Eine Person trägt die Fahne der indigenen Gemeinschaft Chiles über eine Pferdekoppel

Die Bewegung der Mapuche kämpft um mehr Recht – und ist gleichzeitig gespalten Foto: Victor Ruiz Caballero/Reuters

Indigene in Chile:In schlechter Verfassung

Chile stimmt im Dezember über eine neue Verfassung ab. Die Rechte der indigenen Mapuche bleiben im Entwurf außen vor. Ein Besuch.

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14.11.2023, 13:58  Uhr

Sergio Catrilaf will, dass der chilenische Staat ihm sein Land zurückgibt. Das Land, das ein deutscher Ingenieur im 19. Jahrhundert seinem Großvater wegnahm. Catrilaf blickt von einem Hang aus in ein Tal, durch das ein Fluss fließt und in dem einst seine Vorfahren lebten. Heute versperren Hochspannungsmasten den Blick auf den Horizont, der Lärm einer Autobahn übertönt das Rauschen des Flusses.

Catrilaf lebt in der Nähe von Temuco im Süden Chiles in der Gemeinde Juan Catrilaf II, die den Namen seines Großvaters trägt. Der deutsche Ingenieur, der seinen Vorfahr enteignete, hieß Theodor Schmidt, er kam 1858 nach Chile. Der gebürtige Darmstädter wurde vom chilenischen Staat damit beauftragt, die Ländereien rund um Temuco zu vermessen und zwischen der indigenen Bevölkerung, den Mapuche, und den Siedlern zu verteilen. Dabei schrieb Schmidt sich auch selbst Landtitel zu – unter anderem von dem Grundstück, auf dem der Urgroßvater von Sergio Catrilaf lebte. Nach Schmidt ist ein Platz in Temuco benannt, der Hauptstadt der Araucanía-Region. Es ist die ärmste Region Chiles.

Sergio Catrilaf ist Mapuche, so heißt das größte der zehn indigenen Völker, die in dem schmalen Land an der Pazifikküste leben. Mehr als 1,7 Millionen Menschen in Chile identifizieren sich als Mapuche, das entspricht etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Als Indigene werden diejenigen bezeichnet, die vor der Invasion der Spanier im 15. Jahrhundert auf dem amerikanischen Kontinent lebten. Die Mapuche verfügen heute nur noch über etwa fünf Prozent ihres ursprünglichen Territoriums.

Gabriel Boric, der Anfang 2022 mit der linken Koalition Frente Amplio die Regierung übernahm, hatte den Mapuche im Wahlkampf versprochen, ihnen ihr Land zurückzugeben. „Wir suchen nach der Wurzel des Problems und ich hoffe, dass wir zum 200. Jahrestag des Vertrags von Tapihue dem chilenischen Volk und dem Volk der Mapuche eine Versöhnung und eine Wiedervereinigung anbieten können“, sagte er in einer Rede im Juni.

Die Mapuche sind das einzige indigene Volk, das die spanischen Konquistadoren nicht besiegen konnten. 1641 erkannte die spanische Krone mit dem Vertrag von Quilín den Fluss Bío Bío als Grenze von Wallmapu an, wie die Mapuche ihr Land nennen. 1825 bestätigte der chilenische Staat das mit dem Vertrag von Tapihue. Später brach er das Abkommen: Das Militär besetzte das Gebiet der Mapuche von 1851 bis 1883, tötete und vertrieb Tausende.

Einen Lösungsvorschlag für den seit Jahrhunderten andauernden Landkonflikt soll eine „Kommission für den Frieden und das Verständnis“ erarbeiten, die am 21. Juni ihre Arbeit aufnahm. 18 Monate lang, also bis Ende 2024, hat sie dafür Zeit. Zu den acht Mitgliedern der Kommission gehören Ver­tre­te­r*in­nen der Mapuche wie Adolfo Millabur, aber auch Alfredo Moreno, ein ehemaliger Minister unter dem rechten Ex-Präsidenten Sebastián Piñera. Auch Carmen Gloria Aravena ist dabei, eine Senatorin der rechtsextremen Republikanischen Partei.

Der Mann, der die Kommission leiten soll, macht einen etwas erschöpften Eindruck. Víctor Ramos, 42 Jahre alt, von Beruf Psychologe, sitzt in seinem Büro im zweiten Stock im Regierungspalast La Moneda im Zentrum von Chiles Hauptstadt Santiago. „Das Ziel der Kommission ist es, eine Lösung für einen historischen Konflikt zu finden, den der Staat verursacht hat“, sagt Ramos.

Als ersten Schritt soll die Kommission nun Daten erheben, um herauszufinden, wie viel Land die Mapuche eigentlich überhaupt zurückfordern – bisher verfügt der Staat nicht über diese Daten.

Víctor Ramos, Kommissionsmitglied

„Es ist möglich, dass eine so gigantische Landforderung entsteht, dass der chilenische Staat sagen muss: Dem kann ich nicht gerecht werden“

Klar ist: Es geht um viel Land. „Es ist möglich, dass eine so gigantische Landforderung entsteht, dass der chilenische Staat unter den gegenwärtigen politischen Umständen und mit dem Budget, das er hat, sagen muss: Dem kann ich nicht gerecht werden“, sagt Ramos. Die Kommission müsse ein Gleichgewicht finden zwischen der Wiedergutmachung für die Mapuche und den Eigentumsrechten der aktuellen Landbesitzer.

Der einzige Mechanismus, den es derzeit in Chile gibt, um Indigenen Land zurückzugeben, ist dieser: Der Staat kauft das Land von seinen aktuellen Ei­gen­tü­me­r*in­nen zum Marktpreis und übergibt es anschließend an die indigenen Gemeinden. Das ist nur möglich für Gemeinden, die sogenannte Títulos de merced besitzen: Landtitel, die der chilenische Staat Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausstellte. Derzeit gibt es 720 indigene Gemeinden, die nach der aktuellen Gesetzgebung das Recht hätten, Land auf diese Weise zurückzubekommen.

Zu ihnen gehört auch die Gemeinde von Sergio Catrilaf, der den Landtitel von seinem Urgroßvater erhalten hat. „Der Staat trägt die Hauptverantwortung“, sagt Catrilaf. Es sei schließlich der chilenische Staat gewesen, der den Vertrag von Tapihue brach, mit dem das Militär in das Gebiet der Mapuche einmarschierte und sie von ihrem Land vertrieb. Anschließend übergab der Staat das Land an europäische Siedler, viele von ihnen kamen aus Deutschland und der Schweiz.

Viele Grundstücke, sogenannte Fundos, befinden sich bis heute im Besitz von Familien mit europäischen Nachnamen: Luchsinger, Taladriz, Cooper. Der sozialistische Präsident Salvador Allende gab den Mapuche Anfang der 1970er Jahre mehr als 130.000 Hektar Land zurück. Aber Diktator Augusto Pinochet enteignete die Indigenen anschließend wieder und ging mit Gewalt gegen die Mapuche vor. Mindestens 136 Mapuche sollen während der Diktatur getötet worden sein oder verschwanden. Nur 16 Prozent der zuvor zurückerstatteten Gebiete blieb im Besitz der Mapuche.

1989 ging Pinochets Ära zu Ende, ein Referendum läutete Wahlen noch im selben Jahr ein. Mehrere indigene Ver­tre­te­r*in­nen verhandelten einen Vertrag mit dem Präsidentschaftskandidaten der demokratischen Opposition, Patricio Aylwin. Nach seinem Wahlsieg gründete die neue Regierung die Corporación Nacional de Desarrollo Indígena (Conadi), eine staatliche Institution, die sich für indigene Belange einsetzt, und verabschiedete das Ley Indígena(Indigenen-Gesetz).

Aber nicht alle Versprechen des Vertrags wurden eingehalten. Die Indigenen und ihre Rechte sind bis heute nicht in der Verfassung Chiles anerkannt. Der Handlungsspielraum der Conadi ist begrenzt. Luis Penchuleo leitet seit dem Amtsantritt von Boric die Conadi. Der 38-Jährige war in der Studierendenbewegung aktiv und war lange Mitglied verschiedener Mapuche-Organisationen, die sich für Landrückgaben einsetzen. Er gründete sogar eine Mapuche-Partei, Wallmapuwen, sie wurde aber 2017 aufgelöst.

Die Conadi verfüge zwar über mehr Budget als unter den Vorgängerregierungen – aber trotzdem reiche es nicht aus, um allen Landforderungen gerecht zu werden, sagt Penchuelo. Und nicht nur das Budget sei unzureichend, sondern auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, die das Indigenen-Gesetz für die Landrückgaben vorsieht. So sind zum Beispiel keine Enteignungen mit einer verhandelten Entschädigung für den Landbesitzer möglich – sondern nur der Kauf zu Marktpreisen, was für den Staat sehr teuer ist.

Portrait Sergio Catrilaf

Kämpft um das Land seines Großvaters: der Mapuche Sergio Catrilaf Foto: Sophia Boddenberg

Bei dem Land, das der chilenische Staat als Eigentum der Mapuche anerkennt, weil sie die entsprechenden Landtitel besitzen, handelt es sich laut Penchuelo ohnehin nur um zehn Prozent des Landes, das die Mapuche insgesamt zurückfordern. „Unter den gegenwärtigen Voraussetzungen würde es 80 bis 90 Jahre dauern, nur um das Land zurückzugeben, das der Staat aktuell anerkennt“, sagt Penchuleo.

Er hofft deshalb, dass die Kommission für den Frieden und das Verständnis einen neuen rechtlichen Rahmen für die Landrückgaben schaffen wird. „Wir müssen eine politische Lösung finden, die über die aktuelle Regierung hinausgeht.“ Dafür sei ein politischer Kompromiss aller im Parlament vertretenen Parteien notwendig. „Das ist vielleicht die letzte Chance, die wir haben, um eine politische Lösung für diesen Konflikt zu finden“, sagt Penchuleo. Denn viele Mapuche finden, dass die Regierung zu langsam ist – also nimmt der Konflikt vor Ort an Aggressivität zu.

„Wir hatten große Hoffnung in die Regierung“, sagt Javier Meliman. Er ist werkén, eine Art Sprecher, der Mapuche-Gemeinde Trapilhue in Padre las Casas. Er trägt eine Wollmütze und eine dicke Jacke, ein kalter Wind weht nach dem Regen. Kühen grasen auf einer Wiese nebenan, ein paar Meter weiter erntet jemand Gemüse, ein Hahn kräht. Die Gemeinde pflanzt rote Beete, Salat, Weizen und Hafer an. Ein Teil davon sei für die Selbstversorgung, einen anderen Teil verkaufen sie auf dem lokalen Markt und einen weiteren Teil geben sie anderen Mapuche-Gemeinden, die nicht genug Land haben, um ihre eigenen Lebensmittel anzupflanzen. „Wir unterstützen uns gegenseitig“, sagt Meliman.

Das Land brauchen sie als Lebensgrundlage. Mapuche heißt übersetzt „Menschen der Erde“.

Etwa 300 Familien leben in der Gemeinde Trapilhue. Die meisten haben bei den Präsidentschaftswahlen 2022 für Boric gestimmt. „Aber wir sind enttäuscht, weil es bisher keine konkreten Fortschritte gegeben hat“, sagt Meliman. Die Gemeinde Trapilhue hat zwar einen Teil ihres Landes in den 1990er Jahren von der Conadi zurückerstattet bekommen, aber mehr als die Hälfte fehlt noch.

Seit über zehn Jahren seien sie in Verhandlungen mit der Conadi wegen des restlichen Landes. Weil die Landrückgaben nur langsam vorangehen, besetzt die Gemeinde immer wieder das Grundstück und wurde schon mehrfach von der Polizei unter Gewaltanwendung vertrieben. „Es muss schneller gehen“, sagt Meliman.

Andere Mapuche haben vollkommen das Vertrauen in den chilenischen Staat verloren und wenden andere politische Strategien an. Organisationen wie die Coordinadora Arauco Malleco (CAM) und Weichan Auka Mapu nennen ihre Strategie „territoriale Kontrolle“. Das heißt, sie besetzen Gebiete, die sie als ihre ansehen, und verteidigen sie – zur Not auch mit Gewalt. Die CAM hat den Forstunternehmen den „Krieg erklärt“ und zündet immer wieder Maschinen und Lastwagen der Unternehmen an. Die Organisation bezeichnet sich selbst als „antikolonial, antikapitalistisch und revolutionär“.

Als Borics ehemalige Innenministerin Izkia Siches im März 2022 wenige Tage nach Regierungsantritt in den Süden Chiles reiste, um sich mit Ver­tre­te­r*in­nen der Mapuche zu treffen, verwehrte die Gemeinde Temucuicui ihr den Zutritt, es wurden Schüsse in die Luft abgefeuert. Der gescheiterte Annäherungsversuch belastete die Beziehung zwischen den Mapuche und der neuen Regierung.

Das chilenische Parlament erklärte die CAM und weitere Mapuche-Organisationen im Juni 2022 zu „rechtswidrigen Vereinigungen mit terroristischem Hintergrund“. Zwei Monate später wurde Héctor Llaitul festgenommen, einer der Anführer der CAM. Er befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Angeklagt ist er auf Grundlage des Nationalen Sicherheitsgesetzes.

Llaitul hatte vor seiner Festnahme zum „bewaffneten Widerstand“ aufgerufen, nachdem die Regierung den Ausnahmezustand über die Mapuche-Regionen verhängt hatte. Der Ausnahmezustand schränkt demokratische Grundrechte der Bevölkerung wie die Versammlungs- und Bewegungsfreiheit ein und erlaubt den Einsatz des Militärs, um „die öffentliche Ordnung zu beschützen“.

Die Maßnahme geht auf den ehemaligen rechten Präsidenten Sebastián Piñera zurück. Der aktuelle Regierungschef Boric hatte im Wahlkampf versprochen, das Militär aus dem Gebiet der Mapuche abzuziehen – aber er gab dem Druck von Rechten und Unternehmern nach und brach das Versprechen im Mai 2022, nur wenige Wochen nach Regierungsantritt. Anfang August kündigte die Regierung zudem einen neuen Militärstützpunkt in Traiguén in der Araucanía-Region an.

Viele Mapuche leben deshalb seit fast zwei Jahren im Ausnahmezustand und mit eingeschränkten demokratischen Grundrechten, während Militärfahrzeuge auf den Straßen patrouillieren. Das verschärft den Konflikt.

Im Süden Chiles gibt es viele wirtschaftliche Interessen: Forstplantagen, Landwirtschaft, Energieprojekte. Naturwälder sind Monokulturen von Kiefern und Eukalyptusbäumen gewichen. Sie eignen sich besonders gut für die Herstellung von Zellstoff als Grundlage für die Papierproduktion. Chile exportiert Zellstoff – nach China und auch nach Deutschland. Außerdem werden immer mehr Windparks in der Region gebaut – ohne dass die Mapuche beteiligt würden.

„Die Militärs beschützen die Interessen der Unternehmen, nicht die der Bevölkerung“, sagt Sergio Catrilaf. „In einer Demokratie sollten wir keine Militärs auf den Straßen haben.“ Es gebe eine politische Verfolgung der Mapuche durch den chilenischen Staat, sagt er. Catrilaf war selbst schon mehrfach im Gefängnis, wurde aber jedes Mal freigesprochen. In einem Gefängnis in der Stadt Angol in Araucanía sind derzeit 23 Mapuche inhaftiert.

Naturwälder sind Monokulturen von Kiefern und Eukalyptusbäumen gewichen. Außerdem werden immer mehr Windparks in der Region gebaut – ohne dass die Mapuche beteiligt würden.

Und es sind Justizverfahren wie diese, die den Konflikt ebenfalls eskalieren lassen: Im November 2018 tötete ein chilenischer Polizist den 24-jährigen Mapuche-Aktivisten Camilo Catrillanca mit einem Kopfschusses, als der in seiner Gemeinde auf einem Traktor bei der Feldarbeit unterwegs war. Der Auslöser des Polizeieinsatzes war ein vermeintlicher Autodiebstahl gewesen. Der Polizist wurde zu 16 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt. Als ein Cousin des Aktivisten Catrillanca im Juli 2023 wegen Diebstahls und versuchten Mordes an einem Polizisten vor Gericht stand, fiel die Strafe mit 47 Jahren Haft im Vergleich weitaus höher aus.

Bei den landesweiten Protesten 2019 und 2020 wehten in ganz Chile Flaggen der Mapuche, und das Gesicht von Camilo Catrillanca ist bis heute auf vielen Mauern zu sehen. Für viele Chi­le­n*in­nen sind die Mapuche ein Symbol des Widerstands. Die Protestierenden forderten eine neue Verfassung für Chile, um die aktuelle zu ersetzen, die noch aus der Pinochet-Diktatur stammt. Die Mapuche Elisa Loncon wurde im Juli 2021 zur Präsidentin des Konvents gewählt, der eine solche Verfassung erarbeiten sollte – es war ein historischer Moment für Chile.

Zum ersten Mal in der Geschichte waren alle zehn indigenen Völker an einem verfassunggebenden Prozess beteiligt, 17 der 155 Sitze waren für sie reserviert. Der Entwurf für eine neue Verfassung, den die Versammlung ausarbeitete, enthielt über 20 verschiedene Normen, um die Rechte der Indigenen zu beschützen. Chile sollte ein plurinationaler Staat werden nach dem Vorbild von Ecuador und Bolivien – also ein Staat, in dem viele Nationen gemeinsam und gleichwertig leben.

Aber der Entwurf wurde abgelehnt. Knapp 62 Prozent stimmten im ganzen Land gegen den Text. Ausgerechnet in den Regionen, wo die Mapuche leben, waren es noch mehr. In der Region Araucanía stimmten fast 74 Prozent gegen den Verfassungsentwurf. Auch die Gemeinde Trapilhue von Javier Meliman lehnte den Text ab. „Wir hatten nicht genug Informationen“, sagt der Gemeindesprecher. Niemand sei zu ihnen gekommen, um ihnen den Inhalt des Verfassungsentwurfs zu erklären. Von dem Konzept „Plurinationalität“ hatten viele noch nie etwas gehört.

Es gebe eine Kluft zwischen den Mapuche, die in der Politik und als Aka­de­mi­ke­r*in­nen tätig sind, und dem Rest der Gesellschaft, sagt der Historiker und Mapuche-Experte Fernando Pairican. „Die politische Gemeinschaft der Mapuche verliert die Beziehung zum einfachen Volk.“ Die meisten Mapuche seien zwar für Landrückgaben, aber abstrakte Konzepte wie Plurinationalität seien nicht für alle verständlich.

„Die Ablehnung des Verfassungsentwurfs ist grundlegend, um die Wende der Regierung zu verstehen“, sagt Pairican. „Aber die Regierung offenbart auch ihre Prinzipien gegenüber den indigenen Völkern.“ Anstatt sich weiter für die Rechte der Indigenen einzusetzen, würde die Linke unter Präsident Boric sie im Stich lassen und sie für das Scheitern des verfassunggebenden Prozesses verantwortlich machen.

Der Verfassungskonvent habe gesellschaftliche Fortschritte angestoßen, die Dekolonialisierung vorangetrieben. Aber die Reaktion darauf sei „eine rassistische und kolonialistische Offensive der konservativen Sektoren“ gewesen. „Die Indigenen werden bestraft und ihre politische Teilhabe wurde auf ein Minimum reduziert“, sagt Pairican.

Die Teilhabe der Mapuche minimiert

Im Mai dieses Jahres wurde ein neuer Verfassungskonvent gewählt – aber dieses Mal nur mit 51 Mitgliedern und mit nur einem reservierten Sitz für Indigene – ein Anteil von nur noch zwei Prozent im Vergleich zu den zehn Prozent im ersten Verfassungskonvent. Den einen Sitz erhielt der Mapuche Alihuen Antileo. Die rechtsextreme Republikanische Partei erhielt die meisten Sitze und stimmte einstimmig dafür, die Indigenen nicht am verfassunggebenden Prozess zu beteiligen.

„Wir erleben gerade eine politische Revanche der Elite gegen das Volk“, sagt Antileo. Mit den Protesten 2019 und 2020 seien drei politische Akteure erstarkt: Die Indigenen, die Feministinnen und die Parteiunabhängigen. „Für die Eliten, die seit Jahrzehnten immer nur unter sich waren, war es schlichtweg unerträglich, dass all diese Menschen eine neue Verfassung schreiben würden.“

Anfang November beendete der Verfassungsrat seine Arbeit. Am 17. Dezember soll die Bevölkerung abstimmen, ob sie den neuen Verfassungsentwurf annimmt. Antileo ruft die Mapuche und die anderen indigenen Völker Chiles dazu auf, gegen den Entwurf zu stimmen. „Wir fühlen uns nicht mit einbezogen in diesen Text“, sagte er, nachdem der Verfassungsentwurf an Präsident Boric übergeben wurde.

Die Anerkennung der indigenen Völker „als Teil der chilenischen Nation“ wird zwar in einem Artikel erwähnt, aber sie ist nicht mit spezifischen Rechten verbunden. Das Thema Landrückgaben kommt überhaupt nicht vor. Sergio Catrilaf und Javier Meliman haben sich mit anderen Gemeinden zusammengeschlossen, um gemeinsam ihr Land zurückzugewinnen – mit oder ohne die Unterstützung der Regierung.

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