Lehrermangel an Schulen: Neuer Master und ein kürzeres Ref

Ein neues Gutachten macht Vorschläge, wie die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen den Unterricht in Zukunft sichern können. Was davon kommt, ist aber unklar.

In Hamburg gingen im Dezember Lehrer auf di Straße, um für bessere Arbeitsbedingungen zu streiken

Anfang Dezember in Hamburg: Warnstreik für bessere Arbeitsbedingungen an Schulen Foto: Christian Charisius/dpa

BERLIN taz | Was für eine Woche für die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen der Republik: Am Dienstag stellte ihnen die neue Pisa-Studie das schlechteste Zeugnis in 22 Jahren aus. Zum Start in das Wochenende gab es dann die nächste Ohrfeige, wenn auch keine ganz so schallende.

Am Freitag präsentierte die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK), die die Länder in Bildungsfragen berät, ihr neues Gutachten zur langfristigen Unterrichtssicherung. Eine von insgesamt elf Empfehlungen berührt einen wunden Punkt: Die Kultusministerkonferenz (KMK) soll künftig die Zahl der benötigten Lehrkräfte zuverlässiger voraussagen.

„Wir wissen, dass sich die Prognose der KMK nicht immer mit anderen Prognosen deckt“, erklärte der Kieler Bildungsforscher und Co-Vorsitzende der Kommission, Olaf Köller. Vor allem zu Studienverläufen fehlten verlässliche Zahlen. Hier sollten die Länder künftig einheitlich und transparent vorgehen.

Das ist höflich formuliert. Seit Jahren werfen Lehrerverbände und Gewerkschaften den Ministerien vor, den Lehrkräftemangel schönzurechnen. Sowohl der renommierte Essener Bildungsforscher Klaus Klemm als auch Ex­per­t:in­nen vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kommen auf deutlich höhere Bedarfe als die Ministerien. Der Unterschied kommt unter anderem daher, dass die KMK die Zahl der künftigen Lehr­amts­ab­sol­ven­t:in­nen weit höher einschätzt, als es die Abbrecherquoten beim Lehramtsstudium erlauben würden. Für das Jahr 2025 errechnete Klemm beispielsweise eine Lücke von 45.000 Leh­re­r:in­nen – mehr als doppelt so viele wie von den Kul­tus­mi­nis­te­r:in­nen prognostiziert.

KMK reagiert auf Kritik

Der Statistik-Rüffel änderte nichts an dem Wohlwollen, das die Kul­tus­mi­nis­te­r:in­nen ihrem 16-köpfigen Beratergremium entgegenbringen. Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe, der im Namen der SPD-geführten Länder spricht, räumte ein, dass die SWK ihnen in Sachen Prognose zu Recht „die Leviten gelesen“ hätte, und stellte Besserung in Aussicht. Rabe lobte die „klaren Empfehlungen“ des 155 Seiten starken Papiers.

Auch Hessens Bildungsminister Alexander Lorz, Koordinator der unionsgeführten Länder, bedankte sich für die „vielen Anhaltspunkte“, die Ausbildung und Gewinnung von Lehrkräften zu verbessern. Nach den umstrittenen „Notmaßnahmen“ gegen den akuten Lehrermangel, die die SWK im Januar vorgestellt hat, zielen die nun vorgestellten Empfehlungen auf längerfristige Maßnahmen. Überraschenderweise zählt das duale Studium, das mehrere Bundesländer anstreben oder bereits ausprobieren, nicht dazu.

Stattdessen empfiehlt die SWK, einen neuen Masterstudiengang für Ein-Fach-Lehrkräfte einzuführen, das Referendariat auf zwölf Monate zu verkürzen (und zugleich Theorie und Praxis während des Studiums besser zu verzahnen) sowie einen neuen Bachelorstudiengang für Assistenzlehrkräfte, die bereits heute an vielen Schulen bei der Inklusion helfen, zu starten.

Schnell umsetzbar?

Vor allem die neuen Studiengänge hält die Co-Vorsitzende der SWK, Felicitas Thiel, von der Freien Universität Berlin für schnell umsetzbar. „Das kann man sofort machen an den Universitäten.“ Weiteren Handlungsbedarf sieht die SWK in der nach wie vor stiefmütterlichen Fortbildungspraxis an deutschen Schulen, gezielten Werbekampagnen für das Lehramtsstudium, den Zulassungsbeschränkungen für Lehramtsstudiengänge und der oft mangelnden Abstimmung zwischen Schulen und Universitäten während des Referendariats.

Die SWK mahnte auch an, dass Studierende, die schon während des Studiums als Vertretungslehrkräfte arbeiten, besser begleitet werden müssten, damit sich keine „dysfunktionalen Handlungsroutinen“ einschlichen.

Worauf die SWK in ihrem Gutachten Wert legt: Die Lehrkräftegewinnung darf nicht auf Kosten der Qualitätsstandards gehen. „Aus internationalen Studien wissen wir, dass die Kompetenzen der Lehrkräfte entscheidend sind für den Lern­erfolg der Schülerinnen und Schüler. Deshalb dürfen die Anforderungen an den Beruf nicht abgesenkt werden“, sagte die SWK-Co-Vorsitzende Felicitas Thiel. „Nicht jeder soll Lehrer werden, der nicht bei drei auf dem Baum ist.“

Dieser Eindruck dürfe nicht entstehen, pflichtete KMK-Vorsitzende Katharina Günther-Wünsch (CDU) bei. Die Realität an Schulen sei, dass ein Unterricht ohne Quer- und Seiteneinsteiger heute vielerorts nicht möglich wäre – „zum Teil ohne Qualifikation“. Deshalb lobte Günther-Wünsch die SWK für die „klare Positionierung für hohe Qualitätsstandards“. Gleichzeitig sieht sie auch den Auftrag, mehr Aka­de­mi­ke­r:in­nen für den Schuldienst zu gewinnen. Der Ein-Fach-Master, mit dem Interessierte das berufsbegleitende Nachholen eines zweiten Unterrichtsfaches umgehen können, sei deshalb „eine Überlegung wert“, so Günther-Wünsch.

Ob und wie schnell die SWK-Empfehlungen umgesetzt werden, ist offen. Denn selbst wenn sich die KMK auf eine gemeinsame Linie verständigt, wäre diese für die jeweiligen Länder unverbindlich. Vor allem bei der Idee, das Referendariat auf 12 Monate zu verkürzen, dürfte es Widerstand geben. So teilte der Lehrerverbandschef Stefan Düll auf taz-Anfrage mit, dass er „anders als die SWK“ auf ein spezifisches Lehramtsstudium mit Staatsexamen setze, wie es Hessen und Bayern noch anböten. „Dieses verkürzt die Studiendauer im Vergleich zum BA-/MA-Studium. Damit kann auch ein zweijähriges Referendariat angefügt werden“, so Düll. Bei der Idee des Ein-Fach-Masters bremst Hessens Bildungsminister Alexander Lorz die Erwartungen. Wenn, dann käme dies nur für Mangelfächer wie Mathe, Musik oder Kunst infrage, so Lorenz. „Einen Ein-Fach- Geschichtslehrer wird es nicht geben“.

Dass die KMK schnell reagieren kann, zeigte sich am Freitagabend. Nur fünf Stunden nach Vorstellung der SWK-Empfehlungen veröffentlichte sie eine neue Modellrechnung zum Lehrkräftebedarf. Bis zum Jahr 2035 müsste die Lücke demnach bei 68.000 Lehrkräften liegen. In ihrer letzten Modellierung kam sie noch auf knapp 24.000 Lehrer:innen.

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