Antisemitismus in Großbritannien: Ein einziger Leidensporno

Unermüdlich demonstrieren Menschen in Großbritannien auf Pro-Palästina-Kundgebungen. Und die BBC setzt auf Emotionen, nicht auf Fakten.

BBC verpaßt einen Maulkorb steht auf dem Transparent neben Israelfahnen

26.11.23 Demonstration gegen Antisemitismus wirft der BBC einen Maukorb vor Foto: Loredana Sangiuliano/imago

Wenn die Ebbe kommt, sieht man, wer nackt geschwommen ist.“ Seit dem 7. Oktober trifft dieses Bonmot auf die britische Gesellschaft zu.

Großbritannien hat plötzlich ein Antisemitismusproblem. Für britische Juden ist dies ein unerwarteter Schock. Eine Beziehung droht auseinanderzugehen. Sie war keine besonders leidenschaftliche Beziehung, aber sie galt als stabil. Beide Partner gingen höflich miteinander um, man besuchte gemeinsam Gedenkveranstaltungen und verdammte die Nazis.

Jetzt stellt sich heraus, hinter der bürgerlichen Fassade betrog man sich seit Jahren und einer der Partner trank heimlich ein antisemitisches Gebräu. Mittlerweile befindet er sich im Delirium tremens. Das Scheidungsverfahren droht schmutzig zu werden.

Wie konnte es dazu kommen?

Im 19. Jahrhundert gab es in Großbritannien einen Premierminister namens Benjamin Disraeli. Er war zwar früh konvertiert, aber sein Aufstieg gab vielen Juden Hoffnung. Auch die britische Aristokratie heiratete emsig in reiche jüdische Familien ein. Eine Tochter aus den anglo-jüdischen Häusern Cassel oder Rothschild zu ehelichen half, die Schlossrenovierung zu finanzieren. Natürlich wollte man nie etwas mit armen Juden zu tun haben.

Dickens’ Fagin-Figur in „Oliver Twist“ zeigte, wie sehr man die Juden verachtete, die aus Osteuropa nach Großbritannien geflüchtet waren. Aber trotz vieler Ressentiments nahm man in den 1930er Jahren jüdische Flüchtlinge auf. Und im Zweiten Weltkrieg kämpften sie an der Seite der Briten.

Ohne die Ereignisse des 7. Oktobers wäre wahrscheinlich keine antisemitische Welle mehr hochgekommen. Aber jetzt ist sie da.

Und anders als in Deutschland wurden in Großbritannien keine offenen Briefe von Literaten und Filmschaffenden publiziert, die ihr Mitgefühl mit Israel ausdrückten.

Stattdessen erschien nach dem Hamas-Massaker ein „Artists for Palestine UK“-Brief. Schauspielerin Tilda Swinton und ihre 4.000 Mitstreiter aus der Künstlerszene werfen darin Israel Kriegsverbrechen vor und fordern alle Regierungen auf, das Land nicht zu unterstützen.

Mit ihrem Appell rannten sie offene Türen ein. In Großbritannien finden unermüdliche Pro-Palästina-Demonstrationen statt und die BBC-Berichterstattung ist ein einziger Leidensporno geworden. Fakten egal, Hauptsache, Emotionen.

Hamas als Terrororganisation

Es begann mit Mishal Hussein. Die BBC-Journalistin ist Muslima und hatte sich bisher für Aussöhnung eingesetzt. Sie ist für ihre wunderschöne, seidenweiche Radiostimme bekannt. Als der britische Verteidigungsminister sie fragte, warum die BBC die Hamas nicht als Terrororganisation bezeichne, war es mit der Seide vorbei. Hussein polterte zurück, nur weil die britische Regierung Hamas als Terrororganisation deklariere, müsse die BBC dies nicht tun.

Ihr Kollege John Simpson entschied, das Wort „Terrorist“ wäre zu „belastet“ und entspräche nicht der BBC-Sprachordnung. Simpson ist 79 Jahre alt und müsste sich eigentlich noch gut daran erinnern können, dass die IRA und der IS von der BBC durchaus als Terroristen bezeichnet wurden. Leider blieb es nicht bei dem semantischen Geplänkel. Als die IDF medizinisches Personal und Übersetzer ins Al-Schifa-Krankenhaus brachte, berichtete die BBC stattdessen, medizinisches Personal wäre vor Ort beschossen worden.

Diese Falschmeldung musste zurückgenommen werden, aber schon zwei Tage später spekulierte der BBC-Korrespondent Jeremy Bowen, es gäbe im Al-Schifa-Krankenhaus wohl nur „ein paar Kalaschnikows für den Sicherheitsdienst“. Die Kalaschnikow-Erklärung hatte Bowen eins zu eins aus einem Hamas-Bericht übernommen, genauso wie seine unüberprüfbaren Opfer-Statistiken. Hamas bedankte sich postwendend und zitierte von nun an Bowen als Quelle.

Noch mehr Freude machte Hamas der britische Fußballer Gary Lineker. Er ist ein Fan von Pro-Palästina-Demons­tra­tio­nen und retweetet Videos über Israels „Genozid“.

Lineker ist der berühmteste Sportreporter der BBC und erreicht auf Twitter eine Gefolgschaft von 8 Millionen. Früher schoss er gelegentlich ein Tor, heute erklärt er den Nahen Osten per Tweet. Die BBC zeigte Milde mit Lineker und ließ ihn gewähren.

Demonstrationen verboten

Bei jüdischen BBC-Mitarbeitern hörte die Toleranz dann jedoch auf. Ihnen wurde verboten, an der Londoner Demonstration gegen Antisemitismus teilzunehmen. An Pride-Paraden und royalen Jubelfeiern darf man als BBC-Mitarbeiter teilnehmen, an Demons­tra­tionen gegen Antisemitismus nicht.

Die Demonstration fand trotzdem statt. Der Komiker David Baddiel, der in seinem Buch „Jews don’t count“ vor dem britischen Antisemitismus warnt, sagte über die Demo:

„Es war ein wenig chaotisch. Wir hatten keine Ahnung, wo wir genau hingehen sollten und wer reden würde. Es zeigte sich mal wieder, dass Juden wirklich nicht die Welt regieren.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.