Obdachlosenhilfe in Hamburg: Vom Bahnhof ins Wohngebiet

Die Spendenaktionen der Initiative „Schau nicht weg“ sollen weichen. Die übrige Hilfeszene geht auf Distanz, auch wegen rechter Aussagen des Vereins.

Ein Mann steht vor einem Zaun, an dem Plastiktüten hängen. Darüber hängen Schilder "Hamburger Gabenzaun".

Am Hamburger Hauptbahnhof hat sich eine „Hilfeszene“ für Obdachlose etabliert Foto: Axel Heimken/dpa

HAMBURG taz | Michael Joho und Christian Diesener sind sauer. Vorsitzender des Einwohnervereins St. Georg der eine, Vorstand der Geschichtswerkstatt St. Georg der andere, sitzen sie im gemeinsamen „Stadtteilbüro“ von Hamburgs Bahnhofsviertel. An den Wänden stehen regalmeterweise Bücher, dazwischen hängen alte Fotos. Aus dem Fenster blicken sie auf den Hansaplatz.

Dort sollen am kommenden Samstag erstmals Spenden an Obdachlose verteilt werden, vom Verein „Schau’ nicht weg“. Der muss von seinem gewohnten Platz direkt am Hauptbahnhof ein paar hundert Meter weiter ziehen. Sogar die Polizei war vor ein paar Wochen angerückt, hatte Tische und Gaben abgeräumt.

Mit Joho und Diesener hat keiner geredet, erfahren haben sie es aus dem Radio. Die beiden sind alte Kämpen der Stadtteilarbeit in St. Georg, positionieren sich seit Jahrzehnten gehen die Verdrängung von Obdachlosen aus dem öffentlichen Raum. Und auch diesmal betonen sie, einer Verteilung in St. Georg stehe grundsätzlich nichts im Weg. Doch die Aktion des Bezirks sei vorschnell und unüberlegt, sagt Joho, und sie widerspreche „einem ungeschriebenen Gesetz“, sozial belastete Orte nicht zusätzlich zu überlasten.

Und der Hansaplatz ist so ein Ort. Immer wieder ist die Stadt dort gegen Trinker- und Drogenszene vorgegangen, hatte zeitweise dauerhaft Polizei stationiert, hat Sitzgelegenheiten demontiert und zuletzt eine neuartige, KI-gestützte Videoüberwachung installiert.

Christian Diesener, Geschichtswerkstatt St. Georg

„Warum sollte, was vor dem Bahnhof nicht zumutbar ist, hier zumutbar sein?“

„Warum sollte, was vor dem Bahnhof nicht zumutbar ist, hier zumutbar sein?“, fragt Diesener. Auch wenn im öffentlichen Diskurs gerade von einer Verschärfung der Obdachlosigkeit die Rede ist, sei das nicht mit den brisanten 90er-Jahren vergleichbar, sagt er. Kinder hätten nicht auf den Spielplatz gekonnt, ohne mit Heroinspritzen in der Hand zurückzukommen.

Damals gab es einen runden Tisch mit der Polizei, bei dem ein inoffizielles Abkommen entstanden sei: Die Polizei habe in eine weniger repressive Praxis eingelenkt. Das Ziel war Entzerrung und Integration statt Verdrängung. Mit Erfolg: Das „Drob Inn“, eine Drogenberatungsstelle mit Konsumraum am Hauptbahnhof, sei ein Ergebnis, so Joho. Ein ähnliches Vorgehen wünscht er sich auch heute. Wenn weiterhin ohne Rücksicht auf die An­woh­ne­r*in­nen entschieden werde, wird es „eine böse Welle an Frust und Enttäuschung geben“.

Bezirksamt in der Kritik

Das Bezirksamt Hamburg Mitte muss von allen Seiten Kritik einstecken: „Stadt will Helfer verdrängen“ titelte die Hamburger Morgenpost, „Bezirksamt geht gegen Verteilaktion vor“ der NDR, „Probleme löst das nicht“ schrieb Die Zeit. Das Aus für die Obdachlosenhilfe auf dem Heidi-Kabel-Platz, direkt vor dem Ausgang des Hauptbahnhofs, passte allzu gut zum Vorhaben der Stadt, den Bahnhof als Visitenkarte Hamburgs in ein besseres Licht zu rücken. Seit dem 1. Oktober ist ein Waffenverbot für den gesamten Hauptbahnhof in Kraft, ein Alkoholverbot soll im kommenden Jahr folgen.

Der Hamburger Hauptbahnhof ist Aufenthaltsort von zahlreichen obdachlosen, alkohol- und drogenkranken Menschen. Für sie hat sich über viele Jahre eine Art „Hilfeszene“ entwickelt, mehrere Vereine und Initiativen verteilen Spenden und beraten die Menschen.

Mitte September kam es zur polizeilichen Räumung der Verteilaktion von „Schau’ nicht weg“ auf dem Heidi-Kabel-Platz, da der Verein keine gültige Genehmigung hatte. Das Bezirks­amt Mitte teilte mit, die Verlegung auf den Hansaplatz sei auf Vorschlag von „Schau’ nicht weg“ selbst zustande gekommen. Der Verein dagegen war von einer vorläufigen Duldung seiner Vergabe ausgegangen. Er beschreibt die Verlegung als „zwangsweise“ und bemüht eine Petition und rechtliche Schritte dagegen.

Ein Grund dafür findet sich schon im Namen des Vereins: Die unmittelbare Hilfe ist nur eines seiner Ziele, gleichzeitig will er auf Obdachlosigkeit als politisches Problem aufmerksam machen. Und das geht eben dort am besten, wo möglichst viele Menschen zusammenkommen. Daraus entstehen Nutzungskonflikte, die das Bezirksamt mit der Verlegung entschärfen wollte.

Im dem Konflikt steht „Schau’ nicht weg“ allein. Von den sechs Initiativen, die rund um den Hauptbahnhof Spenden verteilen, stehe der Großteil seit Jahren in gutem Kontakt mit dem Bezirksamt und sei auch aktuell zu Gesprächen bereit, heißt es von dessen Pressestelle. Die Ini­tiative „Zwischenstopp Straße“ etwa stehe problemlos regelmäßig mit Spenden vor der Saturn-Filiale gegenüber dem Bahnhof. Mehrere Initiativen koordinierten ihre Arbeit über eine Whatsapp-Gruppe, sagt eine Freiwillige. „Schau’ nicht weg“ sei jedoch nicht dabei.

Durchaus beabsichtigt: Ihre Klientel bestehe hauptsächlich aus Rent­ne­r*in­nen, sagt die Vereinsvorsitzende Jule Wennmacher. Eine Verteilung näher am Drob Inn und zusammen mit Drogenabhängigen komme daher für ihren Verein nicht infrage.

Rechte Posts auf Facebook

Auch politisch gibt es Differenzen: „Schau’ nicht weg“ hat im September in Facebook-Einträgen behauptet, Geflüchtete erhielten weiterreichende Sozialleistungen als „in Armut lebende Deutsche“, wie das Hamburger Abendblatt berichtete. Die Einträge waren kurz darauf schon wieder gelöscht. Für die Engagierte einer der anderen Initiativen ist jedoch klar: „Die eine Not hat mit der anderen nichts zu tun.“ Die Aussagen Wennmachers seien „rechtsradikales Gerede“, in dem Geflüchtete gegen deutsche Rent­ne­r*in­nen und Obdachlose ausgespielt würden.

Ihre Postings seien missverstanden worden, meint Wennmacher zur taz. Ihren Verein als rechts einzuordnen, findet sie „vollkommen absurd“. Schließlich arbeiteten auch „Flüchtlinge“ bei den Verteilaktionen mit.

Im gleichen Atemzug benennt Wennmacher Migration als ein Thema, „mit dem es bestimmte Probleme gibt“. Sie findet, dass in Deutschland Ankommende das Recht haben, versorgt zu werden, betont aber wiederholt, dass Rent­ne­r*in­nen und Wohnungslose zum Beispiel bei der Wohnungssuche „gegenüber Flüchtlingen benachteiligt“ würden. Eine Einschätzung, die in ihren Augen „nicht bedeutet, dass ich rechtsgerichtet denke“. Wennmacher betont auch, sie nehme bei der Hilfeleistung keine Differenzierung nach der Herkunft der Bedürftigen vor; weder bevorzuge sie Deutsche, noch benachteilige sie Ausländer.

Am Dienstag dann ein neuer Post: „Rumänische, Bulgarische, etc. Banden“, die „Geschäfte“ am Hauptbahnhof betreiben würden, seien keine Gäste bei „Schau’ nicht weg“, betont der Verein darin.

Der Experte für anti-osteuropäischen Rassismus, Jannis Panagiotidis, von der Universität Wien sieht in dem Post das Bild des „stereotypisierten süd-osteuropäischen ‚Armutsmigranten‘ bedient, der angeblich nur nach Deutschland kommt, um den Sozialstaat auszunutzen – oder halt gleich kriminell ist“. Für ihn ein klarer Fall von anti-osteuropäischem Rassismus und Antiziganismus.

Transparenzhinweis: Wir haben den Text um Wennmachers Äußerung ergänzt, dass sie bei der Gewährung von Hilfe nicht nach der Herkunft der Bedürftigen unterscheide, weil dieser Eindruck sonst irrtümlicherweise entstehen könnte. Die Redaktion

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