Alternative Nobelpreise 2023: Ak­ti­vis­tIn­nen ohne Furcht

Die Right Livelihood Awards gehen an SOS Méditerranée und an Ak­ti­vis­tIn­nen in Kambodscha, Ghana und Kenia. Sie kämpfen für Frauen und Umwelt.

Menschen steigen auf dem Meer von einem Boot in ein anderes

Rettung auf dem Mittelemeer: SOS Méditerranée im Einsatz Foto: Stefano-Belacchi/Right Livelihood

STOCKHOLM taz | „Sie sind ZeugInnen großen Leids und kämpfen um das Leben und die Würde Einzelner ebenso wie um die Lebensgrundlagen von Menschen überall auf der Welt.“ So stellte die Stiftung des „Right Livelihood Award“, besser bekannt als „Alternativer Nobelpreis“, am Donnerstag in Stockholm ihre diesjährigen PreisträgerInnen vor. Deren Kampf gelte „gesellschaftlichen Tabus beim Thema Abtreibung in afrikanischen Ländern, dem autoritären Regime und korrupten Unternehmen in Kambodscha, einer wachsenden humanitären Krise im Mittelmeer und menschen- wie umweltschädigenden Geschäftspraktiken in Kenia“.

Geehrt werden die kenianische Umweltaktivistin Phyllis Omido, die ghanaische Medizinerin Eunice Brookman-Amissah, die kambodschanische Umweltorganisation „Mother Nature Cambodia“ und „SOS Méditerranée“, die europäische maritim-humanitäre Organisation, die im Mittelmeer Menschen in Seenot rettet. Gemeinsam sei ihnen, der Verletzung von Menschenrechten und der Zerstörung der Umwelt „Konzepte für eine lebenswerte Zukunft entgegenzustellen“.

Phyllis Omido

Von ihrem Kampf gegen umwelt- und gesundheitsschädliche Bleischmelzen und den damit verbundenen Todesdrohungen und Verhaftungen hatte Phyllis Omido vor vier Jahren auch in einem Interview mit der taz berichtet. Die 45-Jährige – auch „Mama Moshi“, die „Mutter gegen den Rauch“ und „Erin Brockovich von Ostafrika“ genannt – hatte selbst in einer Batterie-Recycling-Fabrik in der Gemeinde Owino-Uhuru nahe der kenianischen Hafenstadt Mombasa gearbeitet, deren Betrieb zur Folge hatte, dass sie selbst, ihr Sohn und Tausende BewohnerInnen schwere Bleivergiftungen erlitten.

„Die Technik war veraltet, und keiner der Beschäftigten in der Fabrik hatte eine Schutzausrüstung erhalten, sie waren nicht darüber informiert worden, dass sie mit giftigen Stoffen arbeiteten“, erzählt sie. Nachdem es zu mehreren Todesfällen gekommen war und sich sowohl die Eigentümer der Fabrik wie Behördenvertreter weigerten, aus der von Omido vorgelegten Umweltverträglichkeitsstudie Konsequenzen zu ziehen, mobilisierte sie die Gemeinde zu Protesten.

Eine Frau inmitten einer Gruppe von demonstrierenden AktivistInnen

Kenianische Umweltaktivistin: Phyllis Omido (Mitte) und ihre Mit­strei­te­rIn­nen Foto: Right-Livelihood

Nach einer Demonstration im Jahr 2012 wurde Omido in ihrem Haus angegriffen und unter dem unbegründeten Vorwurf des Terrorismus und der Anstiftung zur Gewalt verhaftet.

Omido wandte sich daraufhin an die Medien und an internationale Menschenrechtsorganisationen. Nachdem TV-Dokumentationen großes Aufsehen erregt hatten, sahen sich die Behörden gezwungen, den BewohnerInnen von Owino-Uhuru Blutproben zu entnehmen sowie das Wasser und den Boden auf Blei zu untersuchen – weigerten sich aber zunächst, die Ergebnisse zu veröffentlichen. „Erst als wir damit drohten, eine Leiche in das Regierungsbüro zu bringen und mit der dort so lange sitzen zu bleiben, bis die Ergebnisse veröffentlicht würden, wurden die Werte zugänglich gemacht“, berichtet sie.

Die Fabrik in Owino-Uhuru und 16 weitere solcher Industrieanlagen wurden geschlossen. 2017 verabschiedete die UN eine Resolution zur Bekämpfung unsachgemäßen Recyclings von Bleibatterien in Afrika. Zwischenzeitlich wurde ein Netzwerk von rund 120 UmweltschützerInnen in Kenia, Uganda und Tansania aufgebaut, um andere Betroffene dabei zu unterstützen und zu begleiten, ihre Gemeinden vor Umweltschäden zu schützen.

Omido hatte 2015 bereits den „Goldman Environmental Prize“ – auch „Grüner Nobelpreis“ genannt – erhalten. Das von ihr gegründete „Centre for Justice, Governance and Environmental Action“ engagiert sich derzeit gegen die Pläne der kenianischen Regierung in Kilifi, einem unberührten Küstenbezirk, der für seine Korallenriffe, Fischerdörfer und seine reiche Tierwelt bekannt ist, ein AKW errichten zu wollen.

Mother Nature Cambodia

Um den Kampf gegen Umweltzerstörung geht es auch beim ersten „Alternativen Nobelpreis“, der nach Kambodscha geht: An „Mother Nature Cambodia“, eine 2012 gegründete Jugendorganisation, die sich laut Begründung der Preisjury zur wichtigsten Umweltrechtsorganisation des Landes entwickelt hat.

Eine Gruppe von Menschen mit weißen Hemden

Ak­ti­vis­t:in­nen von Mother Nature Cambodia Foto: Right-Livelihood

Durch Social-Media-Aktionen sowie die Schulung und Mobilisierung junger KambodschanerInnen habe die Organisation „wesentlich dazu beigetragen, zahlreiche Umweltverstöße im Land aufzudecken und zu beenden“. Dank ihrer Kampagnen sei beispielsweise der Bau eines Wasserkraftwerks im Areng-Tal gestoppt worden, das eine indigene Gemeinschaft bedrohte. Der Organisation gelang es auch, dem Sandabbau und illegalen Sandexport aus der Provinz Koh Kong Einhalt zu gebieten, der lokale Fischgründe und das Ökosystem zerstörte.

Wegen ihres zusammen mit lokalen Gemeinschaften geleisteten Kampfs für Umweltschutz und sichere Lebensgrundlagen sind die Gruppe und ihre Mitglieder massiven Repressionen ausgesetzt. Seit 2015 sind elf AktivistInnen inhaftiert und Dutzende zeitweise festgenommen worden. Der Gründer Alejandro González-Davidson war gezwungen, Kambodscha zu verlassen und war in Abwesenheit zu einer Haftstrafe von 20 Monaten verurteilt worden.

„Der Diktator möchte, dass wir uns von der Politik fernhalten, uns von der Demokratie fernhalten und uns davon fernhalten, uns gegen die Regierung auszusprechen“, sagt Ly Chandaravuth, der ebenso wie Sun Ratha, die Finanzverantwortliche der Organisation, 2021 wegen der Dokumentation der Abwassereinleitung in den Tonlé Sap fünf Monate hinter Gittern verbracht hat. Auf beide wartet derzeit ein Prozess wegen Verschwörung gegen die Regierung und Majestätsbeleidigung. Ihnen drohen Gefängnisstrafen von bis zu 10 Jahren.

Right Livelihood-Direktor Ole von Uexkull spricht von einer „Gruppe furchtloser Aktivisten, die trotz der Unterdrückung durch das kambodschanische Regime für Umweltrechte und Demokratie kämpfen“. Man wolle sie „für ihren engagierten Aktivismus zur Erhaltung der natürlichen Umwelt Kambodschas im Kontext eines stark eingeschränkten demokratischen Raums“ ehren: „Trotz Verhaftungen, rechtlicher Schikanen und Überwachung setzen sie sich weiterhin unermüdlich für die Umwelt- und Bürgerrechte der Kambodschaner ein.“

Eunice Brookman-Amissah

Eunice Brookman-Amissah, eine ghanaische Medizinerin, die zwischen 1996 und 1998 Gesundheitsministerin ihres Landes war, erhält den Preis für ihren „jahrzehntelangen Einsatz, mit dem sie den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen in ganz Afrika vorangetrieben hat“. Die Jury würdigt sie als „eine Pionierin im Bereich sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte“, die sich in einer Region, in der Abtreibung gesellschaftlich tabuisiert war, unermüdlich für sichere Schwangerschaftsabbrüche eingesetzt habe.

Eunice Brookman-Amissah

Kämpft für den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen: Eunice Brookman-Amissah Foto: Right-Livelihood

Sie war ab 2002 Vizepräsidentin der Afrika-Sektion von IPAS, einer internationalen Organisation mit dem Ziel, den Zugang zu sicheren Abtreibungen und Verhütungsmitteln zu verbessern, und initiierte als solche die Verabschiedung beziehungsweise Reform von Abtreibungsgesetzen in vielen Ländern Subsahara-Afrikas – wo es die weltweit höchste Zahl abtreibungsbedingter Todesfälle gibt. „Ihr Engagement hat maßgeblich dazu beigetragen, die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen in der Region seit 2000 um 40 Prozent zu senken“, konstatiert die Stiftung.

SOS Méditerranée

Mehr als 38.500 Menschen habe die 2015 gegründete SOS Méditerranée seit Beginn ihrer Search and Rescue-Einsätze im Jahr 2016 in Sicherheit bringen können, begründet die „Right Livelihood“-Stiftung den Preis für diese Organisation, deren Arbeit eine „Reaktion auf die tragischen Tode im Mittelmeer und das Versagen der Europäischen Union ist, diesem Problem wirksam zu begegnen“.

Sie habe damit „auf dieser tödlichsten Migrationsroute der Welt“ nicht nur Leben gerettet, „sondern erinnert die Öffentlichkeit sowie europäische Institutionen und nationale Regierungen immer wieder an die humanitäre Krise auf dem Mittelmeer“.

Dank der Bündelung von Ressourcen aus vier Ländern – Frankreich, Italien, Deutschland und der Schweiz – könne der Verein das Rettungsschiff Ocean Viking und dessen professionelle Besatzung finanzieren und unterhalten. Aus Seenot gerettete Menschen würden bereits an Bord medizinisch und psychosozial betreut, außerdem verschaffe SOS Méditerranée den Überlebenden Gehör, indem es ihre Geschichten dokumentiere, wolle aber auch die Erinnerung an diejenigen wachhalten, die die gefährliche Reise nicht überlebt haben, hebt die Jury hervor: „Dieser Ansatz betont, dass jeder Mensch und jedes Leben wichtig ist, was in der europäischen Debatte über Flüchtlinge und Einwanderer oft außer Acht gelassen wird.“

Die Ehrung der diesjährigen PreisträgerInnen des 1980 gegründeten „Right Livelihood Award“ findet am 29. November in Stockholm statt.

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