Ausstellung über Schönes aus der Natur: Die Kunst der Tiere

Zugvögel, Ameisen und Biodaten sollen Kunst schaffen? Der Frankfurter Kunstverein zeigt Schönes aus der Natur, um ihrer Zerstörung entgegenzutreten.

Lila Blumen auf einer Sommerwiese wiegen sich im Wind

Alexandra Daisy Ginsbergs „Pollinator Pathmaker: ARr77z-vQW8Bq8q6hgDHUmp“ Foto: Alexandra Daisy Ginsberg Ltd.; Courtesy: the artist

Regale voller Terrarien, die verbunden sind mit Glasrohren und gefüllt mit Erdreich, Blättern, Ästen und Farnen. Man muss schon genau im Halbdunkel hinsehen, um wahrzunehmen, dass hier überall Blattschneiderameisen herumwieseln und an den Blättern nagen. Dass sie diese Blätter zu einer breiigen Matschepampe zerkauen, die wiederum als Nährboden dient, auf dem die Pilze wachsen, von denen sich die Ameisenkolonie ernährt.

„Bending the Curve“: Frankfurter Kunstverein, Frankfurt am Main, bis 3. März 2024

Die Installation ist derzeit im Frankfurter Kunstverein zu sehen, aber sie könnte auch in einem Zoo gezeigt werden. Bei genauer Betrachtung stellt sich heraus: Die Installation kommt tatsächlich aus dem Frankfurter Zoo, der bei der Organisation der Ausstellung „Bending the Curve – Wissen, Handeln, [Für]Sorge für Biodiversität“ ebenso beteiligt war wie das Frankfurter Senckenberg Naturmuseum.

Zusammenarbeit zwischen Zoo und Kunstverein

Die ungewöhnliche Zusammenarbeit zwischen Franziska Nori vom Kunstverein und Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszen­trums, zeigt aber keine – oft effekthascherische – „Bio Art“. Die Ausstellung präsentiert bedacht ausgewählte Exponate aus Naturwissenschaft und bildender Kunst unter einer prägnanten These: Um Klimawandel, Verlust von Biodiversität und Umweltverschmutzung zu stoppen und so die Ökosysteme zu schützen, bedürfe es „positiver Erzählungen“.

Und in der Tat haben alle gezeigten Exponate gemeinsam, dass sie von einer alternativen, ressourcenschonenden Art im Umgang mit unserer Umwelt handeln. Ob diese These richtig ist, sei einmal dahingestellt. Die Ausstellung funktioniert aber auch dann wunderbar, wenn man ihr nicht zustimmt, weil man die meisten Exponate auch ohne Überbau und Ökobezug einfach als Kunst betrachten kann.

Was in den ausführlichen Wandtexten kaum Erwähnung findet, ist die Tatsache, dass gerade viele der Ausstellungstücke aus der Naturwissenschaft eine auffallende Nähe zu gut eingeführten Kunstpraktiken haben. Nehmen wir die in der Ausstellung präsentierte „Movebank“ des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie, in der die Bewegungsdaten von Wildtieren gespeichert werden.

Sie ist im Kunstverein durch eine Videoinstallation repräsentiert, in der die gespeicherten Informationen über die Routen von Zugvögeln und Tierwanderungen per Geo-Mapping auf einen rotierenden Globus gelegt sind. Die Liniennetze, die sich so ergeben, erinnern an den oft zitierten Satz von Paul Klee: „Zeichnen ist die Kunst, Striche spazieren zu führen.“ So wie Klee aus vielen einfachen Strichen komplexe Bildstrukturen entstehen ließ, so zeichnen die Tierbewegungen vielgliedrige, globale Muster auf den Planeten.

Formal und konzeptuell ähnlich werden Biodaten auch in der Video- und Virtual-Reality-Installation „MYRIAD. Where we connect“ von Interactive Media Foundation und Filmtank aus Italien in weiße Muster auf schwarzem Hintergrund übersetzt, die an die Videoinstallationen von Christa Sommerer und Laurent Mignonneau erinnern.

Ameisenbauten wie Kleinskulpturen

Wenn man erst mal angefangen hat, die Exponate wie reine Kunstwerke zu betrachten, kommen die erstaunlichsten Assoziationen. Da sind zum Beispiel sechs Aluminiumabgüsse von unterirdischen Ameisenbauten des US-amerikanischen Biologen Walter R. Tschinkel. Von der Decke hängend sehen sie aus wie abstrakte Kleinskulpturen, die von Calder, Giacometti oder Brâncuși inspiriert sein könnten.

Die Zeitrafferaufnahmen vom Pilzwachstum des italienischen Künstlers Maurizio Montalti gemahnen an die Stoner-Videokunst voller visueller Metamorphosen und Transformationen, wie Dan Sandin oder Ed Emshwiller sie in den 70er Jahren mit der Hilfe von Videosynthesizern produzierten.

Verschiedenfarbige Maissorten liegen nebeneinander

Fernando Laposse: Totomoxtle-scaled Foto: Fernando Laposse, Courtesy: the artist

Und die Ameisen aus dem Frankfurter Zoo, die sich in ihrem Terrarien-Habitat ihr eigenes Reich schaffen? Wenn das nicht eine „soziale Skulptur“ im Sinne von Joseph Beuys ist, also ein Werk entstanden aus der Kollaboration von vielen Akteuren! Jedes Tier ist ein Künstler.

Um die Installation so zu betrachten, muss man freilich akzeptieren, dass auch Ameisen eine Gesellschaft sein können und ein genuines Ameisen-Soziales haben. Und das ist letztlich das Ziel der Ausstellung: eine Verschiebung der Blickrichtung von einem „anthropozentrischen“ Standpunkt hin zu einer vollkommenen Betrachtungsweise, die auch die Perspektive von Tieren und Pflanzen mit einbezieht.

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