wortwechsel
: Burn-out, fehlende Scham und Gewaltspirale

Leh­re­r*in­nen sind körperlich und seelisch belastet. Weniger betroffen schien Herr Aiwanger zu sein, zumindest zeigte er keine Scham. Und kann man 68 und 89 vergleichen?

Leonie Bensch in dem Film „Das Lehrerzimmer“ Foto: Sony pictures via imago

Lehrer im Ausnahmezustand

„Das Pochen am Hals“,

wochentaz vom 14. 10. 23

Vielen Dank für den berührenden Text: „Das Pochen am Hals“. Aus eigener Erfahrung weiß ich, was Leh­re­r*in­nen körperlich und seelisch erleben. Dazu gehört im Positiven: Freudentränen, Ergriffenheit, Gemeinschaftsgefühl, Stolz. Im Negativen: Angst, Panikattacken, Schlafstörungen, Reizdarmsyndrom, Heulanfälle. Die Lehrenden werden alleingelassen mit einer Flut an Problemen, die uns alle betreffen. Quer­ein­stei­ge­r*in­nen sind oft zu wenig pädagogisch geschult und gelangen auch deshalb zum Burn-out, weil sie ihre Energie in die falschen Methoden und Maßnahmen investieren. So ist es wichtig zu wissen, wie Kinder in der Pubertät sind und wie man sie ansprechen sollte. Hier gilt das Prinzip: Ursache-Wirkung, das heißt: Jemand hat etwas Unerwünschtes getan und erfährt zeitnah die daraus resultierende Konsequenz. Erklärungen, Diskussionen, Appelle an die Vernunft etc. haben in diesem Alter wenig bis keinen Erfolg. Das geht erst später. Viele dieser Dinge wissen aber die Quer­ein­stei­ge­r*in­nen nicht, hier muss man ansetzen!

Claudia Mucha, Wolfsburg.

Hessenwahl und Bayern

„Hessen von A–Z“,

wochentaz vom 7. 10. 23

Beim Artikel betreffend die Wahlen in Hessen kamen mir folgende Gedanken: Darin steht, dass 1985, 42 Jahre nach Hitlers Selbstmord, in einem Zeitraum, in dem zum Beispiel Joschka Fischer sich mit weißen Sneakers als Umweltminister in Hessen vereidigen ließ, die Friedensbewegung und Tschernobyl die Menschen bewegten, der jetzige stellvertretende Ministerpräsident von Bayern, Herr Aiwanger, in seiner Schultasche Flugblätter mit sich trug, in denen sich über Auschwitz lustig gemacht wird. Es gab in einem ausgelobten Wettbewerb unter den Schülern erstens einen „Freiflug durch den Schornstein von Auschwitz“ oder zweitens einen „Aufenthalt im Massengrab“ und drittens „Einen kostenlosen Genickschuss“. Unfassbar, was Herr Aiwanger als Gymnasiast kurz vor dem Abitur in seinem Kopf mit sich herumtrug, offenbar tief rechtsradikales Gedankengut. Ich fürchte, angesichts der Tatsache, dass Herr Aiwanger nicht ein Wort der Scham über seine Lippen brachte, nachdem die Sache aufflog, dass der Mann mit größter Vorsicht zu genießen ist.

Karola Igelbrink, Osnabrück

Die DDR und 68

„Was hast Du vor 1989 getan?“,

wochentaz vom 14. 10. 23

So zu fragen ist sicherlich sinnvoll, auch wenn man die Antworten mit einiger Vorsicht behandeln sollte. Aber wenn man analog zu den 68ern vorgehen will, dann muss man auch fragen, was die Betreffenden nach 1989 getan haben. Denn es ging 1967 ff. ja nicht nur darum, den Älteren ihr einstiges Versagen vorzuhalten, es ging viel mehr um ein Grundproblem der bundesdeutschen Entwicklung: die Kontinuitäten der Macht über das Jahr 1945 hinweg. Sie galt es aufzuzeigen, gegen sie hat man angekämpft.

An der heutigen Situation im Osten dagegen findet ein Handeln nach 68er Muster in der Hinsicht keinen Halt: Die älteren Generationen haben ihre Macht, wenn sie überhaupt je welche besessen haben, 1989/90 fast völlig verloren. Das wiederum verweist auf einen zweiten Unterschied zur Situation in den Sechzigern: Dass sich das Naziregime und das Parteiregime der DDR in vielem unterschieden haben, wie Dirk Knipphals schreibt, ist zwar richtig und wichtig, entscheidend ist aber, dass sich das Verhalten breiter Teile des Volkes in den Jahren 1945 und 1989 grundlegend unterschieden hat: 1989 sind hier Millionen für Freiheit und Demokratie auf die Straße gegangen.

Sollen sie sich jetzt vielleicht von ihren Kindern sagen lassen, sie hätten ja schon vorher ein bisschen mutiger sein können?

Erhard Weinholz, Berlin-Ost

Nutzung 49-Euro-Ticket

„Da wird viel zu wenig differenziert“,

wochentaz vom 14. 10. 23

Im Interview zu den Potentialen ländlicher Räume stellt der Interviewer die These auf: „Vom Deutschlandticket profitieren nur Pendler und die Menschen in den Ballungsräumen.“

Diese Behauptung ist nachweislich falsch, und trotzdem wird ihr seltsamerweise von der Wissenschaftlerin Lisa Maschke nicht widersprochen. Die Begleitforschung zum Deutschlandticket hat ermittelt, dass in Stadtregionen 19 Prozent der Bevölkerung das Ticket erworben hat, in ländlichen Regionen aber immerhin noch 9 Prozent (Quelle: VDV). Es ist Zeit, mit der Schwarz-Weiß-Malerei aufzuhören: Auch im ländlichen Raum kann man Bus und Bahn benutzen, und durch das Deutschlandticket steigen auch dort die Nutzerzahlen. Dies sollte der Anlass sein, das Angebot Stück für Stück weiter auszubauen. Holger Friederichs, Bonn

Gewaltspirale und Hass

„Die Hamas muss jetzt zerstört werden. Israel braucht dabei Hilfe ohne Wenn und Aber“,

wochentaz vom 14. 10. 23

Die taz ist für mich eine Zeitung mit einer offenen Meinungskultur. Das spiegelt für mich auch dieser Kommentar von Ariane Lemme wider. Ihn ganz zu lesen, stellte für mich eine echte Herausforderung dar. Noch mehr zeigt er aber auch, wie unser Denken durch Terror immer wieder infrage gestellt wird – und geht der Absicht des Terrors nicht sogar auf den Leim? Ist dieser Kommentar nicht genau die Saat, die aufgehen soll?

Den TerroristInnen geht es nicht um ein Ziel als die Gewalt selbst. Gewaltspiralen, von der Frau Lemme (ein Stück nachvollziehbar!) nicht viel hören will in der aktuellen Situation, sind doch wohl das Ziel aller TerroristInnen. Die Gründe mögen spezifisch sein, allein das Ziel ist global: Hass um des Hasses, Gewalt um der Gewalt willen. Und dazu ruft der Brief auf: Zerstört die Hamas, gnadenlos.

Das Denken, Reflektieren bricht hier zusammen – die notwendige Reaktion auf Gewalt, für jene, die davon direkt betroffen sind. Wir sind dies nicht, unsere Aufgabe bleibt, alles für friedliche Lösungen zu tun. Wer, wenn nicht wir in Europa und wir in Deutschland, sollte sich dem verpflichtet fühlen? Christian Kreß, Dresden

Deutsche Einheit

Jetzt habe ich wieder die alte Scham, wenn ich sage: „Ich komme aus dem Osten“

wochentaz, 7. 10. 23

Liebe Katrin Sedding, nein, ihr „aus dem Osten“ müsst euch nicht schämen – ihr habt die friedliche Revolution gemacht! Wir „aus dem Westen“ müssen uns schämen, denn wir haben nicht für eine neue gemeinsame Verfassung gekämpft.

Ulrike Krakau-Brandl, München