kritisch gesehen: „expo 2000 – 20 years later“ in hamburg
: Der Nebel lichtet sich, vielleicht

Erinnert sich noch jemand an die Expo 2000 in Hannover, die einzige Weltausstellung, die jemals in Deutschland stattfand? „Mensch – Natur – Technik“ lautete das Motto, und im Gegensatz zu manch ihrer Vorgängerinnen wie auch Nachfolgerinnen hatten sich die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen das Thema „Nachhaltigkeit“ auf die Fahnen geschrieben. Viele ausstellende Nationen, besonders aus dem damals allerdings noch nicht so bezeichneten globalen Süden, konnten sich in den reichlich vorhandenen Hallen des leistungsfähigen Messegeländes ausdehnen, ansonsten jährlicher Austragungsort großer Industrieschauen.

Den kleineren, wesentlich repräsentativeren Bereich bildete allerdings der östliche Neubauteil, recht autark dank eigenem U-Bahn-Anschluss. Mit aufwendiger Freiraumgestaltung kam er im Charakter eher wie ein durchgrünter Freizeitpark denn wie ein gebautes Messeareal daher. Hier hatten sich viele europäische Nationen ihren eigenen Pavillon erstellt: Spanien im strengen Betonbau, leckere Tapas im Angebot, der pittoreske Brettstapel der Schweiz mit sphärischer Live-Musik, Großbritannien, Frankreich. Aber auch Äthiopien blieb durch seinen himmlischen Mokka in Erinnerung oder der Jemen und die Arabischen Emirate, die sich hier präsentierten.

Das alles überstrahlende Highlight des Ganzen aber wurde, nicht nur wegen seiner per Ausnahmegenehmigung erlaubten Höhe von 40 Metern, der Pavillon der Niederlande. Seine damals noch recht jungen Ar­chi­tek­t:in­nen hinter dem Namenskürzel MVRDV – Winy Maas, Jacob van Rijs und Nathalie der Vries – waren gerade die Shooting Stars der internationalen Szene. Sie lieferten mit Witz und vor dem ernsthaften Hintergrund der sehr hohen Besiedelungsdichte der Niederlande eine Leistungsschau aus sechs typischen Landschaften – gestapelt zu einem achtgeschossigen, über außen liegende Freitreppen von oben nach unten zu durchlaufenden Panorama. Es gab künstliche Dünen, Gewächshäuser, Blumenwiesen, auch große, leibhaftig lebende Bäume, und ganz oben drehten sich Windräder auf dem Dach. In den Worten von MVRDV: ein Ökosystem im Kleinen, „a survival kit“.

Aber wie ging es nun mit der so vollmundig proklamierten Nachhaltigkeit weiter, nach Ablauf des Sommerevents Expo 2000? Die Bilanz ist gemischt, wohlwollend ausgedrückt. Der Christus-Pavillon der evangelischen und katholischen Kirchen – ja, auch so etwas gab es – wurde plangemäß ins Kloster Volkenroda in Thüringen transloziert. Etwa 20 weitere Pavillons wurden auf diese Weise gerettet. So wanderte der Glaskubus des mexikanischen Pavillons nach Braunschweig, wurde bauphysikalisch nur bedingt taugliche Hülle für die Bibliothek der Kunsthochschule.

Anderes wurde vor Ort umgenutzt, auch der architektonische wie inhaltliche Tiefpunkt der Weltausstellung, der deutsche Pavillon: Er diente ab 2015 als zeitweiliges Erstaufnahmezentrum für Geflüchtete. Sportwagenhersteller Ferrari sicherte sich die Parzelle des dem Sägewerk anheimgegebenen eidgenössischen Holzes für einen Neubau, BMW bezog den französischen Pavillon, weiteres Gewerbe oder Gastronomie besiedelten Bestandsbauten.

Doch die „Stadt der Zukunft“, zu der sich der Ostteil des Expo-Geländes dank konsequenter Nachnutzung hätte entwickeln sollen, stellte sich nicht ein. Wie ein dräuendes Menetekel rottete der ausgeweidete niederländische Pavillon dort dann jahrelang vor sich hin, nur die Bäume im dritten Stock trieben noch eine Weile neu aus.

Ausstellung „Expo 2000 – 20 Years Later“: bis 29. 2. 24, BDA Hamburg Galerie, Shanghaiallee 6; Eröffnung: heute, 19 Uhr

Buch

„Expo 2000 – 20 Years Later“, herausgegeben von Piet Niemann, Texte von Benedikt Crone und Jacob van Rijs, Kerber, 128 S., 54 farbige Abbildungen, 68 Euro

Im Jahr 2020 startete der Hamburger Fotograf Piet Niemann sein Langzeitprojekt, die Orte der großen Weltausstellungen im Abstand von je 20 Jahren wieder zu besuchen, so den Stand der Dinge zu dokumentieren. Er war als Neunjähriger auf der Expo Hannover, kam zwischen Oktober und Dezember 2020 zum Fotografieren zurück. Seine perfekten Fotos zeigen ein – wohl nicht nur Corona geschuldet – menschenleeres Gelände in herbstlichen Nebel, unterstreichen so den surrealen Charme einer gescheiterten Utopie, zumindest einer großen Illusion.

Niemanns Buch „Expo 2000 – 20 Years Later“ wurde gerade mit dem Europäischen Architekturfotografie-Preis ausgezeichnet, der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten in Hamburg zeigt nun eine Auswahl seiner großformatigen Motive. Zur Eröffnung wird Sven Thorissen von MVRDV Deutschland über den aktuellen Stand des niederländischen Pavillons berichten. Denn nach vielen fehlgeschlagenen oder administrativ vereitelten Anläufen zu einer Revitalisierung tut sich nun wohl doch was: Die Expo-Ikone soll, unter Beibehaltung ihrer markanten Erscheinung, zum kleinen Co-Working- und Bürohaus mutieren, dem Zentrum einer bis zu 10-geschossigen, terrassierten Bebauung mit 370 Apartments für Studierende – Fertigstellung 2025. Bettina Maria Brosowsky