Toxische Männlichkeit im Fußball: Das beständige System Boateng

Der FC Bayern liebäugelt mit Jérôme Boateng, der wegen Gewaltvorwürfen seiner Ex-Partnerin erneut vor Gericht muss. Eine stabile Beziehung.

Jérôme Boateng gestikuliert beim Training.

Bald wieder Mitglied des Profi-Teams? Jérôme Boateng beim Training mit den Bayern-Amateuren Foto: Frank Hoermann/Sven Simon/imago

„Selbstmorddrama! Warum wollte sie nicht mehr leben?“, prangt es in großen Lettern vom Gebäude eines Medienkonzerns. Wie das eben so ist im Boulevardjournalismus. In den Tagen davor wird das Drama vorbereitet. „Nächste Runde im Drama um den Fußball-Weltmeister!“, heißt es da. Und: „Jetzt wird es immer schmutziger!“

Das Medienhaus ist immer bestens informiert: „Es geht um Liebe und Verrat!“ Ein Spezialgebiet des Konzerns: „Die privaten Nachrichten von IHR an die Ex!“ Am Ende wundert sich niemand über den Suizid der Fußballerfreundin. Ob der Medienkonzern durch seine aggressive Berichterstattung die Ex-Freundin des Fußballers in den Tod getrieben hat? Man wundert sich schon lange nicht mehr über die finsteren Seiten des Boulevards.

Und so würde man sich auch nicht wundern, wenn die oben zitierten Schlagzeilen wirklich über den Dächern Berlins zu sehen gewesen wären. Waren sie aber nicht. Benjamin von Stuckrad-Barre hat sie sich für seinen Roman „Noch wach?“ ausgedacht, der Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffigkeiten in der Medienbranche zum Thema hat.

In Interviews muss Stuckrad-Barre tunlichst jede direkte Erwähnung des Medienkonzers Axel Springer vermeiden, an den alle, die das Buch lesen, wohl denken müssen. Die Anwälte würden nur auf einen Fehler von ihm warten, sodass ihm nichts anderes übrigbliebe, als um den heißen Brei herumzureden. So hat er es neulich im Interview-Podcast „Hotel Matze“ angedeutet, wie er überhaupt viel andeutet.

„Boateng schon Boss im Bayern-Training!“

Eindeutig ist er dennoch. Eindeutig ist ja auch die Anspielung auf Jérôme Boateng in seinem Roman. Der hatte ja tatsächlich seine guten Beziehungen zur Bild-Zeitung genutzt, um nur das Schlechteste über seine Ex-Freundin zu berichten. Die hieß Kasia Lenhardt und wurde am 9. Februar 2021 tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Sie hatte sich das Leben genommen. Wie heißt es nochmal in Stuckrad-Barres Roman? „Selbstmorddrama! Warum wollte sie nicht mehr leben?“

Boatengs Beziehung zu Lenhardt war nicht ohne Spannungen gewesen. Einmal kursierten in sozialen Medien Bilder eines eingerissenen Ohrläppchens. Über ein deshalb eingeleitetes Ermittlungsverfahren gegen Boateng wurde berichtet, über dessen Einstellung und Wiederaufnahme. Viel berichtet wurde auch über die Verfahren gegen­ Boateng, in denen er zunächst vor dem Amtsgericht München, dann im Berufungsverfahren vor dem Landgericht wegen Körperverletzung verurteilt worden ist.

Es geht um Gewalt gegen eine ehemalige Lebensgefährtin. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat nun das Urteil aufgehoben. Und nun muss noch einmal darüber verhandelt werden, ob Boateng seine Freundin beleidigt und angegriffen hat. Und noch einmal müssen die Zeuginnen allen Mut zusammennehmen, wenn sie das Gerichtsgebäude betreten. Beim vergangenen Verfahren war eine von den Bodyguards Boatengs gefilmt worden und hatte ihr Unwohlsein darüber zum Ausdruck gebracht.

Ihr Unwohlsein zum Ausdruck gebracht hatten auch etliche Partnerinnen von Fußballprofis in einer Recherche der Investgativjournalistinnen von Correctiv. Die haben von einem System der Abhängigkeiten und des Machtmissbrauchs berichtet, über das auch deshalb so wenig bekannt ist, weil zu einer Beziehung mit einem Fußballer oft auch das Unterzeichnen einer Verschwiegenheitserklärung gehört.

Dieses System wird man kennen beim FC Bayern München, auch wenn da gewiss niemand drüber reden wird. Es ist ein System, das Männer wie Boateng schützt. Der trainiert mittlerweile wieder mit beim FC Bayern München, dem Verein, bei dem er angestellt war, als er 2014 Weltmeister für Deutschland geworden ist. Er soll dazu beitragen, eine Vakanz in der Innenverteidigung des Meisters zu schließen. Alles andere sei Privatsache, wie Sportmanager Christoph Freund meinte. Und außerdem gelte die Unschuldsvermutung, wie Trainer Thomas Tuchel vor dem Champions-League-Gruppenspiel in Kopenhagen gesagt hat.

„Boateng schon Boss im Bayern-Training!“, hieß es am Montag auf bild.de. So einfach ist das? Es ist wie in Stuckrad-Barres Roman. Da ist etwas, von dem alle wissen, mindestens etwas davon ahnen. Es mag kurz für Aufregung sorgen. Doch am Ende geht alles so weiter, wie es immer war. Mit toxischer Männlichkeit, Machtmissbrauch und Übergriffen.

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