Naturkundemuseum erneuert: Ein Haus wirft Fragen auf

Vom Artensterben bis zur Zoonose: Das runderneuerte Osnabrücker Naturkunde-Museum macht Lust darauf, drängende Probleme der Gegenwart zu erforschen.

Eine Frau schaut in eine Kloschüssel voller Tabletten

Schlechte Idee: Medikamente im Klo entsorgen Foto: Friso Gentsch/dpa

OSNABRÜCK taz | Da ist dieser Torvosaurus: Wer per Augmented-Reality-Fernglas seinen Namen anvisiert, sieht den gewaltigen Fleischfresser durchs Museum stapfen, die Podest-Beschilderung „Welt der Dinosaurier“ zerbirst dabei unter seinem Klauenfuß.

Da ist auch das „Wood Wide Web“: Wer per Baumtelefon das Nachbargewächs anruft, sieht Lichtsignale über den Boden zucken – Versinnbildlichung des unterirdischen Pilzgeflechts, das dem Wald hilft, Nährstoffe weiterzugeben sowie vor Krankheiten und Fressfeinden zu warnen. Und da ist das „Universum unter unseren Füßen“: Wer sein Ohr auf die Erde presst, hört eine flüsternde Stimme: „Leise! Ich bin gerade auf Jagd! Da vorne ist ein köstlicher kleiner Wurm!“

Das Osnabrücker „Museum am Schölerberg“, zugleich Naturkundemuseum, Umweltbildungszentrum und Planetarium, lädt zur Entdeckung ein. Nach mehrjährigem Umbau zeigt es eine neue Dauerausstellung – und weil es jetzt keine kulissenhaften Kleinwelten mehr gibt, von der Seeufer-Ornithologenhütte bis zur Legebatterie, von der Hausruine bis zum Innenstadt-Schaufenster, kann man jetzt gut erkennen, dass es gebaut ist wie ein Ammonit.

Vor allem für den Wurzelteller des gewaltigen Siegelbaums hat sich der Umbau gelohnt, des spektakulärsten Exponats des Museums. 308 Millionen Jahre alt, 1886 beim Kohleabbau im Osnabrücker Piesberg gefunden und eines der größten Pflanzenfossilien der Welt, ist er zum Logo des Hauses avanciert.

Koloss macht Karriere

Vorher stand der tonnenschwere Koloss zusammenhanglos in einer dunklen Ecke. Nach seinem Umzug, Luftlinie nur wenige Meter weit, aber 1.000 komplizierte Arbeitsstunden lang, bildet er den Kern des Blickfangs des Hauses, eines nachgebauten Sumpf-Walds der Karbonzeit, und per AR sehen wir seinen Stamm in die Höhe wachsen.

Lisa Heyn, die Sprecherin des Museums, steht zu Füßen des Waldes. Man kann ihn sich auch von oben ansehen, aber Heyn schaut gern zu ihm empor. „Das ist mein Lieblingsblick“, sagt sie der taz. Rechts des Siegelbaum-Fossils windet sich ein zwei Meter langer Tausendfüßler, dahinter zieht ein wandgroßes Panoramagemälde den Blick in die Tiefe der Landschaft.

Anna Averbeck, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erzählt derweil von der karbonzeitlichen Sammlung des Museums, die Weltrang hat, in der Vorgänger­ausstellung allerdings nur marginal vorkam: „Diese Schätze wollten wir diesmal prominenter zeigen.“

Der Wald ist der Mittelpunkt der Ausstellung, und was ihn umringt, versucht einen Brückenschlag von der Entstehung unserer Galaxie bis zu Fragen des urbanen Lebens, von der Mobilitätswende bis zur Lichtverschmutzung. Es ist ein Brückenschlag vom Globalen ins Lokale, von der Ursuppe bis zur Klimakrise. Natürlich geht es auch um Dekarbonisierung; der Wald zeigt, wie entstand, was wir heute verbrauchen.

Der fossile Siegelbaum, Prunkstück der Sammlung, steht im Zentrum eines nachgebauten Waldes der Karbonzeit

Die Schau ist nicht frei von Skurrilitäten. Für manche ihrer Inhalte muss man einen Toi­lettendeckel öffnen oder eine Waschmaschinentür. Im Nachbau einer Fichtenmonokultur, brutal durchfräst von Harvester-Reifen, sind als Eastereggs ein paar Miniatur-Schlümpfe versteckt.

Das alles wirkt nüchtern-modern, hell, clean, räumlich transparent. Der Charme der alten Tage, als hier stark auf stimmungsdichte Theaterhaftigkeit geachtet wurde, auch auf suggestive Dunkelheit, ist fort. Ein bisschen schade ist das schon. Kinder werden vor allem die Spielhöhle vermissen; die kleinen Kriechräume beim Themen-Podest „Ökologische Nische“ sind kein Ersatz.

Aber auch der Reiz der neuen Dauerschau ist groß. Nachhaltigkeit ist für sie nicht nur ein Thema, sondern ein Eigenanliegen: Alle Holzelemente der alten Ausstellung wurden geschreddert und zu abstrakten Baumstämmen eines Walds der Zukunft zusammengesetzt. Hunderte Lautsprecher, von einer Deponie gerettet, bilden ihre Blätter, spielen Waldgeräusche ab.

Und so ernst das alles ist, vom Wert der Biodiversität bis zur Wasserverschmutzung durch Düngemittel, Industrieemissionen, Arzneimittel und Mikroplastik, so spielerisch ist es präsentiert. Augen öffnend sind vor allem die Experimentierstationen.

Simulator für Zukunftsalternativen

In einem imaginären Gemeinderat lässt sich diskutieren, ob der Wald eher der Forstwirtschaft oder dem Naturschutz überlassen werden sollte. Ein Straßenplanungs-Simulator verführt dazu, herauszufinden, was passiert, wenn das Fahrrad das Auto verdrängt. An Kochtöpfen lässt sich mit Magnetschildchen ausprobieren, was noch als Essen taugt: Reste vorm Vortag? Check. Krumme Karotten? Check. Verbrauchsdatum abgelaufen? Lieber nicht.

Wer die Ausstellung besucht, denkt über vieles nach. Über Mais-Monokulturen und die Rückkehr der Wölfe, über Urban Gardening und den Meeresspiegelanstieg, über Bodenversiegelung und das Wasser als Element des Lebens. Das ist, gerade in unseren Tagen der Naturgefährdung und Umweltbelastung, bitter notwendig.

Ausstellungstechnisch und thematisch hat sich das Museum vorbildlich in die Jetztzeit katapultiert. Wer danach noch ein bisschen bleiben will, zu Snack und Getränk, hat es allerdings schwer. Der neue Aufenthaltsraum ist kein helles, offenes Café mehr, mit herrlichem Emporen-Blick auf den See, der das Haus halb umgibt, sondern ein düsteres Gelass hinter der Kasse. Das geht besser.

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