Ein seltsamer Rauswurf in Kiel: Zu viel Herzchen fürs Amt

Für die Zustimmung zu einem Post, der Israels Regierung kritisiert, schasst Kiel Sozialstaatsekretärin Marjam Samdzade: Ein Fall von Pseudomoral.

Marjam Samdzade leitet eine Sitzung der Gleichstellungsministerinnenkonferenz in Kiel

Marjam Samadzade (links) bei der Arbeit als Staatssekretärin in Kiel Foto: Soeren Stache/dpa

Klingt eigentlich eher unspektakulär, dieser Satz: „Danke für diese klaren Worte <3 “, lautet, inklusive Emoticon, der Social Media-Kommentar vom 17. Oktober, der jetzt den Rauswurf der Kieler Integrationsstaatssekretärin von Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) zur Folge hatte.

Um die etwas verwickelte Lage kurz zu resümieren: Nach seinem Bekanntwerden musste Marjam Samadzade, die schon seit Sommer zurück auf ihre Hamburger Richterbank wechseln wollte, sich aber bis Ende des Jahres hätte gedulden sollen, subito ihr Amt abgeben, für das es, anders, als bisher kommuniziert, nun doch bereits ab 1. November eine Nachfolgerin gibt.

Möglicherweise war ja das Bildchen des „körperlosen Organs“ (Slavoj Žižek!) der Triggerpunkt. Mit dem Herzchen-Icon und dem Dankeswort nämlich hatte Samadzade auf ihrem privaten Instagram-Account am 17. Oktober Zustimmung zu einem achtteiligen Post der Autorin Alice Hasters signalisiert, die Touré zu ihrer „Sisterhood“ zählt.

In dem Beitrag erklärt Hasters, sich auf Social Media ungern zu aktuellen Ereignissen zu äußern: Es gebe „zu viel zu sagen, um es hier in einem Post zu packen“. Mit Unbehagen tut sie es dann doch: „Ich verurteile den Angriff der Hamas“, schreibt sie. Es sei „ein Massaker“, das „unaussprechliches unerträgliches Leid“ verursacht habe.

Zwei Seiten sind eine zu viel

Dann versucht sie darauf hinzuweisen, dass – wie jeder andere – auch dieser Konflikt mindestens zwei Seiten hat. Und im Krieg hier wie da die Zivilbevölkerung leidet. Sie wählt dafür das Stilmittel des Parallelismus, das dazu dient, Zusammengehörigkeit von Aussagen herzustellen, ohne dass diese dadurch einander zwangsläufig wechselseitig relativieren: „Ich verurteile die israelische Regierung“, so Hasters. In der wacht immerhin ein rechtsextremer Terrorunterstützer über die Nationale Sicherheit.

Warum es mit deren Vorgehen aus ihrer Sicht keine uneingeschränkte Solidarisierung geben könne, erläutert Hasters faktenbezogen. Sie führt dafür von seriösen Quellen verbreitete Tatsachenbehauptungen auf: Die Trinkwasserversorgung in Gaza zu kappen, hatte auf BBC die israelische Botschafterin in London legitimiert.

Die Zahlen der im Konflikt getöten Kinder stammen von den Vereinten Nationen. Damals, am 16. Oktober sollen es 1.000 gewesen sein. „Das ist unerträgliches Leid“, so Hasters, also eine der Schwarzen in Deutschland, der man laut Aminata Touré zuhören soll.

Zuhören ist das Eine, Verstehen ein Anderes und Zustimmen ein Drittes: Touré begründet den Rauswurf ihrer Stellvertreterin damit, dass Israels Existenzrecht zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt werden dürfe. Was ja richtig ist, aber nicht einmal im Ansatz von Hasters Ausführungen oder Samadzades Herzchen unternommen worden war.

Darüber empören konnte sich trotzdem auch Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), der vor lauter ehrlicher Entrüstung laut Kieler Nachrichten die Staatssekretärin a.D. nicht mal mehr persönlich verabschieden will.

Das ist aber nicht so schlimm. Einem Mann die Hand zu reichen, der öffentlich und textsicher selbst Liedgut nicht nur liked, sondern grölt, das Frauen auf ihren orientalischen Namen und die Fickbarkeit ihrer Körper reduziert, das muss geradezu physisch schmerzhaft sein, für alle mit einem intakten moralischen Kompass.

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Jahrgang 1972. Seit 2002 bei taz.nord in Bremen als Fachkraft für Agrar, Oper und Abseitiges tätig. Alexander-Rhomberg-Preis 2002.

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