Debatte über Vertiefung der Unterweser: Ergebnisoffen oder nicht?

Im Seehafen Brake beginnt ein „Dialog zur Fahrrinnenanpassung der Unterweser (Nord)“. Kri­ti­ke­r*in­nen bezweifeln, dass das Ergebnis noch offen ist.

Die Weser zwischen Brake und Nordenham.

Schon heute gibt es das Problem versalzender Weiden: Die Unterweser zwischen Brake und Nordenham Foto: dpa | Sina Schuldt

OSNABRÜCK taz | Seehäfen, die tief im Binnenland liegen, tun dem Fluss, der die Schiffe zu ihnen bringt, meist nicht gut. Das ist auch in der niedersächsischen Kleinstadt Brake der Fall, an der Weser, mehr als 25 Kilometer landeinwärts gelegen.

Eigentümer des dortigen Hafens ist mit „Niedersachsen Ports“ das Land Niedersachsen, Betreiber die J. Müller Gruppe. Schiffe bis zu 11,90 m Tiefgang können Brake erreichen. Geht es nach dem Bundesverkehrswegeplan 2030 (BVWP), sollen es künftig 90 Zentimeter mehr sein.

Dafür müsste erneut der Nordabschnitt der Unterweser vertieft werden. Der BVWP sieht dafür „vordringlichen Bedarf“, versteht eine Vertiefung als „qualitative Verbesserung“.

Wenn man nur den Verkehr betrachtet, mag das sogar stimmen. Aber die Weser ist nicht nur eine Wasserstraße. Und Vertiefungen haben Folgen, von der Versalzung und Verschlickung bis zur Strömungsverschnellerung. Zum Leidwesen vieler Tier- und Pflanzenarten. Zu Ungunsten vieler Nutzungen, von der Freizeit bis zur Landwirtschaft.

Wenn am 9. Oktober im Braker Hafen am frühen Nachmittag der Auftakt für den „Dialog zur Fahrrinnenanpassung der Unterweser (Nord)“ stattfindet, mit Olaf Lies (SPD) und Christian Meyer (Grüne), den niedersächsischen Ministern für Wirtschaft und Umwelt, wird das „Aktionsbündnis gegen die Weservertiefung“ vor dem Hafentor eine Mahnwache abhalten. „Eine ganze Gegend wird hier einfach alleine gelassen und ignoriert“, sagt Annette Chapligin der taz, Sprecherin des Bündnisses und Vorsitzende der BUND-Kreisgruppe Wesermarsch. „Man kann die Natur nicht ohne Ende ausdehnen.“

Christian Meyer (Grüne), Niedersächsischer Umweltminister

„Ich habe erhebliche Zweifel, wie weitere Vertiefungen mit den Umweltzielen vereinbar sein sollen“

Chapligin beunruhigt, dass das Gespräch auf dem Hafen-Privatgelände „die Öffentlichkeit ausschließt“. Auch Heike Stahl-Krippner hat Bedenken, Vize-Vorsitzende des Vereins „Weserschutz“ aus Nordenham, der Mitglied im Aktionsbündnis ist: „Dass der Veranstaltungsort, der Braker Hafen, selbst ein wichtiger Akteur im Prozess ist und maßgeblich von einer Weservertiefung profitieren möchte, setzt das Signal, dass das Land sich bereits auf eine Seite geschlagen haben könnte.“

Ein Demo-Aufruf des Bündnisses für Montag mahnt, es gehe „um unsere lebenswerte Heimat“. In einem Offenen Brief an Lies und Meyer sprechen Leenert Cornelius, Ralf Degen und Dierk Dettmers, drei Grünlandbauern der Region, von „ökologischem und wirtschaftlichem Unsinn“. Die Umweltverbände BUND, NABU und WWF fordern anlässlich des Auftakts des „Dialogs“ die Politik „eindringlich auf, die seit Jahrzehnten fortgesetzte Spirale immer neuer Flussvertiefungen mit katastrophalen ökologischen Auswirkungen zu durchbrechen“.

Das Bündnis ist kreativ. 2021 hat es in Nordenham entlang der Weser das „Blaue Band“ gespannt. 2022 kam es zum „Schlickwatching“ im Großensieler Hafen, wurden in Brake Wasserproben gezogen, um den Salzgehalt zu messen. 2023 hat es die Petition „Kein Einvernehmen zu weiteren Weservertiefungen“ an den Niedersächsischen Landtag gerichtet; mehr als 2.200 Menschen haben sie unterschrieben.

Gestärkt sieht sich das Bündnis durch den Kreistag des Landkreises Wesermarsch. Ende 2022 hat er einstimmig eine Resolution beschlossen, die Niedersachsens Landesregierung auffordert, das Einvernehmen zur Vertiefung zu „versagen“. Sie möge Lösungen entwickeln, „mit denen der Hafen Brake zukunftsfähig weiterentwickelt werden kann, ohne die Weser vertiefen zu müssen“.

Das soll jetzt im Braker „Dialog“ begonnen werden. Von einem Ausschluss der Öffentlichkeit könne dabei „keine Rede sein“, schreibt Matthias Eichler, Sprecher des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, der taz: „Es ist ein Runder Tisch mit den Umweltverbänden (BUND, NABU, WWF), den Kommunen und Landkreisen (von denen viele die Weservertiefung ablehnen), Fischerei- und Landwirtschaftsverbänden (die ebenfalls überwiegend die negativen Folgen betonen) und der örtlichen Hafenwirtschaft (die für die Vertiefung ist).“ Er sei ergebnisoffen.

„Die bisherigen Vertiefungen haben durch die Verschiebung der Brackwasserzone erhebliche Schäden für Umwelt und Landwirtschaft angerichtet“, schreibt Eichler der taz. „Statt die Flüsse immer weiter zu vertiefen, gilt es, ein gemeinsames norddeutsches Hafenkonzept zu entwickeln und umzusetzen.“

Verpflichtungen durch die EU-Wasserrahmenrichtlinie

Die EU-Wasserrahmenrichtlinie verpflichte Deutschland, alle Gewässer, also auch die Weser, bis 2027 in einen guten ökologischen Zustand zu versetzen. Umweltminister Meyer zur taz: „Ich habe erhebliche Zweifel, wie weitere Vertiefungen mit den Umweltzielen vereinbar sein sollen.“

Er baue „sehr auf einen offenen, vertrauensvollen und zielführenden Dialog mit allen Beteiligten“, sagt Meyer. „Als Umweltminister sehe ich mögliche Weservertiefungen bekanntermaßen sehr kritisch, daher ist es mir wichtig, dass die Argumente der Umweltverbände, Fischer und Kommunen dagegen gehört werden.“ Alle ökologischen und ökonomischen Aspekte würden im „Dialog“ betrachtet. „Dazu dient dieser erste Austausch der Argumente.“

Aktionsbündnis indirekt beteiligt

Auch der Verein „Weserschutz“ sitzt mit am Tisch, ebenso der BUND aus Niedersachsen und Bremen. Das Aktionsbündnis ist damit „zumindest indirekt“ ebenfalls eingeladen, sagt Chapligin. Rund drei Dutzend Institutionen, Firmen, Kommunen und Vereine zählt der Sprecher des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums Christian Budde gegenüber der taz auf, vom kleinen Segelclub bis zu Steelwind Nordenham, einem Anbieter von Fundamenten für die Offshore-Windkraft. Freien Zutritt gibt es aber nicht.

Immerhin: Im Koalitionsvertrag der rot-grünen Landesregierung Niedersachsen steht, man werde beantragen, die Vertiefung „aus dem Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz herauszunehmen“. Geschähe das, wäre es nicht mehr möglich, sie ohne regulären Planfeststellungsbeschluss durchzupeitschen. Und Klagen würden wieder möglich, auch von Umweltverbänden. Wann das soweit ist, ist offen.

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