Kurznachrichtendienst Bluesky: Das große Hallo am blauen Himmel

Viele Twitter-Nut­ze­r:in­nen wechseln zur neuen Plattform Bluesky. Dort geht es bisher deutlich gesitteter zu. Trotzdem braucht es kritische Distanz.

Das Display eines Smartphones mit blauem Wolkenhimmel

Die große Wanderung von X zu Bluesky Foto: Fernando Gutierrez-Juarez/picture alliance

Es ist die aktuell wohl größte Fluchtbewegung im virtuellen Raum. Wer kann, macht rüber. Von X, ehemals Twitter, der Mutter aller Kurznachrichtendienste. Zu Bluesky, der bisher vielleicht besten Kopie.

Was genau den großen Austausch ausgelöst hat, ist unklar. Vielleicht war die offene Wahlempfehlung von X-Chef Elon Musk für die AfD, die bei vielen das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Jedenfalls tauchen seit einigen Tagen reihenweise Menschen, die prominent in der deutschsprachigen X-Bubble waren oder sind, nun bei Bluesky auf. Und wer schon dort ist, registriert seit Tagen stark steigende Followerzahlen.

Als Musk Twitter vor fast einem Jahr gekauft hat, flogen etliche Early Birds rüber zu Mastodon. Diese schon vor Jahren gegründete, dezentral organisierte Plattform galt vielen als bester Ersatz. Die Zahl der User verdreifachte sich binnen eines Jahres von weniger als 5 auf heute über 14 Millionen. Weil aber gewohnte Tools fehlten und die Diskussionskultur als etwas staubig empfunden wird, wurde Mastodon nie den Ruf der Plattform für Nerds los.

Bluesky hat dagegen einen entscheidenden Vorteil. Es sieht aus wie X, ist sogar ein Ableger des Unternehmens – aus Vor-Musk-Zeiten. Der damalige Twitter-CEO Jack Dorsey hatte den Start des Spin-offs 2019 verkündet. Im Februar dieses Jahres startet die Beta-Version mit wenigen hundert ausgesuchten Nutzer:innen. Im September wurde nach eigenen Angaben die Millionen-User-Schwelle überschritten. Und sie steigt weiter.

Altbekanntes Design

Noch ist Bluesky verhältnismäßig klein. Zudem fehlt die Möglichkeit, Direktnachrichten zu versenden oder Posts in Listen zu sortieren. Dennoch trendet dort seit Tagen das große Hallo. Man freut sich, dass man da ist. Begrüßt alte Freund:innen, die man lange nicht gesehen hat. Hilft Neu­stei­ge­r:in­nen auf die Sprünge.

„Hallo, Menschen auf BlueSky“, schrieb zum Beispiel die österreichische Politikwissenschaftlerin, Kolumnisten und Posterin Natscha Strobl am Montag. Und freute sich kaum eine halbe Stunde später: „Ihr seid so lieb. Ich wurde noch (null) Mal beschimpft oder für eine Regierungskrise verantwortlich gemacht.“ Was die zwei wichtigsten Phänomene verdeutlicht: Die alte Social-Media-Selbstironie hat hier Platz. Denn die rechten Trolle fehlen. Zumindest noch.

„BlueSky ist ein bisschen wie Einschulung im neuen Gymnasium. Neue Klasse, viele alte und paar neue Freunde, einige aus dem Kindergarten sind plötzlich wieder da. Dafür sind ein paar Raufbolde (sagt man das noch so?) ganz weit weg“, schreibt der Anwalt Chan-Jo Jun und kündigt an, seine Tweets bei Twitter zu löschen. Dort hatte er fast 100.000 Follower.

Keine rechten Trolle

Das Fehlen der rechten Trolle liegt auch an der exklusiven Zugangsregel, die Bluesky noch vorhält. Rein kommt man erst nach wochenlanger Wartezeit – oder waren es gar Monate? Oder wenn man einen Einladungscode hat. Den dürfen Schon-User:innen an ihnen genehme andere in kleinen Dosen weitergeben. Kri­ti­ke­r:in­nen gilt Bluesky daher als elitärer Club. Die Firma will mit der Zugangsbeschränkung nicht nur einen organischen Aufbau sichern, sondern Spammer und „Bad User“, die versuchen, die öffentliche Meinung zu manipulieren, raushalten. Also Musk. Trump. AfD-Trolle. Putin-Spam.

Aktuell scheint das zu funktionieren. Zwar entspannen sich schon heftige Diskussionen darüber, ob Mas­to­don nicht doch besser oder zumindest unverzichtbarer wäre, ob das mit Bluesky nicht auch nur ein Hype ist und ob es wirklich von Vorteil ist, dass man bisher noch nicht mit extrem anders Denkenden debattieren kann. Oder muss. Aber man bleibt höflich.

Selbst der Bundestag ist schon da. Und dessen Social-Media-Verantwortlicher kann freundlich nach Support fragen, ohne gleich von einem gehässigen Mob verspottet zu werden.

Kurz gesagt. Es ist herrlich entspannt. Anziehend. So anziehend, dass #Bluesky und #Himmel seit Tagen sogar beim ollen X, ehemals Twitter trenden. Und #Code. Weil viele nach begehrten Einlasscodes fragen. Bei Ebay werden sie sogar für 10 Euro angeboten.

Mittlerweile sind auch erste Po­li­ti­ke­r:in­nen da. Saskia Esken zum Beispiel. Die SPD-Vorsitzende, die sich wegen Musk vor einem Jahr bei Twitter verabschiedete, steht seit 4 Tagen bei Bluesky so sehr Rede und Antwort, dass man sich fragt, ob sie sonst noch zu was kommt. Offensichtlich hat sie was vermisst.

Auch erste Medien sind aktiv. Die taz zwitschert im Himmel. Von der Tagesschau gibt es immerhin einen inoffiziellen Nachrichten-Bot. Und die Süddeutsche …, nein halt. Das war ein Fake. Gestartet, um zu zeigen, dass man gerade bei neuen Plattformen vor allem eins bewahren sollte: kritische Distanz.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.