Rechtsextreme Artgemeinschaft verboten: Ende des völkischen Treibens

Innenministerin Faeser verbietet die rechtsextreme Artgemeinschaft. Diese veranstalteten germanische Treffen – und hielten Kontakte ins NSU-Umfeld.

Nordrhein-Westfalen, Essen: Ein Polizist trägt beim Einsatz einen hydraulischen Türöffner.

Razzia in Essen am Mittwochmorgen: Die Polizei geht gegen die sogenannte „Artgemeinschaft“ vor Foto: Justin Brosch/dpa

BERLIN taz | Es ist eine Herberge im kleinen Ilfeld im Thüringer Südharz, das Gasthaus Hufhaus, wo sich seit Jahren regelmäßig krude Szenen abspielten. Männer in traditionellen Hemden und Frauen in Gewändern trafen sich dort zu Treffen am „Metkessel“ – die „Gemeinschaftstage“ der völkischen Artgemeinschaft. Dann gab es „Volkstänze“, „germanischen Sechskampf“ oder „Mitmachkurse zur Runenmagie“. In Vorträgen wird aber auch zu sozialdarwinistischer und antisemitischer Ideologie doziert. Und immer mittendrin befinden sich die Kinder der Artgemeinschaftler.

Nun soll damit Schluss sein. Am frühen Mittwochmorgen ließ Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die rechtsextreme „Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“ verbieten. In 12 Bundesländern rückte die Polizei aus und durchsuchte die Wohnungen von 39 Beschuldigten. Gefunden wurden dabei auch rechtsextreme Devotionalien, Gold, Schusswaffen und eine ABC-Schutzausrüstung. Laut Ministerium wurden auch waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen.

Faeser, die momentan auch SPD-Spitzenkandidatin zur Hessenwahl ist, sprach von einer „sektenartigen, zutiefst rassistischen und antisemitischen Vereinigung“. Die Artgemeinschaft sei breit in der rechtsextremen Szene vernetzt und habe versucht, durch „eine widerwärtige Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen neue Verfassungsfeinde heranzuziehen“. Ein Jahr lang hatte Faesers Ministerium das Verbot vorbereitet.

Es ist ein Schlag gegen eine Szene, die auch von Sicherheitsbehörden lange unbeachtet blieb: das rechtsextreme Siedlungsspektrum. Über Jahre konnten sich Gruppen wie die Artamanen, die Anastasia-Bewegung oder Weda Elysia in ländlichen Räumen ausbreiten, Höfe übernehmen und völkische Bräuche pflegen. Auch Treffen der Artgemeinschaft blieben von der Polizei fast immer unangetastet. Nun aber setzt Faeser ein Zeichen – nur eine Woche nachdem sie bereits die rechtsextremen Hammerskins verbot.

Gefährliche NS-Ideologie

Die Artgemeinschaft setzte indes weniger auf Siedlungsprojekte denn auf Ideologiefestung nach innen. Im völkischen Spektrum ist sie damit bundesweit die größte neonazistische Vereinigung – und die älteste. Und schon 1951 gründete Alt-Nazi Wilhelm Kusserow eine Vorläuferorganisation, seit 1957 ist die Artgemeinschaft in Berlin als Verein eingetragen.

Ab 1989 führte und prägte die Artgemeinschaft jahrelang der Rechtsextremist, NPD-Bundesvorstand und Szeneanwalt Jürgen Rieger, der 2009 verstarb. Er schrieb auch das „Sittengesetz“ der Gemeinschaft, in dem eine „Wehrhaftigkeit bis zur Todesverachtung gegen jeden Feind von Familie, Sippe, Land, Volk, germanischer Art und germanischen Glauben“ gepredigt wird.

Für den Nachwuchs gab es Kinderbücher mit rassistischen und antisemitischen Inhalten

Die Gruppe verstand er als „Kampfverband“ und lehnte sie ideologisch an die NS-Rassenlehre an. So heißt es im „Artbekenntnis“, die „Menschenarten“ seien „verschieden in Gestalt und Wesen“. Ziel sei die „Mehrung der germanischen Art“, auch mit „gleichgearteter Gattenwahl“ und dem Ziel „gleichgearteter Kinder“. Rieger selbst bezog die Artgemeinschaft einmal auf die „nordisch-fälische Rassengemeinschaft, als nur einen Teil der gesamten Menschenheit, und zwar den Teil, dem wir enger zugehören“.

Die Nachwuchsgewinnung

Ein Fokus lag auf der Nachwuchsgewinnung. So erhielten Familien ein „Geburtsgeld“ oder einen „Familienlastenausgleich“. Abtreibungen sollten so verhindert und kinderreiche Familien befördert werden. Kinderlose Mitglieder mussten 100 Euro zusätzlich im Jahr entrichten.

Für „die jüngsten Gefährten“ wurden derweil gezielt Kinderbücher aufgelegt, mit rassistischen oder antisemitischen Inhalten und Titeln wie „Die Bazillen“ oder „Der Bandwurm“. Eingefordert wird dort die Entfernung von „fremden“ Parasiten. Das Buch der „Pudelmopsdackelpinscher“ wiederum hetzte kaum verhohlen gegen Juden: Den „Rassemischling“ kennzeichne „Niedertracht und Gemeinheit“, heißt es darin. Auch er müsse sein „Schicksal erfüllen“, „erst dann ist wieder Ruhe und Ordnung“.

Noch zu Riegers 10. Todestag veranstaltete die Artgemeinschaft eine „Morgenfeier“. Und noch bis Dienstag bewarb sie fast täglich auf internen Messenger-Kanälen Bücher von Rieger oder andere Werke wie „Deutsche Tischsprüche für die Sippe“. Gepflegt wurde auch eine eigene Zeitrechnung – „n. St.“, nach Stohnehenge. Denn: Man wolle nicht die „Zählung der Jahre nach einem uns aufgezwungenen Juden namens Christus hinnehmen“.

Das Innenministerium wirft der Gruppe laut der 92-seitigen Verbotsverfügung Verstöße gegen die „verfassungsmäßige Ordnung“ vor. Zugerechnet werden der Artgemeinschaft rund 150 Mitglieder, im Kern sollen es rund 40 gewesen sein. Zu Veranstaltungen wie den regelmäßigen Sommersonnenwenden, oder Julfeiern kamen indes auch mal bis zu 350 Teilnehmende. Wer der Gemeinschaft beitreten wollte, musste dafür monatlich ein Prozent seines Netto-Einkommens zahlten, mindestens aber 80 Euro im Jahr. Verpflichtend war auch ein eintägiger Arbeitseinsatz im Jahr. Sie erhielten auch die gruppeneigene „Nordische Zeitung“.

Die Gruppe scheute die Öffentlichkeit

Die Öffentlichkeit suchte die Gruppe nicht, im Gegenteil. Ihr Tun versuchte sie meist im Verborgenen zu organisieren – wohl auch, weil sie schon länger ein Verbot befürchtete. Einladungen zu ihren Treffen gingen nur über interne Kanäle an Mitglieder. Vor Ort waren Fotos und Filmaufnahmen untersagt, betont wurde, dass es „keine Spaßveranstaltungen“ seien. Zusammen kam dann auch der „Gemeinschaftsrat“.

Für einzelne Regionen gab es dann „Quartierswarte“ und „Gefährtschaften“ mit klingenden Namen wie „Nordmark“ oder „Kurpfalz“, die mindestens neun Mitglieder bedurften. Darunter gab es „Freundeskreise“, etwa „Jomsgau“ oder „Wittekindsland“.

Die Artgemeinschaft traf sich aber auch anderswo, etwa zu „Frauen-Wander-Wochenenden“ auf Usedom und Hessen oder zum 70-jährigen Jubiläum der Gruppe etwa in Berlin-Lichterfelde, vor dem früheren Wohnhaus des Artgemeinschaft-Gründers Kusserow. Nach eigenen Auskünften wurden auch Kontakte zu skandinavischen, französischen oder italienischen Rechtsextremisten gepflegt.

Jens Bauer- vermeintlicher Vertrauter der NSU

Zuletzt war der frühere NPD-Aktivist Jens Bauer aus Sachsen-Anhalt länger Anführer der Artgemeinschaft. Der trat zuletzt auch bei Coronaprotesten oder beim rechtsextremen „Trauermarsch“ in Dresden auf und gilt als Vertrauter des NSU-Waffenlieferanten Ralf Wohlleben. Diesen soll er nach seiner Haftentlassung 2018 zwischenzeitlich bei sich aufgenommen haben.

Auch der NSU-Helfer André Eminger soll zumindest ein Treffen der Artgemeinschaft besucht haben. Schon im Herbst 2021 soll Bauer dann die Führung der Artgemeinschaft an seine Stellvertreterin Sabrina S. abgegeben haben. Im Vereinsregister wurde dies erst im Juni nachgetragen. Auch das Haus von Sabrina S., ein ehemaliges Brauereigelände im bayrischen Hausen, wurde am Mittwoch durchsucht.

Jens Bauer soll allerdings weiter Vorsitzender des Vereins „Familienwerks“ gewesen sein – in dem ebenfalls alle Artgemeinschaftler Mitglied werden sollten. Auch das „Familienwerk“ wurde am Mittwoch verboten.

Als zentraler Akteur gilt auch Alexander D. aus Baden-Württemberg, der ebenfalls durchsucht wurde und Kontakte zur militanten Szene hält, etwa zu dem verurteilten Rechtsterroristen Martin Wiese. Auch im sächsischen Leisnig wurden gleich mehrere Höfe von Mitgliedern durchsucht, die zuvor bereits in der verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ aktiv waren und in Sachsen angesiedelt waren.

Verbote zeigten Wirkung

Zu den Sympathisanten der Artgemeinschaft soll vor Jahren auch der Lübcke-Mörder Stephan Ernst gezählt haben. Laut Sicherheitsbehörden stand er auf einer Liste, die Mitglieder und Förderer aufführte, und soll dort 2011 gestrichen worden sein, weil er seine Mitgliedsbeiträge nicht mehr bezahlt habe. Mitverboten sind nun auch verschiedene Teilorganisationen der Artgemeinschaft: das „Familienwerk“, die „Gefährtschaften“, „Gilden“ und „Freundeskreise“.

Die Artgemeinschaft ist damit nur ein Projekt von mehreren in der völkischen Siedlungsbewegung. Wie viele Personen sich dort tummeln, lässt sich schwer bemessen – obwohl Jour­na­lis­t*in­nen und Ex­per­t*in­nen schon lange warnen, schauen die Sicherheitsbehörden erst seit Kurzem genauer hin. So stufte das Bundesamt für Verfassungsschutz erst im Juni die Anastasia-Bewegung als extremistischen Verdachtsfall ein. Und warnte: Die Gruppe könnte auch „Personen radikalisieren, die zuvor nicht in extremistischen Zusammenschlüssen aktiv waren“.

Erst vor einer Woche hatte Faeser die rechtsextremen Hammerskins verboten, die vor allem mit Rechtsrockkonzerten Gelder machten. Auch diese sahen sich als Szeneelite und waren rund 30 Jahre aktiv. Faeser hatte zu Amtsbeginn als Innenministerin angekündigt, rechtsextreme Netzwerke zu „zerschlagen“.

Die jüngsten Verbote zeigten jedenfalls Wirkung in der rechtsextremen Szene. Noch am Mittwoch verkündeten die „Arische Bruderschaft“ und die „Brigade 12“ vorauseilend ihre Auflösung. Bei der Artgemeinschaft stellte sich indes die Frage, ob Mitglieder nicht gewarnt gewesen sein könnten. So datiert das Verbot schon auf den 4. August – vollstreckt wurde es aber erst jetzt. Zum anderen ist auf die Adresse von Sabrina S., der letzten Artgemeinschaft-Leiterin, bereits ein neuer Verein gemeldet – das „Stiftungswerk Zukunft – Heimat“. Der postuliert „Brauchtumspflege, Heimatkunde, Familienförderung“. Es klingt ganz wie bei der Artgemeinschaft.

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