Die Gefährten

Die „Zeit“ hat eine so liebevolle wie gefühlige Sonderausgabe über die Weltliteratur gemacht

Tür zu. Nachrichten und soziale Medien aus. Stehlampe neben dem Lesesessel an. Und sich von großer Literatur trösten, inspirieren, umspielen und auch mal irritieren lassen. Das ist der Assoziationsraum, den die große aktuelle Sonderausgabe der Zeit aufruft, in der als „neue Zeit-Bibliothek der Weltliteratur“ die „100 besten Bücher“ als, so das Titelblatt, „100 Gefährten fürs Leben“ vorgestellt werden. Nichts für ungut. Die Idee ist sowieso großartig. Die Umsetzung liebevoll. Viele Texte sind toll und erkennbar von Autoren und Autorinnen geschrieben, die sich lange und nicht zum ersten Mal mit den jeweiligen Klassikern beschäftigt haben (und ein paar nicht so tolle gibt es ja immer). Und die Auswahl der Bücher ist in vielem nachvollziehbar.

Doch was auch stimmt: Der Rahmen des Ganzen ist arg gefühlig. Etwa in den Kapitelüberschriften, mit denen die Romane geordnet werden. „Wer ist bei mir, wenn ich Angst habe?“ „Wer begleitet mich durch die Nacht?“ „Wer tröstet mich, wenn ich traurig bin?“ „Wer zeigt mir den Weg, wenn ich mich verirrt habe?“ Usw. Viel „ich“, viel „mir“, und das Ich hat in diesen Fragestellungen in der Begegnung mit dem jeweiligen Roman immer die Hosen an.

Man fragt sich: Muss man das jetzt so machen? So ein bisschen ankumpelnd und ich-streichelnd? Man kann die Ausgabe aber natürlich auch als Experiment sehen. Darüber, welche Kompromisse nötig sind, um literarisches Expertenwissen in den Mainstream einzuspeisen. Als solches ist das Ergebnis interessant, gerade in seiner Ambivalenz.

In einem weiteren Schritt kann man sich allerdings dann auch fragen: Wenn das jetzt Mainstream ist – und das ist es vielleicht ja tatsächlich –, was ist dann vorne, Avantgarde? Vielleicht ja doch etwas Strenge. Und vielleicht doch auch Texte, die nicht ein als widerstrebend vorgestelltes Subjekt dazu überreden wollen, ein Buch zu kaufen oder es wieder aus dem Regal zu nehmen. Viele Texte der Sonderausgabe möchte man jedenfalls so ein bisschen schütteln und fragen, was sie denn wirklich über die Klassiker zu sagen hätten, wenn man sie nur ließe. (drk)