträger mit einem rechtspopulistischen bis rechtsextremen Vorverständnis, die die politische Neutralität der Dritten Gewalt gerichtlich wie außergerichtlich mal offen, mal versteckt verletzen.

Ungarn schaffte den Rechtsstaat schnell ab

Drei prominente Beispiele: Den früheren Dresdner Landrichter und rechtsextremistischen Ex-AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier hat das sächsische Richterdienstgericht in den vorzeitigen Ruhestand geschickt, weil er „in seiner künftigen Rechtsprechung nicht mehr glaubwürdig erscheint und das Vertrauen in seine Unvoreingenommenheit nicht mehr besteht“.

Die frühere Berliner Landrichterin und AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, zurzeit wegen des Verdachts der Teilnahme an einem gewaltsamen Staatsstreich in Untersuchungshaft, hat das Berliner Richterdienstgericht vorläufig des Dienstes enthoben: „Das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit“ sei durch ihre geheimbündlerischen Aktivitäten „unheilbar zerstört“.

Den Freiburger Staatsanwalt und heutigen AfD-Bundestabgeordneten Thomas Seitz hat das Richterdienstgericht Karlsruhe wegen seiner „rechtsstaatswidrigen Haltung“ aus dem Dienst entlassen – unter anderem, weil er im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise den Staat als „politisches Unterdrückungsinstrument“ und die Dritte Gewalt als „Gesinnungsjustiz“ desavouiert hatte.

Im März 2022 hat das Verwaltungsgericht Köln die Einstufung der Gesamtpartei AfD als „Verdachtsfall“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz gebilligt, auch weil „Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip bestehen“. Mit Begriffen „Systempresse“ oder „Systemparteien“ beziehungsweise „Kartellparteien“ würden „wesentliche Bestandteile der verfassungsmäßigen Ordnung diffamiert und infrage gestellt“.

Ein Blick nach Polen und Ungarn zeigt, wie schnell sich der Rechtsstaat abschaffen lässt. Ein Blick nach Israel verrät, dass auch jahrzehntelang gefestigte Demokratien nicht vor einem autoritären Umbau gefeit sind.

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