Lohnklau bei Lieferdienst: Kleiner Sieg gegen großen Konzern

Ku­rierfahrer*innen verklagen Wolt wegen ausstehender Löhne. Der Lieferdienst sieht sich nicht zuständig, zahlt aber trotzdem ein wenig.

Von den 100.000 Euro Lohnforderungen der Rider bleibt am Ende nicht viel übrig Foto: T. Seeliger/Snapshot/imago

BERLIN taz | Von den 120 Kurierfahrer*innen, die vom Essenslieferdienst Wolt um ihren Lohn betrogen worden sein sollen, erscheint am Donnerstagmorgen vor dem Arbeitsgericht nur ein Bruchteil. Dafür haben sich gut zwei Dutzend Un­ter­stüt­ze­r*in­nen eingefunden, die den Fahrer Muhammad Shoaib Bhatti bei seiner Klage den Rücken stärken. Der verlangt von dem Unternehmen 3.000 Euro für die drei Monate – von November 2022 bis Januar 2023 –, in denen er im Auftrag eines anderen Unternehmens für Wolt Essen ausgeliefert hat.

Den Lohn dafür hat er nie erhalten. Auch nicht das Trinkgeld in Höhe von 94,10 Euro, das ihm zusteht. Wolt erklärt sich für nicht zuständig und verweist auf die GW Trans GmbH, über die Bhatti ausgeliefert hatte. Dabei handle es sich jedoch keineswegs um einen Subunternehmer, betont das Unternehmen – in diesem Fall wäre Wolt haftbar und müsste für den Schaden einstehen.

Vielmehr arbeite Wolt mit unabhängigen Fleet-Managern zusammen, erklärt die Unternehmensanwältin Elika Schneider. Die Zusammenarbeit mit der GW Trans GmbH sei im Januar jedoch aufgrund von Unregelmäßigkeiten beendet worden. Mittlerweile habe Wolt Strafanzeige gegen das Unternehmen gestellt.

Bhattis Anwalt Martin Bechert lässt das nicht gelten. Für ihn handelt es sich hierbei um ein Firmenkonstrukt, mit dem sich Wolt bewusst aus der Verantwortung stehle. „Die Rider konnten nicht wissen, dass sie nicht direkt bei Wolt angestellt sind“, argumentiert er. Zumal es sich bei der GW Trans GmbH um eine reine Briefkastenfirma handle.

Dubioses Subunternehmen

Bhatti selbst, der vor Gericht mit einer Dolmetscherin erscheint, erklärt, den Namen GW Trans vorher noch nie gehört zu haben. „In der Anzeige auf Facebook stand, wir suchen Fahrer für Wolt“, sagt er. Er zeigt auf seine Jacke, auf der groß das Logo von Wolt prangt. Es ist dieselbe, die auch die Stamm­fah­re­r*in­nen tragen: „Wir hatten die Arbeitskleidung von Wolt, alles lief über die Wolt-App, nirgendwo stand, dass ich bei einem anderen Unternehmen arbeite.“ Auch alle anderen Rider seien davon ausgegangen, dass sie bei Wolt arbeiten.

Wolt-Anwältin Schneider widerspricht: Bhatti habe vor einigen Jahren schon einmal direkt bei Wolt gearbeitet und kenne das Einstellungsprozedere – und das sei in diesem Fall ganz anders gewesen. Und zwar durchaus dubios: Nachdem er sich auf die Anzeige gemeldet hatte, sei er in den Handyladen „Mobile World“ an der Karl-Marx-Straße in Neukölln bestellt worden, erzählt Bhatti. Dort habe er seine Stammdaten angegeben und den Zugang zur Wolt-Partner-App erhalten.

Viele Fah­re­r*in­nen haben der taz von ähnlichen Erlebnissen berichtet. Den versprochenen Arbeitsvertrag haben sie nie erhalten. Als eine Demonstration im Frühjahr auch vor den Handyladen zog, gaben dessen Mitarbeiter an, mit Wolt nichts zu tun zu haben.

Martin Bechert, Rechtsanwalt

„Für die Rider ist das viel Geld, für einen milliardenschweren Konzern wie Wolt ein Witz“

Das Geld von dem Mann im Laden zurückzubekommen dürfte also schwierig werden. „Der ist weg“, sagt Anwalt Martin Bechert. Für ihn ist das Gebaren des Lieferdienstes unverständlich: „Wir reden hier über 3.000 Euro. Für den Rider ist das viel Geld, für einen milliardenschweren Konzern wie Wolt ein Witz.“

Signal für andere Rider

Am Ende bietet Bechert einen Vergleich über 1.000 Euro an. Nach einem kurzen Telefonat stimmt die Gegenseite zu – wenn auch mit Widerspruchsfrist bis Montag. Außerdem wird im Protokoll festgehalten, dass Wolt nicht der Arbeitgeber war und es sich bei der Abfindung lediglich um eine „soziale Überbrückungshilfe“ handelt.

Nicht viel Geld für drei Monate Arbeit, für die Rider trotzdem ein Erfolg. Immerhin hatte sich das Unternehmen monatelang geweigert, auch nur einen Cent zu zahlen, da dies als Schuldeingeständnis gewertet werden könnte. „Wir hätten hier verloren“, meint Bechert.

Er ist zuversichtlich, das er auch für die anderen beiden Rider, die geklagt haben, ein ähnliches Ergebnis erzielt. Dass von den vielen Betroffenen nur so wenige geklagt haben, ist für ihn nicht überraschend: „Viele haben Angst um ihren Visa-Status oder waren illegal beschäftigt.“

Muhammad Shoaib Bhatti hat gemischte Gefühle: „Es ist besser als gar nichts, aber ich hätte gerne Recht bekommen.“ Für ihn und seine Kol­le­g*in­nen ist der Kampf noch nicht vorbei. „Wir werden weiter gegen dieses System des Subcontracting kämpfen“, sagt Bhatti. Er hofft, dass das Verfahren anderen Ridern Mut macht, ebenfalls zu klagen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.