Die Schweiz bleibt auf Kurs

Der Erfolg rechter Parteien bei der Parlamentswahl am Sonntag dürfte kaum Auswirkungen auf die Regierung haben. An der „Zauberformel“ für die Zusammensetzung des Bundesrats wird sich nichts ändern

Aus Bern Jonas Frey

Rütlischwur und den Bund gegen fremde Vögte im Spätmittelalter, die Willensnation als Leitmotiv nach der Gründung des Bundesstaates 1848, die selbstgewählte und immer währende Neutralität. Oft werden historische Mythen herangezogen, um den Sonderfall Schweiz als direktdemokratischer und selbstbestimmter Alpenstaat zu rechtfertigen – und das Erfolgsmodell Schweiz und seinen Wohlstand zu erklären.

Vor allem die rechtspopulistische SVP bedient dieses Narrativ. Seit die Schweiz 1992 in einer Volksabstimmung den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) knapp ablehnte, dominiert die SVP den politischen Diskurs. Mit der Verklärung des Sonderfalls Schweiz betreibt sie Ausländer- und EU-feindlichen Populismus. Sie versucht sowohl die Debatte als auch Parteien wie die liberale FDP nach rechts zu verschieben. Mit Erfolg: Seit 1999 ist die SVP bei jeder Wahl mit Abstand stärkste Partei.

So auch bei den Nationalratswahlen vom 22. Oktober. Drei Prozent und neun Sitze gewinnt die SVP hinzu. Weitere rechte Kleinparteien erzielen mit drei neuen Sitzen ebenfalls einen Erfolg, die FDP – die in einigen Kantonen Listenverbindungen mit der SVP einging – verliert leicht. Während die SVP ihr Bestresultat von 2015 knapp verfehlt und auf 28,6 Prozent kommt, landet die sozialdemokratische SP mit 18 Prozent (plus 1,2 Prozent) auf Platz zwei und erhält zusätzlich zwei Mandate.

Die SP kann mit ihrem guten Resultat jedoch den Einbruch der ebenfalls linken Grünen um 3,8 Prozent nicht kompensieren. Auch die Grünliberalen verlieren sechs Sitze, die Mitte legt leicht zu. Im Ständerat, der kleinen Kammer, dominieren weiterhin die bürgerlichen Parteien, wobei für 15 Sitze noch zweite Wahlgänge durchgeführt werden müssen.

Viele Kom­men­ta­to­r:in­nen sprechen von einer „Korrekturwahl“, da 2019 die globalen Klimaproteste den Grünen einen massiven Zuwachs bescherten, während die SVP verlor. Im Wahlkampf vertrat die SVP lauthals eine noch restriktivere Migrationspolitik als Garant für Sicherheit und Unabhängigkeit. In einer Zeit, in der globale Krisen kulminieren und internationale Kooperation an Wichtigkeit gewinnt, lautet das Votum der Schweizer Wäh­le­r:in­nen, dass der Sonderfall zu sich selbst schauen muss.

Trotz – oder gerade wegen – lauter internationaler Kritik an der laschen Schweizer Sanktionspolitik, trotz des Absturzes der Credit Suisse, trotz gescheitertem Rahmenabkommen mit der EU und trotz Klimakrise will die Schweizer Stimmbevölkerung noch mehr Nationalismus und weniger Klimaschutz. Dass die pointiert linke SP leichte Zugewinne erreicht, ist ein schwacher Trost für das linke Lager. Jedoch kann die SP aus der Wahl schließen, dass es sich für sie lohnt, klar auf die soziale Frage zu setzen.

Ein kompletter Kurswechsel des Bundesrates ist trotz des klaren Resultates nicht zu erwarten. In der siebenköpfigen Regierung, die im Dezember gewählt wird, sind die jeweils drei stärksten Parteien mit zwei Sitzen und die viertstärkste mit einem Sitz vertreten. Dass an dieser „Zauberformel“ etwas geändert wird, ist unwahrscheinlich, wobei die Mitte aufgrund ihrer Gewinne den Anspruch auf einen zweiten Sitz erheben könnte – auf Kosten der FDP. Die Grünen dürften ein weiteres Mal leer ausgehen.

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