Akrobatik in modernem Gewand

Der Circus Flic Flac, der zurzeit in Köln gastiert, verzichtet auf Tiernummern, den Löwenbändiger machen Manegen-Machos ganz anderer Art. Frauen räkeln sich textilschwach unter der Zirkuskuppel

Von HOLGER MÖHLMANN

Der Zirkus war nie ein Hort weiblicher Emanzipation. Traditionell wurden hier Frauen zersägt, während Männer via Muskelkraft alle Ketten sprengten und unwillige Löwen zum Sprung durch brennende Reifen nötigten. Aber ist dieses Statement noch aktuell im Zeitalter des „Nouveau Cirque“ und ästhetischer Weiterentwicklungen à la Roncalli und Cirque du Soleil?

Im Circus Flic Flac, zurzeit mit seinem Programm „New Art 2005“ am Kölner Südstadion zu erleben, gibt es keine Tiere. Damit fällt das klassische Betätigungsfeld Peitschen schwingender Manegen-Machos schon mal weg. Flic Flac – das ist Zirkus im Musical-Stil: eine große Show auf großer Bühne, spektakuläre Lichteffekte und jede Menge Technik, dazu illusionsfördernde Musik, die mal rockig, mal ethnisch, mal sphärisch klingt. Circus Flic Flac, 1989 gegründet, lebt von Akrobatik. Und um es gleich vorweg zu sagen: Sie ist erstklassig, zumindest in Bezug auf das künstlerische Können. Zu manch besonders gewagtem Act passen nur abgenudelte Adjektive wie „einmalig“ oder „atemberaubend“, und wer exzellente Artistik zu schätzen weiß, sollte sich das neue Flic Flac-Programm auf keinen Fall entgehen lassen.

Was jedoch die Dramaturgie der Show betrifft, so bietet sie leider viel Altes, das lediglich in brandneuen Gewändern daher kommt. Denn hier bei Flic Flac lebt es noch, jenes gerade im Zirkus immer wieder zu beobachtende Phänomen, das die Geschlechterforschung „Gendering“ nennt: die Selbstdarstellung der Geschlechter anhand festgelegter patriarchalischer Rollenmuster, mit viel Imponiergehabe auf Seiten des Mannes und heftiger Sexualisierung der Frau. Denn wer braucht schon Löwenbändiger, wenn sieben krachlederne Jungs aus Kolumbien auf Motorrädern im Innern einer riesigen Eisenkugel herumfahren? In fast allen Zugnummern bei Flic Flac zeigen Männer, was sie können. Ob „Todesrad“, Hochseilakt oder menschliche Pyramide – immer sind die Herren zur Stelle und heimsen den größten Applaus ein.

Die Frauen im Programm können genauso viel, nur dürfen sie das nicht so zeigen wie ihre Kollegen. Die Auftritte der Frauen werden in besonderer Weise szenisch verbrämt: So räkeln sich zwei hübsche Damen im BH und knappen Schottenrock als „Lebendes Trapez“ unter der Zirkuskuppel, schmiegen und reiben sich aneinander, probieren Stellungen aus wie leicht bekleidete Damen in gewissen Filmen es gern tun. Dazu passt ein Soundkonzept, das vorrangig aus jenem spezifischen Stöhnen besteht, mit dem im Fernsehen textilschwache Frauen dazu anregen, eine bestimmte Nummer zu wählen und Vera zu verlangen. Bei so viel Geschiebe und Geschnaufe mögen sich die Kinder im Publikum wundern, was die da oben eigentlich treiben.

Warum ist das eigentlich so? Warum werden in einem modernen Zirkus, der in vorbildlicher Weise auf Tiernummern verzichtet, ArtistInnen in abgestandene Rollenmuster hineindressiert? Warum müssen Seiltänzerinnen im Brautkleid auf unschuldig machen, während der gummipuppenrot geschminkte Mund das verruchte Gegenteil suggeriert? Weil Flic Flac eben tatsächlich ein moderner Zirkus ist. Ein Zirkus mit Eventcharakter, der jenseits aller Roncalli-Poesie das spektakulär Gekonnte mit dem grell Plakativen verbindet. Ein Zirkus, der in die Zeit passt – zu Lightshows auf Musicalbühnen und Open-Air-Konzerten, zu HipHop-Machos und Girlies im Wonderbra. Bei der Kölner Premiere gab es Standing Ovations.

Flic Flac in Köln – New Art 2005, Südstadion, Vorgebirgsstraße, bis 26.06., Mo-Fr 20.30, Sa 17 und 20.30, So 15 und 19 Uhr, Tel. 07 00/66 66 66 11