Neues Grundsatzprogramm der CDU: Ende der abstrakten Bekenntnisse

Die CDU will sich offenbar von der Aussage abwenden, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Sie erinnert damit an eine notwendige Debatte.

Merz im Bayerischen Bierzelt mit Seidel in der Hand

Sind das unsere Werte? CDU-Chef Friedrich Merz auf dem Gillamoos, einem Volksfest in Abensberg Foto: Lindenthaler/imago

Horst Seehofer hat die Migration mal als „Mutter aller Probleme“ identifiziert. Und vom CDU-Kanzler Helmut Kohl wurde bekannt, dass er 1982 die Zahl der in Deutschland lebenden Türken halbieren wollte. Zehn Jahre später, kurz vor dem sogenannten Asylkompromiss und den von Nazis in Brand gesteckten Häusern türkeistämmiger Familien, sprach er im Kontext Migration von „Staatsnotstand“. Der aktuelle CDU-Chef Friedrich Merz dagegen hält sich an einen Berliner Stadtteil: „Das ist hier nicht Berlin-Kreuzberg, das ist mitten in Deutschland“, sagte er 2020 in Apolda und drei Jahre später: „Nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland.“

Insofern überrascht die Nachricht vom Montag nicht übermäßig, dass die CDU nun den Satz „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland“ in ihr Grundsatzprogramm schreiben will – um sich somit von der Aussage zu distanzieren, dass der Islam zu Deutschland gehöre, die mit Wulff, Schäuble und Merkel verbunden wird. Auch deswegen nicht, da die CDU Oppositionsarbeit unter Merz vor allem als regelmäßigen rechten Grenzgang versteht. Also: CDU doing CDU things. Auch wenn historische Ausnahmen die Regel bestätigen.

Bezeichnend ist aber, dass man von den Parteien links der CDU, wenn man sie überhaupt noch so einordnen kann, wenig bis gar nichts zu der Thematik hört. Die andere ehemalige Volkspartei SPD zum Beispiel hat erst an diesem Wochenende bei ihrem Parteitag zu „sozialdemokratischem Ton“ zurückgefunden, wie man liest. Sie hätte bestimmt trotz des vielen gegenseitigen Applaudierens etwas Zeit übrig gehabt, um über „unsere Werte“ zu diskutieren. Und wo verstecken sich die Grünen eigentlich gerade?

Dass man von diesen Parteien nichts zu „unseren Werten“ hört, liegt daran, dass sie sich in dieser Frage nicht prinzipiell vom politischen Konkurrenten unterscheiden. Denn die Zugehörigkeit „des Islam“ zu Deutschland abstrakt zu behaupten, ist kaum weniger mutlos, als diese abstrakt in Abrede zu stellen. Mutig wäre es dagegen, sich im Konkreten über die Fragen zu streiten, die sich nicht erst seit dem 7. Oktober aufdrängen. Die Empörung, die auf solche CDU-Vorstöße oft folgt, bleibt nicht ohne Grund ungenau. Sie geht zurück auf die Haltung: Wir haben zwar nichts gegen Ausländer, wir wollen aber auch nichts mit ihnen zu tun haben. Macht ihr mal euer Ding!

Über „unsere Werte“ streiten

Viel zu lange haben sich deutsche Po­li­ti­ke­r:in­nen parteiübergreifend notwendigen, aber mühsamen Auseinandersetzungen über „unsere Werte“ nicht gestellt. Oft genug haben sie die Regressivsten als Sprecher vielfältiger und widersprüchlicher migrantischer Communitys anerkannt, obwohl sich viele Menschen von diesen nicht repräsentiert sahen. Und sie haben Extremisten oft genug staatlich bezuschusst.

Die Razzien beim Islamischen Zentrum Hamburg, das als verlängerter Arm Irans gilt, die erst im November stattgefunden haben, zeigen, wie sehr tagesaktueller Opportunismus und diplomatischer vorauseilender Gehorsam den Umgang mit migrantischen Extremisten bestimmt. Genauso die Tatsache, dass der Bundestag die Bundesregierung mittlerweile schon vor über drei Jahren damit beauftragt hat, Organisationsverbote gegen Vereine der türkisch-rechtsextremen Grauen Wölfe zu prüfen – bisher ohne Ergebnis. Der Moscheeverband Ditib, der der türkischen Regierung untersteht, kann eh machen, was er will – trotz aller Differenzen bezüglich „unserer Werte“.

Die anderen relevanten Parteien sollten der CDU also dankbar sein, dass sie die Frage nach „unseren Werten“ für sie noch rechtzeitig aufwirft, wenn auch aus niederen Motiven. Über sie zu diskutieren, auch zu streiten wäre für die Konkurrenz links der CDU kein altruistischer Antirassismus. Es ist in ihrem ureigenen Interesse, wollen sie die Diskurshoheit nicht komplett an jene abgeben, die es auf keinen Fall gut meinen mit dem gesellschaftlichen Frieden.

Wie werden „unsere Werte“ eigentlich von muslimisch sozialisierten Menschen definiert, die ein Problem mit den Bekannten und Verwandten haben, die in den Juden den Ursprung allen Übels sehen? Was sagen muslimisch sozialisierte Feministinnen dazu? Queere Personen? Was sagen die Mitglieder der Parteien, auf die all das zutrifft?

Das abstrakte Bekenntnis „der Islam gehört zu Deutschland“ ist jedenfalls nicht mehr zeitgemäß. Es braucht einen neuen, viel konkreteren Satz. Möglicherweise passt das, was es zu erstreiten gilt, auch nicht mehr in einen einzigen Satz.

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Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

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