Lage im Südlibanon: Die Granaten kommen nachmittags

Im Südlibanonen beschießen sich israelische Truppen und die Terrororganisation Hisbollah. Bislang ist die Lage noch nicht eskaliert.

Ein Mann schaut aus der libanesischen Marjayoun-Gegend auf die israelische Seite

Blick nach drüben: Ein Mann schaut aus der libanesischen Marjayoun-Gegend auf die israelische Seite Foto: Taher Abu Hamdan/Xinhua/imago

„Mach dir keine Sorgen, hier ist es im Moment ruhig. Das geht erst am Nachmittag hier los“, sagt ein bärtiger, gut gebauter junger Mann, der sich Abu Halalwa nennt. Er sitzt auf einem Plastikstuhl vor einem der wenigen geöffneten Läden, zusammen mit einer Gruppe anderer, gut gebauter junger Männer. Sie seien libanesische Bürger, so stellen sie sich vor.

Aber jeder weiß: wer sich hier direkt am Grenzzaun zwischen dem Südlibanon und Nordisrael auf der libanesischen Seite der Grenzbefestigung aufhält, gehört der Hisbollah an. Hier an dem sogenannten „Tor der Fatima“, ist die nächstgelegene israelische Ortschaft ein paar hundert Meter entfernt. Israel hat in den letzten Tagen alle Ortschaften, die weniger als vier Kilometer von der Grenze entfernt liegen, evakuiert. Nur noch die Armee befindet sich dort.

Israel solle ruhig kommen, sie seien bereit, tönt es aus der Gruppe. „Wenn der israelische Gegner einen Schritt nach Gaza macht, wird die Antwort von mir und anderen, eine heftige sein. Diese Schlacht können sie nicht gewinnen“, verkündet Abu Halawa. „Jedes Kind, dass in Gaza in den israelischen Bombardements getötet wird, ist für uns wie ein libanesisches Kind“.

Vor dem Laden sind zwei Fahrzeuge voller Waffen geparkt. Sie warten hier auf ihren Einsatzbefehl. Dass sie im Moment relativ entspannt hier herumsitzen, hat mit den sogenannten „Rules of Engagement“ zu tun. Das sind die Spielregeln, die zwischen Israel und der Hisbollah seit dem Ende des Krieges 2006 aufgestellt wurden. Wenn man sich gegenseitig beschießt, dann nur in einem bestimmten geographischen Rahmen, der nicht über die ersten Kilometer an der Grenze hinausgeht. Scheinbar gibt es auch bestimmte Zeiten für den Beschuss, der meist am Nachmittag beginnt.

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Kein großer Appetit auf einen größeren Konflikt

Auch Andrea Tenenti, der Sprecher der UNIFIL, der UN-Beobachtungtruppen im Südlibanon bestätigt, die Lage sei „angespannt und explosiv“, aber trotz des Krieges in Gaza hielten sich bisher beiden Seiten an diese „Rules of Engagement“. Wenngleich es jeden Tag innerhalb dieser Regeln mehr Beschuss-Aktivitäten gibt.

„Es scheint im Moment auf beiden Seiten keinen Appetit auf einen größeren Konflikt zu geben, aber das bedeutet nicht, dass das nicht passieren kann. Keiner will, dass es groß eskaliert, aber es heißt immer, wenn ihr irgendetwas macht, werden wir zurückschlagen und da kann es jederzeit falsche Kalkulationen geben“, beschreibt Tenenti die Situation an der Grenze. Auf libanesischer Seite sind bisher 54 Hisbollah-Kämpfer, eine Handvoll Zivilisten und ein libanesischer Journalist der Nachrichtenagentur Reuters unter israelischem Beschuss umgekommen.

UN-Soldaten patroullieren in der Marjayoun-Gegend

UN-Soldaten patroullieren in der Marjayoun-Gegend Foto: Karamallah Daher/reuters

Der mehrheitlich von Christen bewohnte Ort Marjayoun liegt ungefähr zehn Autominuten vom Tor der Fatima entfernt, im Landesinneren, also immer noch in geographischen Bereich der „Rules of Engangements“. Nur wenige sind zurückgeblieben. Die meisten, vor allem Frauen und Kinder, haben das Dorf verlassen und sind an andere Orte im Libanon gereist. In Erwartung einer Eskalation an der Grenze.

Nur in einer Ladenzeile am Dorfausgang ist es etwas geschäftiger. Der Metzger, er will nicht namentlich genannt werden, gibt sich trotzig, wie viele hier, die noch im Dorf sind. „Wir bleiben standhaft. Kriege sind seit 60 Jahren in unserem Blut. Das trifft uns nicht mehr, wenn die Israelis uns bombardieren wollen, dann sollen sie. Wenn sie auf uns schießen, werden wir doppelt antworten“, sagt er. „Unsre Widerstandsbewegung, die Hisbollah, ist stärker als die Israelis. Nichts kann die Hisbollah brechen, denn Gott gibt uns Kraft“, fügt einer seiner Kunden hinzu. Ein anderer Kunde gibt sich eher fatalistisch. „Wir bleiben hier bis Gott uns ein Ende bereitet. Wo sollen wir auch hin“, meint er.

Trotz, Fatalismus, Verzweiflung

Kritische Töne zur Hisbollah wird man hier kaum hören. Deren Fahrzeuge patrouillieren die Straßen. Und hier kennt jeder jeden. Abu Hassan hat nebenan ein kleines Restaurant, in dem sich manche der verbliebenen Dorfbewohner und gelegentlich eine paar Soldaten der UN-Beobachtungtruppe gegrillte Hähnchen abholen. Abu Hassan ist nicht trotzig, eher verzweifelt.

Er habe Angst um seine Kinder, sagt er. „Ich möchte unseren politischen Führern sagen: erst hatten wir den Krieg mit Israel 2006, dann kam Corona, dann haben wir all unser Geld auf den libanesischen Banken verloren. Und jetzt das“, fasst er die letzten miserablen Jahre seines Lebens zusammen. „Immer wenn ich versuche mein Leben wieder aufzubauen, ende ich wieder am Nullpunkt und niemanden kümmerts“, fügt er hinzu.

Auf die Frage, ob sie den israelischen Beschuss im Dorf auch mitbekommen, erzählt er, dass es in der Nähe immer wieder kracht. Vor ein paar Tagen sei ein libanesisches Ehepaar durch den israelischen Beschuss umgekommen. Seine Augen füllen sich mit Tränen. Auf die Frage, ob er sie gekannt habe, nickt er und wendet sich stumm ab.

In die südlibanesische Stadt Tyros am Mittelmeer sind viele gekommen, die inzwischen aus den Dörfern im unmittelbaren Grenzgebiet geflüchtet sind. Wer Geld hat, hat sich hier in Sidon oder in Beirut eine Wohnung gemietet. Andere sind bei Verwandten untergekommen. Wer beides nicht hat, ist in improvisierten Flüchtlingsunterkünften untergekommen, wie in der Universität in Sidon. „Hier leben derzeit 400 interne Flüchtlinge, in andern Schulen der Stadt sind es weitere 1200“, erläutert Hassan Hamoud der Vizebürgermeister von Tyros, der durch die Universität führt. In der Stadt und Umgebung seien es derzeit sogar 6600 Flüchtlinge und die Zahl steige täglich, je mehr im Süden geschossen wird, führt er aus.

Die Einschläge kommen näher

In einem der kleinen Seminarräume lebt Mustafa El Sayed mit seinen sechs Kindern und seiner Frau. Die Situation in seinem Dorf Beit Liv, unweit der Grenze, wurde immer schlimmer, erzählt er. „Die Einschläge kamen immer näher. Alle Geschäfte waren zu und es wurde immer schwerer einzukaufen“, blickt er auf die Tage zurück, bevor er vor einer Woche sich mit seiner Familie hierher aufgemacht hat.

Seine Frau sitzt auf dem Boden, wäscht in einem großen Bottich die Wäsche. „Mit jedem Einschlag in der Nähe unseres Dorfes haben die Kinder geschrien und geweint. Dann haben wir beschlossen, hierherzukommen. Das Leben zwischen all den anderen Flüchtlingen ist hart, aber wenigstens sicher“, sagt sie. Wie es weitergeht, wissen sie nicht. „Hier sind jene gelandet, die kein Geld haben, um für sich irgendetwas anderes zu organisieren. Wir stecken hier fest. Irgendwann wird es vorbei sein“, hofft El-Sayyed.

Das Dorf Al-Khayam liegt in Sichtweite der israelischen Grenze. Hier lebt ein älteres Ehepaar, Ebtisam Okail mit ihrem Mann Nabih. Andere, Familien mit Kindern, seien weg, sagt Ebtisam. Sie haben beschlossen, zu bleiben. „Wir gehen hier nicht weg, wir sind Kriege gewohnt und das ist unser Land und unser Haus“. Ebtisam ist stur.

Von ihrem Haus zur Grenze sind es fünf Minuten mit dem Auto. Ebtisam zeigt uns ihre Vorbereitungen auf noch schlimmere Zeiten. Ihr Lagerraum neben der Küche ist voll mit Reis, Nudeln, Speiseöl und allerlei Dingen in großen Einmachgläsern. Auch einen Trinkwasservorrat hat sie sich angelegt.

Auf alle Entwicklungen vorbereitet

Die beiden planen hier so lange durchzuhalten, wie es geht. Aber auch für den Fall, wenn es nicht mehr geht, sind sie vorbereitet. Im Wohnzimmer steht eine Tasche mit ein wenig Kleidung und der Medizin ihres Mannes, der an Diabetes leidet. Sie öffnet ihre Handtasche und zeigt, dass sie dort ihr Geld und alle wichtigen Dokumente bereithält. Dann führt sie vor das Haus zu ihrem Auto und zeigt die Tankanzeige. „Wir schauen, dass die immer möglichst voll bleibt“.

Jene, die in ihren Dörfern an der Grenze zu Israel geblieben sind, sitzen auf einem Pulverfass. Sie hoffen, dass es nicht explodiert und befürchten gleichzeitig das Schlimmste. „Wir“, sagt Ebtisam, „sind für alle Eventualitäten an dieser Grenze bereit“.

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