Kanzlerrede auf dem SPD-Parteitag: Genosse Scholz ist zurück

In ungewohnter Klarheit verteidigt Olaf Scholz auf dem SPD-Parteitag den Sozialstaat und den Klimaschutz. Fast alle Genossen sind begeistert.

Scholz neben klatschenden Händen

Sehnlichst erwartet: die Ge­nos­s:in­nen beklatschen die kämpferische Rede von Olaf Scholz Foto: dpa

BERLIN taz | Er war der wohl am sehnlichsten erwartete Gast auf dem dreitägigen Bundesparteitag der Sozialdemokraten: der Genosse Olaf. Und tatsächlich stand da am Samstagvormittag am Rednerpult der Bundeskanzler, aber vor allem der Sozialdemokrat Olaf Scholz. In weißem Hemd, ohne Krawatte und Manuskript – und ganz im Modus des Parteitagsredners.

In einer von starkem Applaus begleiteten Rede versicherte Scholz den 600 Delegierten und hunderten Gästen, dass es auch inmitten schwieriger Haushaltsverhandlungen keinen Abbau des Sozialstaats geben werde. Der gehöre zur DNA unseres Landes und sei Grundlage des Wohlstands. Auch gesetzliche Änderungen am System Bürgergeld schloss Scholz aus: „Ich finde, da muss man widerstehen“, so Scholz unter lautem Beifall.

Gleichzeitig versicherte Scholz den Genoss:innen, dass es richtig sei, weiterhin gegen den Klimawandel vorzugehen, auf erneuerbare Energien zu setzen und die industrielle Modernisierung des Landes voranzutreiben. Denn man könne es nicht so machen, wie die Vorgängerregierungen: „Dass man immer in schwierigen Situationen neue Klimaziele formuliert und dann erschöpft von diesem Vorgang alle Tätigkeiten einstellt.“

Keinen Zweifel ließ Scholz auch daran, dass die militärische und finanzielle Unterstützung für die Ukraine weitergehen müsse: „Wir unterstützen die Ukraine weiter bei ihrem Verteidigungskampf.“

Hohe Erwartungen im Vorfeld

Damit zog der Sozialdemokrat Scholz Pflöcke in die Haushaltsverhandlungen ein, hinter die er als Kanzler nicht mehr zurück kann.

Der Erwartungsdruck im Vorfeld war enorm. Die Sozialdemokraten sind in einem Umfrageloch, die Kompetenzwerte des Kanzlers auf einem Tiefstand. Der dreitägige Parteitag dient also auch dazu, die Ampel-Frustationen hinter sich zu lassen, einander zu versichern, dass man das Richtige wolle, und neue Zuversicht zu tanken.

All das versuchte Scholz seinen Ge­nos­s:in­nen zu vermitteln. Er stellte die sozialdemokratischen Erfolge heraus: Erwerbsminderungsrente eingeführt, Mindestlohn auf 12 Euro erhöht und Niedrigverdiener bei Sozialabgaben entlastet. „Am allermeisten haben wir in dieser Legislatur für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit kleinen Einkommen gemacht. Das ist der Verdienst, den wir für uns reklamieren“, rief Scholz unter dem Jubel der Genoss:innen.

Nerviger Streit

Ungewohnt salopp gab er zu, dass der Streit in der Ampel auch ihn nervt. „Manches von dem, was da so passiert ist, hätte ich echt nicht gebraucht.“ Was Deutschland aber auch nicht brauche, „sind Leute, die nicht weiter ihre Arbeit machen.“ Im Klartext: Die Regierung macht weiter, das mit dem Haushalt kriegen wir hin.

Bevor er nach fast 30 Minuten seiner fast einstündigen Rede auf dieses Thema kam, schlug Scholz aber noch einmal den ganz großen Bogen: vom russischen Angriff auf die Ukraine, zur Energiekrise, die man gemeistert habe, über die Menschen, die Schutz suchen, bis hin zum aktuellen Krieg in Gaza.

Er habe von einer „Zeitenwende“ gesprochen, weil Russland alle Bemühungen um Frieden und Verständigung aufgekündigt habe, so Scholz zu Beginn. „Wir sind eine Friedenspartei“, betonte er das Selbstverständnis der SPD. Aber „wir wollen, dass kleine Länder sich nicht vor ihren großen Nachbarn fürchten müssen – das ist Frieden und Sicherheit in Europa“, betonte er. Scholz erinnerte noch einmal daran, dass es der russische Präsident war, der die Gaslieferungen gestoppt hat – mit allen Konsequenzen auch für die Preise.

In besten Klamotten die Nationalhymne singen

Beim heiklen Thema Migration strich Olaf Scholz erst einmal die Erfolge heraus. Kein anderes Land in Europa habe so viele Flüchtlinge aufgenommen wie Deutschland. „Ich bin stolz darauf“, sagte er unter Applaus. Es sei richtig, offen zu sein für Menschen, die Schutz suchen. Auf diese müsse man sich aber auch konzentrieren.

Man trete zwar denen entgegen, die das individuelle Asylrecht abschaffen wollen. Das sei aus historischen Gründen sakrosankt. Man habe aber auch die Aufgabe, Schutz „irreguläre Migration zu begrenzen“, sagte Scholz, wobei er sich allerdings in einem umständlichen Satz um das Reizwort „Abschiebungen“ herumwand.

Es war der etwas umständliche Versuch, seine viel kritisierte Aussage im Spiegel, „Wir müssen endlich in großem Stil abschieben“, zurückzunehmen und gleichzeitig weiterhin zum Inhalt zu stehen.

Zugleich müsse man offen sein für Arbeitsmigration, schlug Scholz einen anderen Ton an. Er erinnerte daran, dass sich der Wohlstand in Deutschland nicht entwickelt hätte, wenn nicht so viele Menschen mit angepackt hätten, die nicht in Deutschland geboren wurden. „Die, die hier gebraucht werden, brauchen eine gute Perspektive“, sagte er. Deutschland habe aber ein anderes Modell der Integration als die USA. Nicht nur Arbeitserlaubnis, Schulbesuch und Spracherwerb, sondern auch Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft soll das Ziel sein. Dann könne es auch Einbürgerunsgfeiern geben, „wo alle ihre besten Klamotten anhaben und am Ende die Nationalhymne gespielt wird“, schlug er vor.

Keine Entschuldigung für rechtsradikale Ideen

Am Ende seiner Rede äußerte sich Scholz mit eher nachdenklichen Tönen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und zur Frage, warum Rechtspopulisten weltweit im Aufwind sind. Das habe mit den Veränderungen die überall stattfänden und der damit einhergehenden Verunsicherung und Unzufriedenheit zu tun, so Scholz' Antwort.

Man müsse aber unterscheiden zwischen jenen, die aus unterschiedlichen Gründen der Politik gegenüber skeptisch seien, und jenen, die auf Hass und Ressentiments setzten. Gleichzeitig stellte er klar, dass materielle Schwierigkeiten keine Entschuldigung für rechtsradikale Ansichten sind. Die Frauen und Männer, die im 19. Jahrhundert eine Partei für Demokratie und soziales Miteinander gründeten, hätten nicht Hass und Zwietracht gesät, „obwohl sie arm waren“, so der Sozialdemokrat Scholz. Mit diesem Erbe „dürfen wir auch niemanden damit durchkommen lassen, dass er die Idee entwickelt, weil's ihm schlecht geht, darf er rechtsradikale Ideen haben.“

Und als Scholz am Schluss verkündete: „Wir sorgen dafür, dass es eine Zukunft gibt für unser Land und für jeden einzelnen. Dass es besser wird und gerecht“, da jubelte der Saal und die Ge­nos­s:in­nen applaudierten stehend.

Nicht gegen Geflüchtete mobilisieren

„Es war gut, den Kanzler mal wieder als Sozialdemokraten zu spüren“, freute sich die Thüringer Bundestagsabgeordnete Elisabeth Kaiser. „Er hat den sozialdemokratischen Ton gut getroffen“, meinte auch der Berliner Bundestagsabgeordnete Hakan Demir.

Aber wäre nicht auch etwas mehr Selbstkritik angezeigt gewesen? Nein, meinte Gesine Schwan, Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission. „Wir sind ja hier nicht im Beichtstuhl.“ Scholz' Rede sei ausgezeichnet gewesen, weil sie Selbstvergewisserung und Orientierung gegeben habe.

Nicht alle überzeugte Scholz. Ein Mitglied der Organisation „Sea Eye“, die im Saal unterwegs war, kritisierte die Rede als „Selbstbeweihräucherung“. Problematisch sei, dass Scholz von „irregulärer Migration“ gesprochen habe, aber kein Wort über legale Fluchtwege und über Fluchtursachen verloren habe.

Nina Gaedike, nordrhein-westfälische Juso-Vorsitzende, kritisierte den Kanzler in der anschließenden Aussprache für seine Aussagen zu Abschiebungen und Bezahlkarten für Geflüchtete im Spiegel-Interview: „Wir mobiliseren nicht gegen Geflüchtete, sondern kämpfen für soziale Sicherheit und gegen Armut“, appellierte sie an den Kanzler, und wedelte mit der umstrittenen Ausgabe des Nachrichtenmagazins mit Scholz auf dem Cover. Den Spiegel-Titel haben gerade die Jusos noch nicht verdaut.

Andere forderten Scholz auf, auch als Kanzler weiterhin den Genossen raushängen zu lassen. „Olaf, tue Gutes und sprich darüber.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.