Ausschreitungen in der Rigaer Straße: Keine Hilfe aus Angst vor Hinterhalt

In der Rigaer Straße bleibt ein Notruf über Stunden offenbar ohne Reaktion. Grund sollen Krawalle von Linksradikalen gewesen sein.

In der Rigaer Straße zünden Menschen Pyrotechnik von einem Haus.

Notruf 110 und 112? Aber nur, wenns grade nirgendwo knallt Foto: Annette Riedl/dpa

BERLIN taz | Was, wenn man den Notruf ruft und über Stunden keiner kommt? Eine Mitarbeiterin der taz klagt, genau dies sei ihr passiert. Am Montagabend, berichtet sie, wurde in einem Haus in der Rigaer Straße, einem linken Wohnprojekt, ein guter Freund von ihr tot in seinem Zimmer aufgefunden. Der Mann, der ihn fand, ebenfalls ein guter Freund, habe Feuerwehr und ärztlichen Notdienst gerufen, zum ersten Mal gegen 22 Uhr, doch niemand sei gekommen.

Die taz-Journalistin kam im Laufe des Abends dazu, sie wohnt selbst nicht in dem Haus. Bei einem erneuten Anruf beim ärztlichen Notdienst 116117 sei der Freund an die Polizei verwiesen worden, die ihm aber gesagt habe, sie käme nicht, aus Angst vor einem Hinterhalt.

Tatsächlich gab es am frühen Montagabend etwa 500 Meter entfernt, vor dem linksradikalen Hausprojekt Rigaer Straße 94, Ereignisse, die diesen Gedanken nicht abwegig erscheinen lassen. „Es war dort einiges los“, sagt die taz-Kollegin, es war der dritte Jahrestag der Räumung der Liebigstraße 34 direkt um die Ecke.

Laut Polizei standen etwa 40 Menschen auf der Straße vor der Rigaer 94 und entzündeten Feuer. Eintreffende Beamte, so die Polizeimeldung, seien mit Steinen und Pyrotechnik beworfen worden, zehn Kollegen hätten „Atemwegsreizungen, Knalltraumata und Prellungen“ erlitten. Kurz darauf seien Polizisten in die Liebigstraße gerufen worden, im ehemals besetzten Haus sei eine leer stehende Wohnung aufgebrochen worden. Auch dort seien Beamte mit Pyrotechnik beworfen, aber nicht getroffen worden.

Dürfen Rettungskräfte und Polizei Notrufe ignorieren?

Der Beamte am Telefon empfahl dem Freund, er könne ja zur Ecke Rigaer/Proskauer Straße kommen, dort stünden viele Beamte und man könne reden, aber sie würden nicht zu dem Haus, von dem der Notruf kam, kommen. Die taz-Mitarbeiterin berichtet, sie sei mit dem Freund dorthin gegangen, wo zahlreiche Polizeibeamte in Wartestellung standen.

Sie hätten den Einsatzleiter inständig gebeten, einen Arzt zu schicken, und beteuert, dies sei kein „Fake“, man brauche Hilfe. Erst dann und nach Vorlage ihres Journalistenausweises habe man ihnen geglaubt.

Schließlich seien zwei Polizisten und zwei Kri­mi­nal­be­am­t*in­nen mitgekommen. Nach deren Bestätigung, dass es tatsächlich eine Leiche im Haus gebe, sei gegen halb drei nachts der Arzt gekommen. Die Todesursache sei noch unklar, so die Journalistin. „Was wäre, wenn mein Freund noch am Leben gewesen wäre und Hilfe gebraucht hätte?“, fragt sie.

Zeugin

„Was wäre, wenn mein Freund noch am Leben gewesen wäre und Hilfe gebraucht hätte?“

Eine Anfrage der taz, ob Rettungskräfte und Polizei wirklich einen Notruf ignorieren dürfen, weil es in der Nachbarschaft Konflikte gibt, wurde bis Redaktionsschluss nicht beantwortet. Die Polizei erklärte, die Vorwürfe erforderten eine gründliche Aufarbeitung, eine Stellungnahme könne frühestens am Mittwoch erfolgen.

Die Feuerwehr erklärte am Dienstagabend, der Notruf sei gegen 22:21 eingegangen. Da es sich um eine „unzweifelhaft tote Person“ gehandelt habe, sei die Angelegenheit an die Polizei übergeben worden.

Nachtrag: Die Polizei erklärte am Donnerstag, bei ihr sei kein Notruf eingegangen. Sie sei um 22:21 Uhr von der Feuerwehr über eine tote Person in dem Haus informiert worden. Es sei also „keine besondere Eilbedürftigkeit gegeben“ gewesen, so dass man „nach Maßgabe freier Dienstkräfte“ jemanden geschickt habe. Um 0:19 Uhr sei eine Streife gekommen, kurz darauf ein Bereitsschaftsarzt erschienen, der amtlich den Tod festgestellt habe.

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