Die Kunst der Virtual-Reality: Der Blick in die Dinge

Immer noch sehr experimentell: Die Gruppenausstellung „Unleashed Utopias“ versammelt Virtual-Reality-Kunst im Haus am Lützowplatz in Berlin.

Ornamentales Bild mit Fischen, Aktenordnern, Glühlampen

Mohsen Hazrati, Still aus „Fãl Project [none-AI]“ Foto: Mohsen Hazrati, Haus am Lützowplatz

Und plötzlich ist die eigene Hand ein Ast, auf dem ein Vögelchen sitzt. Mit der deutet man in einer fantastischen Cyberlandschaft auf andere Objekte, die sich beim Kontakt plötzlich wie von Geisterhand zu bewegen beginnen. Es ist wie im Märchen bei „Fãl Project [none-AI]“ des iranischen Künstlers Mohsen Hazrati, das derzeit in der Ausstellung „Unleashed Utopias“ im Haus am Lützowplatz zu sehen ist.

Wie bei Virtual-Reality-Arbeiten üblich, muss man eine Datenbrille aufsetzen, um in die dreidimensionalen Fantasiewelten eintauchen zu können. Im Gegensatz zum ersten VR-Kunstwettbewerb, der von einer deutschen Online-Bank veranstaltet wird und vor zwei Jahren im Haus am Lützowplatz zu sehen war, steckt die Kunst allerdings diesmal nicht nur in einem digitalen Paralleluniversum.

Damals bestand die Ausstellungspräsentation praktisch nur aus Tischen mit Datenbrillen. Diesmal gehörte es zu den Ausschreibungsbedingungen, dass die Arbeiten auch den physischen Raum einbeziehen und eine „Augmented-Reality“-Komponente enthalten sollte – also ein Element, bei dem die Ansicht des physischen Raums durch Material auf einem Tablet oder Smartphone ergänzt wird.

Mohsen Hazrati ist es bei seiner Arbeit gelungen, den märchenhaften und von persischer Folklore beeinflussten Look seiner VR-Arbeit in den Realraum zu übertragen: In einem abgedunkelten Raum steht der Wunschbrunnen, den man auch in der VR-Welt zu sehen bekommt, und schimmert geheimnisvoll vor sich hin.

„Unleashed Utopias. Künstlerische Spekulationen über Gegenwart und Zukunft im Metaverse“: Haus am Lützowplatz, bis 5. November

Übers Tablet kann man eine Weissagung anfordern, dann leuchtet der Brunnen auf, das Wasser beginnt zu fließen, und die Zukunft rückt näher – in Form eines Orakelspruchs von ChatGPT. In dieser Arbeit dient die VR zur Sichtbarmachung von bisher unrealisierten Potentialen, fast wie eine Art Science Fiction. Das gilt auch bei „Posthuman Wombs“ von Anan Fries, die eine Zukunft beschreibt, in der Embryos von Kollektiven in Exo-Gebärmüttern ausgetragen werden.

Perspektivwechsel suchen

Die Künstlerin Marlene Bart hat sich bereits als Tierpräparatorin betätigt, woran ein ausgeweideter Frosch aus Murano-Glas in ihrer Arbeit „Theatrum Radix“ erinnert, der auf einem Regal neben anderen teilweise kaum zu identifizierbaren Objekten liegt. Bart benutzt Computerscans von Exponaten aus dem Berliner Naturkundemuseum, die sie verfremdet und als physisches Objekt oder in der Virtual Reality zeigt, um einen Perspektivwandel zu ermöglichen, weg vom menschlichen, aufklärerischen Blick in die Dinge zu einer organischeren und weniger subjektzentrierten Sichtweise.

Eine futuristische Welt in Lila getaucht, zwei Frauen gehen auf den Betrachter zu

Anan Fries, Still aus Posthuman Wombs Foto: Anan Fries / Haus am Lützowplatz

Sowohl Lauren Moffats „Local Binaries“ wie „Glitchbodies“ von Rebecca Merlic nutzen die Möglichkeiten der Virtual Reality, um so nicht sichtbares Innenleben zu zeigen: Während Moffat sich von Frauen ihr Körpergefühl hat schildern lassen und dies mithilfe von KI in Ölgemälden und 3-D-Environments umsetzt, sind es bei Merlic verschiedene Varianten transsexuellen Begehrens. Moffats formale Experimente mit Ölfarben und Computerräumen führen dabei zu den interessanteren visuellen Resultaten.

Wenn man mehrere VR-Arbeiten in einer Ausstellung zu sehen bekommt, rücken auch die immer noch sehr eigenen Präsentationsbedingungen dieser Kunstform in den Blick. Da sind nicht nur der ewige Kabelsalat und die verschiedenen Controller, deren spezielle Grammatik man sich bei jeder Arbeit neu erschließen muss.

Auch die Headsets schaffen es, gleichzeitig steril zu wirken und Fragen nach der Hygiene aufkommen zu lassen bei einem Instrument, das sich ein Besucher nach dem anderen über den Schädel zieht.

Um Arbeiten neu zu starten oder einen aus Ecken, in die man sich in der virtuellen Realität hineinmanövriert hat, wieder herauszuhelfen, müssen immer wieder die Aufsichtspersonen herbeigerufen werden. Die sind zwar außerordentlich hilfsbereit und gut vorbereitet, aber es gibt schon zu denken, dass eine Kunstforum, die sich durch besondere Immersion und unvermittelte Direktheit auszeichnen soll, nach wie vor so einen hohen Vermittlungsbedarf hat. Die sehr experimentelle Phase der VR-Kunst dauern nun doch schon etwas länger an.

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