Plansche-Prozess: Freie Nippel für alle

Eine Frau hat das Land Berlin verklagt, weil sie wegen nackten Oberkörpers aus der Plansche geworfen wurde. In zweiter Instanz war sie damit erfolgreich.

Frauen* aller Länder, befreit eure Nippel! Foto: Christophe Gateau/dpa

BERLIN taz | Gibt es einen Unterschied zwischen Frauen, die ihren nackten Oberkörper zeigen, und Männern, die dies tun? Nein, gibt es nicht, das musste auch das Land Berlin einsehen. Die Architektin Gabrielle Lebreton hatte geklagt, weil sie im Sommer 2021 von der Security rabiat aus der Plansche im Plänterwald geworfen wurde, weil sie dort ohne Badeoberteil gesessen hatte.

Gegen ihren Freund, der ebenfalls „oben ohne“ war, gingen die Sicherheitsleute hingegen nicht vor. Genau gegen diese Ungleichbehandlung klagte die Französin nach dem Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) und sorgte damit bundesweit für Aufsehen.

Im September 2021 dann die Ernüchterung: Das Landgericht wies die Klage ab. Der Rauswurf sei wegen des Schutzes eines „geschlechtlichen Schamgefühls“ in Teilen der Gesellschaft gerechtfertigt gewesen, hieß es zur Begründung. Doch damit wollte sich die 39-Jährige nicht zufrieden geben: Mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) legte sie Berufung vor dem Kammergericht ein.

Mit Erfolg – nach über zwei Jahren Rechtsstreit hat das Land Berlin die Diskriminierung nun anerkannt. Gabrielle Lebreton bekommt damit in zweiter Instanz Recht. „Ich bin erleichtert“, sagt Lebreton zur taz. Es sei nicht einfach für sie gewesen, nach der Demütigung aufgrund ihres Körpers vor Gericht zu ziehen – auch weil weibliche Brüste in dieser Gesellschaft oft lächerlich gemacht würden.

Höhe der Entschädigung noch unklar

Doch für sie geht es um mehr: „Es geht darum, die Menschenrechte zu wahren.“ Trotz aller biologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen seien diese vor dem Gesetz schließlich gleichberechtigt. Doch nicht in der Plansche: „Mein weiblicher Körper wurde unangemessen sexualisiert und es wurde versucht, meine Freiheiten einzuschränken.“ Dass dies nun anerkannt wurde, freue sie sehr.

Allerdings steht die Entscheidung über die Höhe der Entschädigung noch aus. 10.000 Euro fordert Lebreton, die Senatsverwaltung für Finanzen, bei der die Prozessführung liegt, bietet ihr 750 Euro. „Es ist schön, dass das Land Berlin, wenn auch sehr spät, die Diskriminierung anerkannt hat, aber bei der Entschädigungshöhe muss mehr kommen“, sagt Soraia Da Costa Batista, die als Juristin das Verfahren für die GFF begleitet hat, zur taz. Schließlich seien die europarechtlichen Vorgaben klar: „Entschädigungen müssen wirksam und abschreckend sein, 750 Euro sind keines von beidem.“

Wenn das LADG wirksam sein solle, müsste die Entschädigung weit höher ausfallen, sagt Da Costa Batista. Die Entscheidung darüber liegt nun beim Kammergericht. Wann das abschließende Urteil kommt, ist jedoch noch unklar. Das Gericht habe nun die Möglichkeit, Maßstäbe für zukünftige Verfahren nach dem LADG zu setzen. Und die Sanktionen so zu gestalten, dass es in Zukunft gar nicht erst zu Diskriminierungen kommt.

Schließlich ist es für Betroffene nicht leicht, wegen erlebter Diskriminierung zu klagen. Das weiß auch Leonie Thum, die Anwältin von Gabrielle Lebreton und vieler weiterer Betroffener von Diskriminierung. Nicht nur wegen der emotionalen, sondern auch wegen der finanziellen Belastung.

„Die Hürden für Klagen nach dem LADG sind sehr hoch“, sagt Thum zur taz. Die Betroffenen würden das volle Kostenrisiko tragen und müssten im schlimmsten Fall die gesamten Prozesskosten, also die Gerichtskosten sowie die Gebühren der eigenen und gegnerischen Anwälte bezahlen – das können schon mal 10.000 bis 15.000 Euro sein.

Stärkung des Antidiskriminierungsgesetzes

Im Plansche-Fall wird es dazu wohl nicht kommen. Thum wundert jedoch, dass es überhaupt so weit kommen musste. „Es ist sehr schade, dass das so lange gedauert hat. Man hätte das mit weniger zusätzlichen Belastungen für meine Mandantin schon bei der Ombudsstelle klären können“, so Thum. Die war mit dem Fall befasst und hatte eine Diskriminierung festgestellt. Und dem Bezirk Treptow-Köpenick als Betreiber der Plansche eine Entschuldigung sowie eine Überarbeitung der Nutzungsordnung empfohlen.

In der steht nun, dass die Badebekleidung „die primären Geschlechtsorgane vollständig bedecken“ muss. Die weibliche Brust gilt als sekundäres Geschlechtsorgan. Auch die Berliner Bäder Betriebe hatten Anfang des Jahres nach Intervention der Ombudsstelle ihre Mit­ar­bei­te­r*in­nen darauf hingewiesen, dass Frauen oben ohne schwimmen dürfen. Zuvor war eine Frau deswegen rausgeworfen worden. Das kommt gut an: In den Freibädern seien in diesem Sommer viele Frauen oben ohne gewesen – „vor allem auf den Liegewiesen, aber zunehmend auch in den Schwimmbecken“, so eine Sprecherin auf taz-Anfrage.

Trotz Änderung der Nutzungsordnung wollte der Bezirk bei Lebreton zunächst keine Diskriminierung erkennen. Erst nachdem das Kammergericht deutlich gemacht habe, dass eine Schlechterbehandlung gegenüber männlichen Besuchern anzunehmen sei, an deren Rechtfertigung Zweifel bestünden, sei das Land nach einigen Wochen eingelenkt.

Alles andere als eine Feststellung der Diskriminierung wäre fatal gewesen, so Leonie Thum: „Das hätte bedeutet, dass eine völlig klare Diskriminierung nicht als solche anerkannt wird, weil einzelne Menschen etwas anstößig finden. Das LADG hätte dann keinen Anwendungsbereich mehr gehabt.“

Auch für Gabrielle Lebreton hat sich der Kampf gelohnt: „Ich hoffe, dass ich anderen Betroffenen Mut gemacht habe.“ Für die Zukunft wünscht sie sich, dass „die systematische und unerwünschte Sexualisierung des weiblich gelesen Körpers aufhört“.

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