Bildungsaufsteiger im 18. Jahrhundert: Einer von uns

In Glasgow tragen manche Statuen Verkehrshütchen auf dem Kopf. Andere nicht. Die erinnern daran, dass Poeten sich Schreiben leisten können müssen.

Eine Statue mit Verkehrshütchen

Der bekannteste Hütchenträger von Glasgow: die Statue des Duke of Wellington, Arthur Wellesley Foto: Julien Marsault/Hans Lucas/imago

Auf und um den zentralen George Square in Glasgow stehen sehr viele Statuen. Manchen haben Vögel auf den Kopf gekotet. Das kenne ich auch aus Deutschland. Anderen hat jemand ein Verkehrshütchen auf den Kopf gesetzt.

Das ist mir neu. Der bekannteste Hütchenträger der Stadt, erzählt Guide Martin, sei die Statue des Duke of Wellington, Arthur Wellesley (geb. 1769). Der ist bekannt dafür, dass er 1815 bei der Schlacht von Waterloo Napoleon besiegt hat und später Premierminister geworden ist. Die Statue des italienischen Künstlers Carlo Marochetti zeigt ihn auf seinem Lieblingspferd Kopenhagen. Auf dem Kopf trägt der Herzog: ein Verkehrshütchen.

Immer wieder habe die Stadt die Hütchen entfernen lassen, immer wieder seien sie wieder aufgetaucht. Verantwortlich dafür seien mutmaßlich Betrunkene und andere Witzbolde.

Irgendwann hätten die Ordnungshüter dann aufgegeben. Dabei ist die Statue wirklich hoch und der Aufstieg nicht ungefährlich. Ich mag den Humor.

Burns ist in einfachsten Verhältnissen aufgewachsen und hat es trotzdem zum Nationaldichter geschafft

Zwei andere Statuen tragen keine Warnkegel auf dem Kopf. Auf einer Säule ragt Schriftsteller und Dichter Walter Scott (geb. 1771) ganze 24 Meter in den nebeligen Oktoberhimmel, ein Buch in der rechten Hand, die linke Hand erhaben auf die Brust gelegt. Dieser trägt vermutlich kein Hütchen, weil selbst den größten Witzbolden des Landes das Leben teurer als ein Gag ist.

Nur wenige Meter davon entfernt steht Robert Burns (geb. 1759), ein anderer schottischer Dichter, fast schon etwas schüchtern, mit abgenommener Mütze in der Hand. Seine Statue steht so niedrig, dass selbst ich mich trotz zahlreicher traumatischer Unfälle im Schulturnen trauen würde, hochzuklettern, um ihm ein Hütchen zu verpassen. Aber auf Burns’ Kopf sitzt nur eine Möwe, auf seiner Mähne klebt nur ein bisschen Vogelkot.

Walter Scott, Anwaltssohn und Professorenenkel, sei in Schottland sehr beliebt, aber werde nicht so sehr verehrt wie Bauernsohn Burns, erzählt Guide Mark, mit Betonung auf Bauernsohn.

Burns sei in einfachsten Verhältnissen aufgewachsen, habe es trotzdem zum Nationaldichter geschafft und stets in der Sprache der einfachen Leute geschrieben, weshalb ihn auch alle verstanden hätten, erzählt Mark enthusiastisch.

Wurst mit Innereien

Er bemüht sich sehr, zu zeigen, dass er das sehr cool findet. Ich finde das auch sehr cool und denke: Wow, ein Bildungsaufsteiger aus dem 18. Jahrhundert, einer von uns!

Dieser Aufsteiger ist hier sogar so beliebt, dass die Schotten jährlich am 25. Januar seinen Geburtstag feiern. Beim „Burns Supper“ singen sie seine Lieder und servieren Haggis, eine Art Wurst aus Innereien, mit Steckrüben und Kartoffeln.

Ich mag zwar keine Innereien, aber als Post­pro­let kann ich etwas mit dieser Story anfangen.

Ich will mehr über Robert Burns erfahren. Ich finde und freue mich über sein einfühlsames Gedicht „To A Mouse“ über ein Mäusenest, das er einmal am Hof seines Vaters aus Versehen beim Pflügen zerstört, und in dem er allerhand gesellschaftliche und moralische Fragen verhandelt.

Ich lese weitere Gedichte von Burns, die ich mag, und irgendwann leider auch von den finanziellen Schwierigkeiten, die ihn plagten.

Später erfahre ich über den Anwaltssohn und Professorenenkel Walter Scott, dass der mit seiner Kunst große wirtschaftliche Erfolge gefeiert und einen großzügigen Lebensstil gepflegt hat.

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Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

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