Ein vorgefertigtes Fassadenteil schwebt an einem Kran über der Baustelle

Sechsmal schneller wird das Münchner Wohnhaus durch die vorgefertigten Fassaden gedämmt Foto: Quirin Leppert

Energiewende in Deutschland:Ein Wintermantel fürs Haus

Damit Deutschland seine Klimaziele einhält, muss ein Großteil der Häuser schnell saniert werden. Serielles Sanieren könnte die Lösung sein.

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10.12.2023, 09:03  Uhr

Eigentlich wollte Klaus Berghofer alles so machen wie immer. Anfang November parkt dann aber ein Lastwagen mit überdimensioniertem Playmobil vor seiner Baustelle. Die meterlangen Fassadenstücke sehen aus wie Ponyhofwände, die Kinder mit drei Griffen zu einem Gehöft zusammenstecken. Sie haben Fenster, manche davon französische Balkongeländer, und sind mit Holz verkleidet.

Im Münchner Norden sollen zwei Wohnblöcke energetisch saniert werden. Bauherr Berghofer dachte zuerst an die üblichen vier Buchstaben: WDVS, Wärmedämmverbundsysteme. Der Standard, um Fassaden zu dämmen. Jede Dämmplatte wird dabei einzeln an die Wand geschraubt. Aber dann hörte er vom seriellen Sanieren.

Dämmen nach dem Playmobilprinzip könnte man die Technik auch nennen. Jedes Stück der neuen Fassade wird in einem Werk passgenau ­angefertigt und muss auf der Baustelle nur noch an der richtigen Wand montiert werden. Den beiden Häusern von Berghofers Baugenossenschaft wird ein maßgeschneiderter Mantel übergestülpt. Noch lagert ein Teil davon auf der Ladefläche des Lkws.

Damit Deutschland seine Klimaziele einhält, müssten drei Viertel der rund 19 Millionen Wohnhäuser in der Bundesrepublik energetisch saniert werden. Der Aufwand ist je nach Gebäude mal größer und mal kleiner. Bisher verursachen Gebäude, also etwa warmes Duschen und Heizen, rund ein Drittel aller CO2-Emissionen in Deutschland.

Gleichzeitig lähmt der Fachkräftemangel die Baubranche. Viele Haus­be­sit­ze­r:in­nen wollen zwar sanieren, finden aber keine Bauarbeiter:innen, die Zeit für ihre Projekte haben. Die vorgefertigten Fassaden könnten bei der Lösung dieses Problems helfen, denn auf der Baustelle geht die Sanierung damit deutlich schneller. Die jährliche Sanierungsrate könnte so gesteigert werden.

Zunächst wird ein digitaler Zwilling des Gebäudes erstellt

Frank Melzer, der das Bauprojekt leitet, rechnet das vor: „150 Quadratmeter Fassade schaffen wir am Tag, also brauchen wir einen bis eineinhalb Tage pro Geschoss.“ Bringt man jede Dämmplatte einzeln an, der klassische Weg, braucht man sechsmal länger. Melzer führt mit Berghofer über die Baustelle.

Beide tragen weiße Schutzhelme und grinsen zufrieden. Die unteren Geschosse sind bereits ummantelt. Der matschgelbe 60er-Jahre-Bau verschwindet hinter angegrauter Fichte. Es sieht eher danach aus, als würde hier ein Wellnesshotel entstehen, das sich ins Voralpenland schmiegt, als dass ein Wohnblock am Stadtrand gedämmt wird.

Beim seriellen Sanieren gilt, je rechteckiger das Haus ist, je weniger Ecken und Winkel es hat, desto besser eignet es sich. Bevor die Wandteile hier vorgefahren werden konnten, wurde mit einem Laser jedes Fenster, jede Wandöffnung abgetastet, erzählt Melzer. So wurde ein digitaler Zwilling der beiden Gebäude erstellt. Anhand dieser Maße werden die Wände dann millimetergenau angefertigt, samt Fenstern und Türen.

Jeder Vorsprung bedeutet dabei, dass die vorgefertigte Wand nicht durchgezogen werden kann, sondern aufwändig eine Ecke eingesetzt werden muss. Je länger die Wandteile sind, desto weniger Arbeitsschritte sind nötig und desto günstiger ist der Quadratmeter. Mehrfamilienhäuser, die in den 1960er, 70er oder 80er Jahren gebaut wurden, entsprechen diesen Kriterien oft. Sie sehen aus wie Schuhkartons mit Fenstern und sind ähnlich schlecht isoliert. Die warme Luft entweicht durch die undichten Fensterrahmen und die dünnen Wände.

Ein Bauarbeiter befestigt ein vorgefertigtes Fassadenteil an einem Kran

3,5  Tonnen Wand werden vom Kran an die Hauswand gehoben Foto: Quirin Leppert

Die Sanierung ist durchaus belastend für die Mie­te­r:in­nen

Ein weiteres Kriterium, das die zwei Häuser erfüllen: Sie haben keine ­Mietergärten. Liebevoll gepflegte Beete gelten als K.-o.-Kriterium für serielle Sanierungen. Wenn der Garten weichen muss, um die Fassaden an­zubringen, droht Stress mit den Mie­ter:in­nen.

Nach einem minimalinvasiven Umbau sieht die Baustelle tatsächlich nicht aus. Wo vorher Rasen war, stehen Sprinter auf einer Schotterpiste. Zwischen den zwei Häusern ragt ein Kran in die Höhe, die Wege sind mit Bauzäunen abgesteckt. Aus einem Baustellenradio singt Dua Lipa gegen das Dröhnen und Hämmern an.

eine Grafik zu seriellem Bauen

Infografik: Anaïs Edely

„Wenn man sagt, die Sanierung ist keine Belastung für die Mieter, wäre das gelogen.“ Bauherr Berghofer steht auf dem zweiten Haus, das eingerüstet ist. Nur auf der östlichen Seite hat der fünfte Stock bisher eine Wand. Denn parallel zur Fassadendämmung werden die zwei Häuser um jeweils drei Etagen aufgestockt, ebenfalls mit vorgefertigten Wänden. So entstehen zusätzlich 24 neue Mietwohnungen.

Ein Stück Wand fliegt heran, es ist etwa einen Meter breit. Der Kranführer steuert es mit einem Joystick über das Gerüst, seine Kollegen bringen es in die richtige Position, dann stellen sie es ab und lösen die Schlaufe. Der Kran fliegt wieder weg. Mit sechs unterarmlangen Schrauben bohrt ein Arbeiter das Eckstück fest.

„Wir müssen hier nicht die Fenster zuhängen“, sagt Frank Melzer etwas zu begeistert dafür, dass er nur von einer Folie spricht, auf die verzichtet wird. Für die Be­woh­ne­r:in­nen sei das aber ein großer Unterschied. Bei einer klassischen Sanierung wird das ganze Gerüst abgehängt, die Fenster werden zum Schutz verklebt. „Das ist sehr anstrengend für die Mieter, sie bekommen kein Licht, es ist stickig.“

Durch die Sanierung springen die Gebäude von Energieklasse G auf A. Also von grauenvoll auf ausgezeichnet

Hier werden die neuen Fenster vor den alten Fenstern montiert. Kurz darauf wird das alte Fenster von innen herausgelöst. „Wir sind also witterungsunabhängig“, sagt Melzer. Im Winter klafft kein Loch in der Fassade.

Kaltmiete steigt, Nebenkosten sinken

Für die Mie­te­r:in­nen ein Nachteil: Wegen der Sanierung wird die Kaltmiete pro Quadratmeter um 2 Euro erhöht. Gleichzeitig dürften aber die Kosten für Heizung und Warmwasser stark sinken. Klaus Berghofer geht deshalb davon aus, dass die Warmmiete nur gering steigt. Bisher ist die Miete in der Baugenossenschaft mit durchschnittlich etwa 7 Euro pro Quadratmeter sehr gering.

Bauarbeiter stehen auf dem Gerüst und montieren die Fertigteile an die Fassade

Die Fassadenteile werden in der Fabrik angefertigt und noch am selben Tag montiert Foto: Quirin Leppert

Nach der Sanierung können bei den zwei Häusern 90 Prozent der bisher verbrauchten Energie eingespart werden. Sie springen damit von Energie­klasse G auf A. Also von grauen­voll auf ausgezeichnet.

Das Konzept wurde 2013 in den Niederlanden entwickelt und Energie­sprong getauft – Energiesprung auf Deutsch. Dazu zählen der digitalisierte Bauprozess, die vorgefertigten Fassadenelemente und eine subventionierte Finanzierung. So werden alte Emissionsschleudern in wenigen Wochen und in Kombination mit einer Wärmepumpe im Keller und Photovoltaik auf dem Dach zu Vorzeigegebäuden. Im besten Fall entstehen sogar Häuser, die im Jahresmittel so viel erneuerbare Energie erzeugen, wie sie verbrauchen. In den Niederlanden wurden nach diesem Prinzip bereits Tausende Gebäude saniert.

Diesen Sprung nach vorn braucht Deutschland auch. Bis 2045 soll laut den Klimazielen die Treibhausgas­neutralität erreicht werden, das heißt nur so viele Emissionen auszustoßen wie abgebaut werden. Beim Klimaschutz denken viele zuerst an Autos, die grüner werden müssen, an Solarpanele und Windräder, von denen mehr gebraucht werden. An gut isolierte Häuser, aus denen die Wärme nicht entweicht, denkt kaum jemand. Dabei ist die sauberste Energie die, die gar nicht erst verbraucht wird. Im Gebäudesektor besteht daher ein enormes Ein­sparungspotenzial.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Bislang ist Deutschland aber höchstens gehopst und nicht gesprungen. Seit 2019 wurden 49 Häuser seriell saniert, 170 weitere Projekte werden geplant oder bereits gebaut. Dabei wird geschätzt, dass 30 Prozent der Gebäude seriell saniert werden könnten. Auch Schulen eigenen sich gut, während der Sommerferien könnten die neuen Fassaden montiert werden.

Um die Sanierungen voranzutreiben, unterstützt die Bundesförderung für effiziente Gebäude seit Januar 2023 energetische Sanierungen mit 15 Prozent. Dieses Geld hat Klaus Berghofer umgestimmt. Bis April hatte er noch vor, konventionell, also mit seinen vier Lieblingsbuchstaben WDVS zu sanieren. Durch die Förderung könnten sie kostenneutral sanieren, sagt er. Er war überzeugt. Die serielle Sanierung und die konventionelle Sanierung haben für Berghofers Firma den gleichen Preis. „Worst performer“, also die größten Dreckschleudern unter den Gebäuden, „bekommen sogar 20 Prozent Unterstützung. Aber das waren wir leider knapp nicht.“

Es wirkt so, als wären die beiden Männer im Besitz einer großen Klatsche, mit der sie sämtliche Probleme minimieren können. Fachkräftemangel? Klatsch. Wohnungsmangel? Klatsch. CO2-Emissionen? Klatsch.

Bereitet ihnen denn gar nichts Probleme? Berghofer überlegt. „Bauchschmerzen haben mir die tiefen Fensterbretter gemacht.“ Er habe gedacht, dass sich die Mie­te­r:in­nen beschweren. Die dämmenden Fassaden sind 33 Zentimeter dick, so entsteht ein tieferer Fenstersims. „Jetzt können sie ihre Blumen auf der Fensterbank abstellen und freuen sich.“

Das noch fehlende Mittelstück schwebt heran: 7,60 Meter lang, 3,5 Tonnen schwer, zwei bodentiefe Fenster. Es dreht sich mehrfach um die eigene Achse, bis zwei Arbeiter auf dem Gerüst das Stück entgegennehmen und es von oben in die Lücke zwischen zwei schon stehende Wände gleiten lassen. Wie wenn man zu zweit ein Regalbrett versucht einzusetzen und nicht sieht, was der andere tut: „Passt es bei dir? Ja?“ – „Halt, jetzt bei mir wieder nicht.“ Vor, zurück, es ist schief, dann passt es, es hält, High five. Wie im Zeitraffer entsteht eine neue Etage.

Serielle Fassaden lassen sich gut recyceln

Projektleiter Frank Melzer schaut durch die neuen Fenster auf ein verputztes Haus in der Nachbarschaft. Die Sonne scheint auf die weiße Fassade und leuchtet jede Unebenheit schonungslos aus. Es sieht aus, als hätte das Haus Cellulite. „Fassaden spachteln, das ist Handarbeit, das geht gar nicht anders“, sagt Melzer. „Aber bei so einem Licht werden die qualitativen Mängel sichtbar.“ Die maschinell gefertigten Fassaden mit ihrer Holzverkleidung haben keine Bindegewebsprobleme.

Ein weiterer Vorteil der seriellen Fassade: Sie lässt sich besser recyceln. „Die verschiedenen Materialien sind nicht verklebt. Die Dämmwolle ist nicht mit Mörtel verbunden“, erklärt Frank Melzer. Brandschutzplatte, Holzrahmen, die Latten aus Fichte und die dämmende Mineralfaser könnten problemlos wieder voneinander getrennt werden. Die Baukosten seien in den vergangenen Jahren auch durch die Recyclingkosten in die Höhe geschnellt, sagt Berghofer. Dem wird hier vorgebeugt. Klatsch.

Aber hält die Holzfassade so lange wie eine verputze Wand? „Mei, schauen Sie sich die Berghütten an, die wurden vor 100 Jahren gebaut und stehen immer noch“, sagt Melzer.

Während es außen nach saunaschick aussieht, riecht es drinnen nach Bundesrepublik. Frau Zink kocht ­Sauerkraut, sie wohnt mit ihrem Mann seit 45 Jahren hier. In die Regale ist ein ganzes Leben sortiert. Wie findet sie die Sanierung? „Laut, dreckig, ich bin nur am Wischen.“ Aber sie merke schon, dass es wärmer ist. Früher hätte sie vor alle Türen diese Luftstopper in Dackelform gelegt und „trotzdem war das Haus eiskalt im Winter“. Jetzt kann man im ­T-Shirt auf dem Sofa sitzen.

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