Sollte Kakao mit Schuss Lumumba heißen?

Patrice Émery Lumumba: Vorkämpfer der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegung Foto: Allyn Baum/nyt/redux/laif

ja

Aus Pietätsgründen kann man „Kakao mit Schuss“ für unappetitlich halten. Aber ein Getränk Lumumba zu nennen ist im besten Sinne aufklärerisch. Unter Afrikawissenschaftlerinnen, Betreibern von Eine-Welt-Läden und Arte-Spätprogramm-Abonnenten ist der 1961 erschossene sozialistische Präsident des Kongo (heute Demokratische Republik Kongo) eine Legende, für den Rest ein Unbekannter. Warum also nicht an jemanden erinnern, der unter internationalistischen Linken mal so bekannt war wie Che Guevara. Zumal völlig ungeklärt ist, wer dieses Getränk so nannte: belgische Rassisten beim Feiern ihrer Mörder oder französische Salonkommunisten beim Après-Ski?

Als rassistisch wird „Lumumba“ heute empfunden, weil es, wie die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland anprangert, Schwarze „auf ein Getränk reduziert“. Die meisten Menschen, die einen Lumumba trinken, werden aber gar nicht wissen, dass der Name keine Spaß-Kreation wie Hubba Bubba ist, sondern zu einem echten Menschen gehört. Daher istzumindest aktiver Rassismus ausgeschlossen.

Auch die Historikerin Annalena Schmidt, die Lumumba als rassistisch labelte und damit eine Debatte lostrat, sagte im Nachhinein, sie habe einfach nur mehr Menschen darüber informieren wollen, wer Lumumba war. Fair enough. Durch die Empörung, die sie mit dem falschen Rassismus-Vorwurf auslöste, dürfte der Hintergrund des Namens jetzt zum ersten Mal auf vielen Weihnachtsmärkten diskutiert werden. Gut so.

Falls Sie noch nach weiteren zu Getränken reduzierten historischen Persönlichkeiten suchen, über die Sie an den Feiertagen diskutieren können, trinken Sie doch einen Mussolini. So heißt in Kroatien das Mischgetränk aus Rotwein und Cola. Das in Spanien unter dem Namen Calimocho bekannte Zeug wird in Deutschland übrigens gern auch mal „kalte Muschi“ genannt.

PS: Wenn Sie damit durch sind, können Sie aufs Allgemeine gehen und das Signifikat hinter den Bezeichnungen der blassen, in Pelle gepressten Fleischabfälle zu sprechen kommen: die Wiener, Frankfurter, Thüringer und natürlich die Vielfachstereotypisierung der Pariser.

Doris Akrap

nein

In der Zeichentrickversion der „Weihnachtsgeschichte“ von Charles Dickens sind es die Geister, die dem Hauptcharakter Ebenezer Scrooge ins Gewissen reden. Der US-Film spukt ausdauernd im Adventsprogramm umher, erinnert uns an menschliche Werte. Der „Geist“ steht dabei oft für das Verdrängte, er ist ein Schatten, der uns zum Erinnern zwingt, der Abgründe öffnet: Abgründe wie heiße Schokoladengetränke auf dem Weihnachtsmarkt, Kakao mit Schuss, „Lumumba“ eben.

Patrice Émery Lumumba war ein kongolesischer Unabhängigkeitskämpfer. Er spielte eine tragende Rolle in der Befreiungsbewegung Kongos (heute Demokratische Republik Kongo) von der belgischen Kolonialherrschaft. Lumumba wurde am 17. Januar 1961 im Beisein belgischer Offiziere und Beamter ermordet. Für viele ist er bis heute eine Symbolfigur des antiimperialistischen Kampfs in Afrika. In Deutschland erinnern wir an Lumumbas Ermordung mit einem Schluck Rum im Kakao auf dem Weihnachtsmarkt. Es gibt wohl nichts Entwürdigenderes, als sich von einer kongolesischen Legende zu einem konsumierbaren, importierten Produkt auf dem christlichen Weihnachtsmarkt zu verwandeln. Und wer jetzt mit dem Argument der Erinnerungskultur und Aufklärung kommt, sollte sich die Frage stellen, wieso wir Schwarzen Linken nur dann gedenken und Platz verschaffen können, wenn sie als billige Brühe in unseren Weihnachtsmarkt-Bechern erscheinen.

Seit über einem Monat schwirrt der Hashtag „#SilentGenocide“ durch Social Media. Er verweist auf das Schweigen westlicher Medien zu den Massenermorden und dem Kampf um Ressourcen im Kongo. Für Deutschland ist die DR Kongo einer der zehn wichtigsten Rohstofflieferanten. Während UN-Expert*innen von einem Genozid an der kongolesischen Bevölkerung sprechen, stoßen Deutsche mit brauner Grütze an, die den Namen des kongolesischen Unabhängigkeitskämpfers trägt. Dass Schwarze Geschichte verdinglicht und konsumierbar werden muss, um in irgendeinem deutschen Raum zu erscheinen, sagt mehr als genug. Wie es der Kakao überhaupt aus den Regenwäldern Südamerikas auf unsere Weihnachtsmärkte geschafft hat, wäre eine andere, nicht minder erschütternde (Weihnachts-)Geschichte. Leyli Nouri