Humanitäre Lage im Gazastreifen: Es mangelt an allem

Laut UN haben neun von zehn Menschen in Gaza nicht genug zum Essen. Eindrücke aus Chan Yunis, wo fehlende Nahrung nur ein Problem von vielen ist.

Ein Mann steht in einem verwüsteten Krankenhauszimmer.

Kein Platz für die Verletzten: verwüstetes Zimmer im Nasser-Krankenhaus in Chan Yunis Foto: Belal Khaled/Anadolu Agency/picture alliance

KAIRO taz | Das Nasser-Krankenhaus ist einer der wenigen Orte in Chan Yunis, in dessen Umkreis sich die Menschen im Gazastreifen noch einigermaßen in Sicherheit glauben. Auch deshalb hat sich rund ums Krankenhaus in der Stadt im Süden von Gaza inzwischen eine kleine Zeltstadt gebildet, mit Menschen, die in den letzten Wochen aus dem Norden des Gazastreifens geflüchtet sind.

Doch in der Nacht zu Montag wurde der Kreißsaal nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums von einer israelischen Panzergranate getroffen. Die israelische Armee habe die zweitgrößte Stadt im Gaza­strei­fen zu einer „gefährlichen Kampfzone“ erklärt. In der Umgebung fänden heftige Kämpfe mit der Hamas statt. In den sozialen Medien existiert ein Video, auf dem Menschen in dem völlig verrauchten Gebäude zu sehen sind, die in Panik und mit Kindern auf dem Arm aus der Klinik laufen. Ein 13-jähriges Mädchen soll dabei ums Leben gekommen sein.

Bereits seit Tagen herrscht in der Klinik der Notstand. „Die Menschen sterben in diesem Spital, weil wir keinen Platz auf der Intensivstation frei haben. Wir leisten in der Notaufnahme erste Hilfe und dann gibt es keinen Platz für die Verletzten. Sie sterben uns jeden Tag langsam in der Notaufnahme weg“, erzählt Muhammad Qandil, einer der dort arbeitenden Ärzte vor einigen Tagen. In der Notaufnahme lägen die Menschen zum Teil auf dem Boden, so der Arzt. Problematisch sei auch, dass sich inzwischen wegen des Winters und der sanitären Notlage zahlreiche Krankheiten verbreiteten. „Die Gesundheit der Menschen ist generell angeschlagen. Es gibt viele Krankheiten der Atemwege, Durchfall“, führt Qandil aus.

Als sie flohen, hatten sie fast nur Sommerkleidung dabei

Rund um das Krankenhaus, in den Zelten, sei die Versorgungslage katastrophal. „Die Menschen da draußen sollen hören, was hier los ist. Die Angst. Kaum Essen. Wir können kein Brot backen, weil es kein Mehl mehr gibt. Wir kämpfen, um Trinkwasser zu bekommen. Wir waschen unsere Kleidung, uns selbst und die Kinder mit Meerwasser“, sagt Shorouk Abu Taema, die mit ihren Kindern in einem der Zelte lebt. Diese bekämen eine Mahlzeit am Tag, entweder zu Mittag oder zu Abend, bevor sie ins Bett gingen. Shorouk wisse nicht, was sie ihnen zubereiten soll. Selbst die wenigen Dinge, die es noch gibt, seien aufgrund des Mangels enorm teuer. „Wenn die Kinder nicht durch die Angriffe der Israelis sterben, dann am Ende vor Hunger und Angst“, fürchtet sie.

„Die bittere Realität ist, dass neun von zehn Menschen im Gazastreifen nicht genug zum Essen haben, nicht jeden Tag eine Mahlzeit haben und nicht wissen, woher die nächste Mahlzeit kommen soll“, erklärte auch Carl Skau, Vizedirektor der Welternährungsorganisation, auf einer Pressekonferenz Ende vergangener Woche.

Doch zu wenig Essen ist nicht das einzige Problem der Menschen in den Zelten rund um das Nasser-Krankenhaus in Chan Yunis. Als sie ihre Häuser im Norden des Gazastreifens auf Anweisung des israelischen Militärs vor fast zwei Monaten verlassen mussten, um in den vermeintlich sicheren Süden zu flüchten, hätten sie fast nur Sommerkleidung dabeigehabt. „Nun ist der Winter da, unsere Zelte werden oft von Regenwasser geflutet, unsere Matratzen saugen sich mit Wasser voll und wir versuchen, irgendwo eine trockene Ecke zu finden“, beschreibt Hassan Arafat die Situation im Zeltlager an den nun immer häufigeren Regentagen.

Noch schlimmer sei die Lage im weiter südlich gelegenen Rafah, sagt Ziad al-Lolom, der ebenfalls in einem der Zelte lebt. Er sei vor ein paar Tagen dort gewesen. Dort seien Hunderttausende Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht, ohne Nahrungsmittel. „Es gibt nichts in Rafah“, so al-Lolom, der deswegen wieder in das stärker umkämpfte Chan Yunis zurückgekehrt ist.

Am Wochenende hatten Menschen in Rafah einige der von Ägypten kommenden Lkws der UN mit Hilfslieferungen geplündert. Einige sprangen auf die Lastwagen und warfen die Kisten zu den Menschen hinunter, die den Lkws hinterherliefen.

Bei einer Pressekonferenz erklärte Philippe Lazzarini, Hochkommissar der UNWRA, der UN-Hilfsorganisation für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten, anschließend: „Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie die Menschen beschlossen haben, sich selbst zu helfen. Da war pure Verzweiflung. Sie haben das geladene Essen sofort verzehrt.“

Anmerkung: Da der Zugang zum Gazastreifen für ausländische Journalisten derzeit faktisch unmöglich ist, beruhen viele der Zitate im Text im Zeltlager auf Videoaufnahmen eines vom Autor beauftragten palästinensischen Kameramanns vor Ort.

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