Antifaschismus in Brandenburg: „Niemand fragte nach den Opfern“

Der Verein Opferperspektive feiert am Freitag sein 25-jähriges Jubiläum. Geschäftsführerin Judith Porath über Kontinuitäten rechter Gewalt in Brandenburg.

Gegen den Bundesparteitag der rechtsextremen DVU wird in Kirchheim mit Abfalltonnen, die mit Anti-Neonazi-Plakaten beklebt sind, protestiert.

Gegen rechte Gewalt braucht es eine starke Zivilgesellschaft, die sich dagegen stellt Foto: Martin Schutt/dpa

taz: Frau Porath, vor 25 Jahren wurde die Opferperspektive gegründet. Was war der Grund?

Judith Porath: Es gab in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eine weitere Welle von rechts motivierten Gewalttaten und Brandenburg gehörte leider bundesweit zu den Hotspots. Der rassistische Angriff auf Noël Martin ist zum Beispiel ein Fall von damals, der bis heute vielen Menschen in Erinnerung geblieben ist.

Baseballschlägerjahre“ nannte man die Zeit, oder?

Ja, und die gingen dann noch weiter bis in die erste Hälfte der Nuller-Jahre. Auf jeden Fall war der politische und gesellschaftliche Diskurs damals, dass vor allem die Situation der Täter im Mittelpunkt stand – in der Berichterstattung, der Sozialen Arbeit, der Wissenschaft, der Politik. Überall wurde die Frage gestellt: Warum machen „unsere Kinder“ sowas. Sie wurden damals als die eigentlichen Opfer der Wende und des Transformationsprozesses behandelt.

53, ist Geschäftsführerin der Opferperspektive Brandenburg und arbeitet seit 2000 für den Verein. Der hat inzwischen 19 Mitarbeitende (Teilzeit) und neben einer Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt auch eine Antidiskriminierungsberatung. Die Beratungsstellen werden vom Bund und vom Land finanziert – allerdings immer nur von Jahr zu Jahr, so dass die Arbeit stets aufs Neue Förderanträge geschrieben werden müssen.

Und die wirklichen Opfer?

Mit denen hat sich eben niemand befasst. Niemand fragte: Wer ist betroffen? Und wie ist deren Lebenssituation? Die sind in den ganzen Jahren völlig allein gelassen worden. Klar gab es ab und zu auch Betroffenheitsbekundungen, es gab immer Solidarität von Einzelpersonen, aber nichts Strukturiertes. Und wenn es eine Lichterkette gab oder eine große Demonstration, haben die Leute danach in der Regel doch wieder alleine da gesessen mit ihren Ängsten, ihren Sorgen. Dem wollten wir nicht länger tatenlos zugucken.

Wer war „wir“?

Wir waren vier, fünf Leute, die vorher schon in den 1990er Jahren emanzipatorische linke Jugendprojekte in Brandenburg unterstützt haben, die ebenfalls immer wieder angegriffen wurden. Wir haben gesagt: Das geht so nicht weiter, wir gründen jetzt ein politisches Projekt. Da war noch gar nicht an Geld zu denken und an die Beratungsstellen, die wir jetzt haben. Wir wollten die Leute, die Opfer rechter Gewalt geworden sind, aufsuchen und fragen, was braucht ihr, und sie unterstützen bei der Umsetzung der Möglichkeiten, die es gibt. Wir wollten aber auch rechte Gewalt aus Perspektive der Betroffenen thematisieren und einfordern, dass Gesellschaft, Politik, dass alle solidarisch sein müssen mit den Menschen, die attackiert werden – und ihnen zuhören.

Sie sind also zu Betroffenen hingegangen und haben Hilfe angeboten?

Ja, das ist bis heute fast gleich geblieben. Wir haben damals in Zeitungen recherchiert und geguckt, wo es Anhaltspunkte gibt, wir haben in unseren Netzwerken gefragt und dann unsere Unterstützung angeboten. Das machen wir heute auch noch: Medien durchforsten, wo gibt es Hinweise auf rechte, rassistische, antisemitische, queerfeindliche Attacken, dann auf die Leute zugehen und gemeinsam mit ihnen herausfinden, was sie brauchen. Damals wie heute haben z.B. Geflüchtete, also marginalisierte Positionen, kaum Zugang zum Hilfesystemen in der Bundesrepublik.

Heute leben wir wieder in einer Zeit mit vermehrten rechten Angriffen und einem politischen Diskurs, der sich nach rechts verschiebt. Was ist für Sie der Unterschied zu damals?

Rechte, rassistische Gewalt – rechts ist für uns ein Klammerbegriff – hat sich verändert. Wir haben es weniger mit diesen ganz, ganz schweren, lebensbedrohlichen Angriffen zu tun. Das letzte Todesopfer, das wir registriert haben in Brandenburg, war 2008 zu beklagen. Aber die Attentate in Halle und Hanau haben uns vor Augen geführt: die Gefahr des tödlichen Rechtsterrorismus gibt es nach wie vor, auch in Brandenburg. Was sehr an die Zeit vor 25 Jahren erinnert, ist die aggressiv-nationalistische Stimmung und rasant zunehmende Abwertung von marginalisierter Gruppen.

Gesellschaftlich?

Ja, diese Stimmung in den letzten Jahren, seit 2015, seit Pegida, den „Nein zum Heim“-Demos. Seither hat sich die gesellschaftliche Ablehnung von scheinbar marginalisierten Gruppen immer weiter verfestigt. Und aus Worten werden Taten, das sehen wir ganz deutlich. Wir haben es heute viel mehr mit subtileren Formen von Attacken zu tun. Es gibt viel Bedrohung, Nötigung, Einschüchterung – aber natürlich weiterhin auch Körperverletzungsdelikte. Auch bei den Zielgruppen sehen wir teilweise heute Veränderungen.

Inwiefern?

Alternative Jugendliche waren in den ersten Jahren eine wichtige Zielgruppe: Punks, Grufties – was es damals so gab an alternativen Jugendkulturen. Und die haben sich natürlich auch verändert. Punks gibt es nicht mehr so viele in Brandenburg. Aktuell werden dafür verstärkt queere Jugendliche attackiert.

Inwiefern hat sich die solidarische Zivilgesellschaft verändert?

Es sind mit der Zeit viele Bündnisse entstanden, es gab und gibt immer Menschen, die aktiv sind – aber sie kommen und gehen. Ich denke, dass die die Zivilgesellschaft insgesamt gerade wieder deutlich stärker unter Druck steht. Das merkt man auch daran, dass es schwieriger ist, Solidarität mit Betroffenen zu organisieren, vor Ort Unterstützung für die Leute zu finden. Ich denke, weil viele sich selbst ohnmächtig fühlen vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklungen.

Vielleicht, weil man heute denkt, es ist noch schlimmer als damals und rechtes Gedankengut immer „normaler“ wird?

Das gab es auch in den 90ern. Denken Sie an die Menschen, die geklatscht haben in Rostock-Lichtenhagen, in Hoyerswerda. Das war ja auch die „normale Bevölkerung“, die entweder klammheimliche Zustimmung gezeigt hat oder ganz offen – und die rechten Täter konnten sich in der Regel als „Vollstrecker des Volkes“ ansehen.

Was ist heute anders?

Das Neue ist: Jetzt haben wir es mit einer rechtsextremen AfD zu tun, die der parlamentarische Flügel einer rechten Bewegung wird. Es gibt ja nicht nur die AfD, es gibt weiterhin die Kameradschaftsstrukturen, dazu die sehr gewalttätige und sehr gefährliche Kampfsportszene, wo sich viel vermischt miteinander, und die heute auch Gewerbe haben. Das hatten die Rechten damals noch nicht, die haben sich also Strukturen aufgebaut und damit eine wirtschaftliche Grundlage, auch für politische Tätigkeiten. Das hat sich total verändert. Dazu kommt noch das Internet als neuer Resonanzraum, wo ganz viel Zustimmung zu menschenverachtenden Positionen generiert wird. Die Situation empfinde ich derzeit deswegen insgesamt als sehr bedrohlich für Menschen, die im Fokus der rechten Bewegung stehen. Auch weil wenig Bereitschaft da ist, ihnen zuzuhören – sondern eher den so genannten Wutbürgern.

Also waren Sie nicht so erfolgreich in Ihrem Bemühen, einen Perspektivwechsel in Politik und Gesellschaft herbeizuführen?

Doch, natürlich gibt es Erfolge. So gibt es jetzt in allen Bundesländern unabhängige Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt. Wir sind quasi das Mutterprojekt für den Aufbau von professionellen Strukturen, wo Menschen, die attackiert werden, Hilfe finden. Wir waren bundesweit die Ersten mit dieser Verbindung von Einzelfallhilfe, lokaler und politischer Intervention. Der Wechsel von der Täter- zur Opferperspektive findet auch insofern statt, weil zum Beispiel heute in den Medien deutlich stärker über die Opfer berichtet wird. Im Zusammenspiel mit vielen anderen, auch mit den Überlebenden von Attentaten und schweren Gewaltdelikten, konnten wir die Forderung, dass Betroffene ernst genommen werden und sichtbar und präsent sein müssen, immer wieder deutlich machen. Da stehen wir heute an einen ganz anderen Punkt als damals – auch wenn es natürlich noch Verbesserungsbedarf gibt.

Was ist für Sie gerade die größte Baustelle?

Was in den letzten Jahren ein bisschen aus dem Blick geraten ist, weil alle immer sehr auf die polizeilichen Ermittlungen gucken, ist, wie die Justiz mit den Fällen umgeht.

Was meinen Sie?

In Cottbus zum Beispiel haben wir seit Jahren das Problem mit überlangen Verfahrensdauern, die dazu führen, dass rechte Gewalttäter entweder gar nicht verurteilt werden können oder nur mit einem deutlichen Strafnachlass.

Sind die Gerichte in Cottbus so überfordert?

Laut Politik sind alle Stellen besetzt. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber das ist für Betroffene ein unhaltbarer Zustand, weil sie nicht abschließen können mit ihren Erfahrungen. Zudem ist es auch präventiv eine Katastrophe, wenn Täter nicht zeitnah – oder gar nicht – verurteilt werden. Wenn die Sachen nicht juristisch aufgearbeitet werden, ist das wie ein Freifahrtschein für die Nächsten.

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